«Es geht uns jetzt viel besser. Wir hatten schon gar nicht mehr daran ­geglaubt, dass der Berg kommt», sagt Georgin Bonifazi. Sein Betrieb liegt in der Sperrzone des am 12. Mai 2023 evakuierten Bergdorfes Brienz/Brinzauls. Dort ist vor einer Woche das eingetroffen, was seit Wochen erwartet und von den Brienzerinnen und Brien­­zern lange ersehnt worden war: Ein grosser Teil des rutschgefährdeten Hangs (sogenannte Insel) löste sich in der Nacht auf Freitag. 1,2 Mio Kubikmeter Fels rutschten ins Tal. Damit ist die grösste Gefahr für das Dorf und dessen Einwohner, die immer noch evakuiert sind, gebannt.

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Heuen unter erschwerten Bedingungen

Im Moment ist bei Georgin Bonifazi Heuen angesagt. Ab dem 6. Juni konnten die 13 Betriebe, die Land in der Sperrzone haben, während eines vorgegebenen Zeitfensters ihre Flächen bewirtschaften. Bonifazi spricht von einer sehr aufwendigen Heuernte, weil die Ställe nicht betreten werden durften.

«Wir nehmen das Heu drei- bis viermal in die Hand, bis es bei uns im Stall sein wird.»

Georgin Bonifazi, Landwirt aus Brienz

Aus dem Heu wurden Siloballen und trockene Heuballen gemacht. Ein Teil konnte Bonifazi normal heuen und bei einem Kollegen trocknen. Am Montag wurde das Heu aus dem Stock rausgepresst.

«Dass wir Heuen konnten, hat sehr gut getan. Wir hatten uns grosse Sorgen gemacht, was mit den Wiesen passiert, wenn wir dieses Jahr gar nicht ernten könnten», sagt der Landwirt. Von seinen 39 ha ist erst rund ein Drittel der Flächen geerntet.

Kühe auf der Alp, Kleinvieh an verschiedenen Orten

Abo Drohender Bergsturz in Brienz/Brinzauls «Fürs Heuen gibt es eine Tagesüberwachung am Berg» Tuesday, 6. June 2023 Am Dienstagabend gab es für die Bauern gute Nachrichten von der Gemeinde. Ab nächster Woche dürfen sie zwischen 8 bis 21 Uhr die weiteren Flächen bewirtschaften. «Dann dürfen wir auch unsere Ställe nutzen, was in zweierlei Hinsicht eine enorme Erleichterung ist», sagt Georgin Bonifazi. Er und seine Familie wohnen im Moment bei Verwandten in der Lenzerheide. Das ist eine gute Viertelstunde Autofahrt von Brienz entfernt. Die 35 Mutterkühe sind seit letztem Freitag in Oberhalbstein auf der Alp.

«Das war für uns ein schöner Moment, ein Stück Normalität.»

Georgin Bonifazi zu dem Moment als sie die Kühe auf die Alp bringen konnten

Schon ab dem 1. Juni konnte er die Kühe auf die tiefer gelegenen Gemeindeweiden in Oberhalbstein bringen. Zuvor waren sie in der Bündner Arena in Cazis. Das Kleinvieh und die 40 Schafe sind an verschiedenen Orten rund um Brienz untergebracht.

Wann genau die Brienzerinnen und Brienzer wieder ins Dorf und Bonifazi auf seinen Betrieb zurückkehren können, ist noch nicht bekannt. Die Gemeinde will heute Donnerstag informieren. «Es geht vorwärts, Stück für Stück», sagt der Landwirt und freut sich, dass er wenigstens für die Heuernte seinen Stall schon bald wieder betreten kann.


«Die Rutschung hat sich verlangsamt»

Ein grosser Teil der sogenannten Insel ist in der Nacht auf den 16. Juni abgerutscht. Es hiess, die grösste Gefahr sei gebannt. Wie lange muss sich die Bevölkerung noch gedulden, bis sie zurückkehren kann?

Daniel Albertin: Die Rutschung hat sich verlangsamt. Das Landschaftsbild hat sich durch die rund 1,2 Millionen Kubikmeter Geröll total verändert. Am Montag trafen sich die Geologen, am Mittwoch früh der Gemeindeführungsstab, am Donnerstag erneut. Dabei haben wir uns entschieden, von der roten in die orange Phase zu wechseln. Das heisst, die Bevölkerung kann am Montag von 12 bis 19 Uhr zurück ins Dorf – selbstverständlich ohne zu übernachten. Die Bauernfamilien können wieder aufs Feld und die zwei Stallungen in der Gefahrenzone benutzen.[IMG 3]

Gibt es diesbezüglich ein Wenn?

Ein Wenn gibt es immer. Die orange Phase besteht nächste Woche, sofern die Ausgangslage am Berg bleibt, wie sie jetzt ist. Wenn sich der Berg am Freitag, Samstag oder Sonntag anders verhält, dann muss der Gemeindeführungsstab über die Bücher und am Montag entscheiden. Der Berg wird permanent von den Geologen überwacht. Zur Sicherheit der Bevölkerung und der Bauernfamilien besteht ein Checkpoint, der die Ein- und Auffahrt in die Gefahrenzone überwacht.

Der Sondierstollen in Brienz soll zu einem Entwässerungsstollen ausgebaut werden, um das Dorf vor weiteren Schäden zu bewahren. Laut eines kantonalen technischen Berichts wird das Bauvorhaben 40 Millionen Franken kosten. Müssen sich die Gemeinde und die Anwohner von Brienz an den Kosten beteiligen?

An die Kosten steuert der Bund 45 Prozent bei, 45 Prozent der Kanton und zehn Prozent muss die Gemeinde übernehmen. Diese zehn Prozent Restkosten werden aufgeteilt auf die Grundinfrastrukturbetreiber wie die Rhätische Bahn, das Tiefbauamt, die Swissgrid und andere. Zuerst wird am 14. Juli die Gemeinde darüber entscheiden, dann die Regierung an ihrer Sitzung vom 8. August. Schliesslich braucht es auch noch das Einverständnis des Bundesamts für Umwelt. Ich bin guten Mutes, dass das Bauvorhaben auf allen Stufen bewilligt wird.

Die Bauphase soll bis Ende 2026 dauern. Damit ist es aber nicht getan. Es werden noch Folgekosten anfallen.

Tatsächlich waren in all den Sitzungen die Unterhaltskosten nie ein Thema. Die Folgekosten des Unterhalts liegen in der Regel beim Bauherrn, also in unserem Fall bei der Gemeinde. Diesbezüglich muss man über die Bücher gehen, um weitere Lösungen zur Finanzierung der Folgekosten zu finden. Der Unterhalt ist nicht zu unterschätzen.

Laut Medienberichten hat ein holländischer Investor Interesse am Geröllschutt. Haben auch Unternehmen aus der Schweiz Interesse angemeldet?

Bis jetzt habe ich keine entsprechenden Interessensbekundungen aus der Schweiz erhalten.