Die Gassen der kleinen Weinstadt sind dicht gedrängt. Plakate hängen an Hauswänden, Trachten mischen sich vereinzelt mit Edelweisshemden, Alphörner erklingen. Mitten durch diese Szenerie schiebt sich am Mittwochabend der frisch gekrönte Schwingerkönig. Armon Orlik läuft fast unbemerkt durch die Menge, neben ihm der Siegermuni, hinter ihm die Nordostschweizer «Mannschaft» und zahlreiche weitere Vereine. Teilweise wird er gar flankiert von Sicherheitsleuten. Er hätte sie kaum nötig, denn seit Sonntag trägt er den Titel des «stärksten Mannes der Schweiz» – und das zieht Menschen an. Fotos, Autogramme, Schulterklopfen: Maienfeld im Ausnahmezustand.

Die Rückkehr nach 18 Jahren

Drei Tage zuvor, am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (ESAF) in Mollis GL, war der Bündner Bauingenieur ins Rampenlicht getreten. Nach acht Gängen setzte er sich an die Spitze – und beendete damit die 18-jährige Durststrecke der Nordostschweizer. Zuletzt hatte 2007 mit Jörg Abderhalden ein NOS-Schwinger den Titel geholt.

Armon Orlik wurde als erster Bündner König gefeiert. Die Arena mit über 50 000 Zuschauenden erlebte dabei ein Novum: Der König stand nicht im Schlussgang, sondern gewann den Titel über den gestellten Schlussgang der punktgleichen Favoriten Samuel Giger und Werner Schlegel.

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Analyse Fehler, Leidenschaft, Gemeinschaft: Schwingen ist mehr als nur ein Sport Thursday, 4. September 2025 Zurück in Maienfeld: Wer am Mittwochabend zur Tribüne will, muss sich durchkämpfen – durch eine dichte Menge aus Fans, jubelnden Gesichtern und Leuten, denen der Sieg des Bündners viel wert ist. Aber der Star ist schwer zu erreichen. Armon Orlik huscht durch diese Szenerie wie in einem Tunnel: Erst die offizielle Feier, dann weg von der Bühne, um Hausecken herum und plötzlich inmitten der Menschen. Hier ein Foto, dort eine Unterschrift – er bleibt nahbar, trotz der Begleitleute, die ihn flankieren. Jeder will ihn erwischen. Auch die Sponsoren, ohne die die Schwinger an der Spitze nicht mehr auskämen. Hinter der Tribüne wartet Hanspeter Brunner, Vizepräsident der Labelorganisation IP-Suisse, auch er ein Bündner. Er gratuliert im Namen eines Hauptsponsors der Orlik-Brüder seinen «Landsmännern». «Wir sind stolz auf Armon und Curdin», sagt er in der lauten Menge.

Nach der kurzen Begegnung mit Armon kämpfen wir uns weiter durch die Menge und treffen eher durch Zufall auf Paul Orlik in der Uniform seiner Musikgesellschaft und seine Frau Helena in Tracht. Als Eltern der beiden Ausnahmeschwinger stehen auch sie am Mittwochabend im Rampenlicht. «Wir sind unglaublich dankbar und stolz», sagt Paul, selber ehemaliger Schwinger.

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Die Berner Bauern

Stolz sein können auch noch andere. Die Liste der Schwinger mit bäuerlicher Tätigkeit oder bäuerlichem Hintergrund ist lang. Und in Sachen Popularität weht hier sicherlich die Berner Fahne über allem. Fritz Ramseier aus Süderen BE schob sich am ESAF 2025 ins Rampenlicht, ohne dass viele damit gerechnet hätten. Der erfahrene Schwinger, selber Bauer, legte am Samstag eine eindrückliche Serie hin. Plötzlich fand er sich ganz vorne in der Rangliste – gleich hinter einem Favoriten – Werner Schlegel. «Es läuft einfach», erklärte er im Schweizer Fernsehen. Sein Notenblatt war so stark, dass es ihm nicht nur den Kranz, sondern beinahe Kultstatus in der Landwirtschaftsszene eintrug.

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Michael Moser, der Emmentaler Landwirt, bestätigte am Sonntag eindrücklich, was man von ihm kennt: Konstanz, Ruhe und Schwingerhandwerk auf höchstem Niveau. Mit Rang drei war er der beste Bauer im Feld, direkt hinter König Orlik und dem Berner Favoriten Fabian Staudenmann. Für viele bäuerliche Zuschauer auf der Tribüne war es ein besonderes Zeichen: Die Landwirtschaft bleibt im Schwingen nicht nur im Publikum stark vertreten, sondern auch auf dem Podest.

Ein Bauernsport

Ein gutes Viertel der Kranzer und Neukranzer sind selbst in der Landwirtschaft tätig. Würde man jene noch dazuzählen, die auf einem Bauernhof aufgewachsen sind, wäre die Liste der Namen noch deutlich länger. Folgende Schwinger sind Landwirt, arbeiten auf einem Hof oder haben über ihre Ausbildung mit Landwirtschaft zu tun.

3 Moser Michael, Biglen BE, Schwingklub Zäziwil, Neukranzer; 4b Ledermann Michael, Mamishaus BE, Schwingklub Schwarzenburg; 4c Schneider Domenic, Friltschen TG, Schwingklub Ottenberg; 5e Bissig Lukas, Attighausen UR, Schwingklub Attighausen, Neukranzer; 7e Burger Etienne, Les Prés-d’Orvin BE, Schwingklub Biel, Neukranzer; 7g Ramseier Fritz, Süderen BE, Schwingklub Siehen, Neukranzer; 7h Klossner Adrian, Horboden BE, Schwingklub Frutigen, Neukranzer; 8b Schurtenberger Sven, Grosswangen LU, Schwingklub Rottal und Umgebung; 8f Gapany Benjamin, Marsens FR, Schwingklub La Gruyère; Zangger Dominik, Wolhusen LU, Schwingklub Wolhusen, Neukranzer; 9b Wicki Joel, Sörenberg LU, Schwingklub Entlebuch; Orlik Curdin, Thun BE, Schwingklub Frutigen; 9f Kindlimann Fabian, Fischenthal ZH, Schwingklub Zürcher Oberland; 9h Appert Silvan, Ingenbohl SZ, Schwingklub am Mythen, Neukranzer; 10c Tschumi Lukas, Wolfisberg BE, Schwingklub Herzogenbuchsee, Neukranzer.

Zibu und van Messel im gleichen Boot

Es ging ihm ähnlich wie dem Spitzenschwinger Noe van Messel. Nach intensiven Vorbereitungen bekam Stier Zibu, der Siegerpreis des ESAF im Glarnerland, Probleme mit dem Knie und musste darum von seinem Stallkollegen Hägar ersetzt werden. Im Gegensatz zu Noe van Messel, der am ESAF nach drei Gängen aufgeben musste, wurde Zibu aber schon vor dem Start des Fests ausgewechselt. «Der Stier hatte zwar keine Schmerzen, stand aber etwas verspannt da», erklärt Züchter und Besitzer Bert Horner. «Als ich ihn nach seiner Rückkehr auf unseren Betrieb auf die Weide liess, machte er Freudensprünge und man sah ihm nichts mehr von seinen Beschwerden an», so Bert Horner weiter.

Ersatzmuni Häger, der aufgrund eines Sponsoring-Vertrags umgehend zu Zibu umbenannt wurde, machte sich in der riesigen Arena des ESAF aber ebenfalls sehr gut. «Dafür, dass wir mit dem Ersatzstier weniger intensiv geübt haben, verhielt sich dieser im Ring sehr vorbildlich», so Stierenzüchter Bert Horner. Er selber sei durch den Tierwechsel zwar anfangs schon etwas angespannt gewesen. Umso mehr habe er sich gefreut, dass alles so rund lief. Am Samstag konnten er und sein Stier zweimal, am Sonntag einmal gemeinsam durch die mit 56 000 Besuchern gefüllte Arena schreiten. «Es war schon ein unbeschreibliches Erlebnis, mitten bei diesem Superfest dabei sein zu können.»

Dass mit Armon Orlik ein Ostschweizer Schwingerkönig wurde, freut Bert Horner zusätzlich. «Armon Orlik hat den Königstitel verdient, er prägte das Schwingen in den letzten zehn Jahren», so der Glarner Züchter und Schwinger-Fan. Der Siegerstier habe bei der Preisübergabe die fehlende Routine des neuen Schwingerkönigs im Umgang mit Stieren zwar schon etwas gespürt, habe sich aber dennoch vorbildlich verhalten.

Wie fast immer, so entschied sich der neue Schwingerkönig für den beträchtlichen Geldwert des Stiers, wodurch sowohl Zibu als auch sein Ersatz auf dem Hornerhof oberhalb von Glarus verbleiben. Am Mittwoch besuchten Bert Horner und sein Stier noch die Königs-Feier in Maienfeld.

Am Zuger Stierenmarkt von kommender Woche werde aber keiner der beiden Stiere zu bestaunen sein. «Die Tiere hatten in den vergangenen Tagen genug Betrieb und geniessen nun die Ruhe auf unserem Hof», so Bert Horner. n Glarus verbleiben. Am Mittwoch besuchten Bert Horner und sein Stier noch die Königs-Feier in Maienfeld. Am Zuger Stierenmarkt von kommender Woche werde aber keiner der beiden Stiere zu bestaunen sein. «Die Tiere hatten in den vergangenen Tagen genug Betrieb und geniessen nun die Ruhe auf unserem Hof», so Bert Horner.