Sina Rellstab schaut hinunter auf den Zürichsee, auf die gegenüberliegenden Rebhänge und in Richtung Glarner Alpen im Süden. Der Ausblick ist ihr vertraut. Hier, auf dem Obst- und Beerenbetrieb oberhalb von Wädenswil ZH, ist sie aufgewachsen. Vor über einem Jahrzehnt allerdings war sie fortgezogen, um an der Fachhochschule Graubünden in Chur Tourismus zu studieren. «Ich arbeitete für Arosa Tourismus und als Skilehrerin, wobei ich den Massentourismus und die Schnelllebigkeit erlebt habe», erzählt sie. Ihr sei klar geworden, dass ihr diese Entwicklung nicht behage.
«Das Bündnerland ist meine zweite Heimat»
Neue Inputs erhielt Sina Rellstab während eines Praktikums bei der Standortförderung Zürioberland: «Dabei erfuhr ich, wie Tourismus, Landwirtschaft, Gesellschaft und Politik ineinandergreifen.» Sie habe begonnen, vieles aus der Vogelperspektive zu sehen, wie alles miteinander verbunden sei und wie wichtig Netzwerke seien. Das weckte ihr Interesse an langfristigen und ganzheitlichen Prozessen, worauf sie an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwirtschaft (HAFL) ein Masterstudium zur Regionalentwicklung in Berggebieten begann.
Gleichzeitig startete sie beim Bündner Bauernverband als Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit. Dass sie der Region treu blieb, ist kein Zufall: «Das Bündnerland ist meine zweite Heimat», erzählt die 30-Jährige. Sie habe hier viele Freundschaften geschlossen, und das Leben in den Bergen schätze sie sehr.
[IMG 3]
«Yoga ist eine Lebensphilosophie»
Eine wichtige Rolle seit ihrer Jugendzeit spielt auch Yoga: Es bedeute weit mehr als nur Körperübungen, erklärt Sina Rellstab. «Yoga ist eine Lebensphilosophie, eine Haltung, die Leben und Arbeit umfasst.» Es bilde einen unerlässlichen Gegenpol zum handlungsbetonten «Vorwärts», das den Alltag häufig präge. Ihre achtsameren Lebensweisen verstärkten sich während Reisen durch Asien. In Bali absolvierte sie zudem ihre Ausbildung zur Yoga- und Meditationslehrerin.
Zuvor hatte sie zusammen mit einer Freundin, die sie vom Studium her kennt, den Yoga-Retreat Glischura in Cumbel im Val Lumnezia GR gegründet. Hier bieten sie Wochenenden mit Yoga und verschiedenen Events an. Dabei ist Sina Rellstab jeweils als Köchin im Einsatz, zudem leitet sie die morgendlichen Meditationen. Im kommenden November läuft der Mietvertrag wegen Eigenbedarf der neuen Hauseigentümer aus. «Wie und wo es mit Glischura weitergeht, ist noch offen», sagt Rellstab. Es ist ihr anzumerken, dass dies wohl nicht das Ende des Projekts bedeutet.
Auch hauptberuflich standen in den letzten Jahren Veränderungen an: Die Wahlbündnerin kehrte vor einem Jahr nach Wädenswil zurück, um auf dem elterlichen Betrieb einzusteigen, und begann die Bäuerinnenschule am Plantahof. «Es geht ums Ausprobieren», erzählt Rellstab. Sie wolle herausfinden, ob sie sich eine Übernahme vorstellen könne, wenn der Vater in ein paar Jahren ins Pensionsalter kommt.
[IMG 4]
Die Früchte werden im eigenen Hofladen und auf dem Wochenmarkt verkauft
Der fünf Hektar grosse Betrieb hat sich auf den Anbau von Früchten spezialisiert: Hauptkulturen sind Erdbeeren, Himbeeren und Äpfel. Dazu kommen Kirschen, Zwetschgen, Brombeeren, Trauben, Kiwi und Marroni. Dabei setzt die Familie auf Direktvermarktung. Sie verkauft sämtliche Früchte im eigenen Hofladen und auf dem städtischen Wochenmarkt. «Dort trifft man viele bekannte Gesichter – Konsumenten wie auch andere Produzenten», erzählt Sina Rellstab. «Es ist immer ein grosses Hallo». Zurück in der alten Heimat habe sie realisiert, wie viele Leute sie noch von früher kenne.
[IMG 2]
Sie will der Bevölkerung Wissen vermitteln
Auf dem Betrieb hat zwar noch ihr Vater die Leitung, doch habe sie die Freiheit, eigene Ideen zu verwirklichen. «Es ist mir besonders wichtig, der Bevölkerung Wissen zu vermitteln», so Rellstab. Daher wolle sie sich beispielsweise die Zeit nehmen, um Kindergarten- und Schulklassen auf dem Hof zu empfangen. Sie könne sich vorstellen, auf dem Hof eine Begegnungszone zu schaffen. Ideen habe sie viele.
Auch im Bestehenden möchte sie die Philosophie des Yoga einbringen. Etwa bei der Teamentwicklung: Viele der Mitarbeiter(innen) seien schon seit Jahren dabei, längst hätten sich Gewohnheiten eingespielt: «Dabei wäre es spannend, herauszufinden, wie die eigenen Stärken und Vorlieben in die Arbeit einfliessen könnten», sagt Sina Rellstab. Zwar sei Tatkraft gefragt, um einen Betrieb zu bewirtschaften. Doch auch Zeit und Musse brauche es dafür. Dies wurde ihr besonders bewusst, als sie im letzten Winter in ein Burnout hineinrutschte und zurückstecken musste. «Für mich ist es umso mehr zur Aufgabe geworden, immer wieder von Neuem ein Gleichgewicht zu finden».
Fünf Fragen an Sina Rellstab
Welches Buch lesen sie zurzeit?
«Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins» von Milan Kundera.
Wohin würden sie gerne verreisen?
Wieder nach Indien oder nach Kirgistan.
Was bevorzugen Sie – Kaffee oder Tee?
Nach den Asienreisen eher Tee. Ich trinke jedoch gerne täglich einen Kaffee oder einen zeremoniellen Kakao.
Welches ist Ihr Lieblingstier?
Die Kuh. Die haben wir leider nicht auf dem Hof.
Welches ist Ihr Lebensmotto?
«Der Weg zeigt sich, du musst nur hinsehen und immer wieder den ersten Schritt machen.»