Wenn die letzten Älpler(innen) die ihnen anvertrauten Tiere talwärts führen, richtet sich die Aufmerksamkeit aus anderen Gründen auf die hohen Lagen: Sie könnten dank grosser Solarkraftwerke helfen, die befürchtete Winterstromlücke mit sauberer Energie zu füllen.
Bis 85 Prozent mehr Strom
Ein bekanntes Manko von Solarstrom ist, dass er typischerweise im Winter fehlt. Das gilt für alpine Photovoltaik-Anlagen in geringerem Masse: Wie das Bundesamt für Energie schildert, kann rund die Hälfte ihrer jährlichen Stromproduktion im Winter anfallen. Dies dank besserer Einstrahlungsverhältnisse (dünnere Luft, weniger Nebel) und durch vom Schnee reflektiertes Sonnenlicht. Generell ist in hohen Lagen mit höheren Stromerträgen zu rechnen. Untersuchungen der ZHAW mit einer Versuchsanlage auf der Totalp ob Davos GR zeigten gar Mehrerträge von 70 bis 85 Prozent im Vergleich zum Mittelland.
Das Parlament hat vor drei Jahren im Rahmen des «Solarexpress» beschlossen, alpine PV-Grossanlagen befristet zu fördern, namentlich über vereinfachte Bewilligungen und Einmalvergütungen in der Höhe von bis zu 60 Prozent der Investitionskosten. Dafür muss eine Anlage mindestens 10 GWh Solarstrom pro Jahr liefern.
«Wir haben einige Rückmeldungen erhalten. Vor allem nach der Einführung des Solarexpress war die Situation für die Bewirtschaftenden schwierig», schildert Selina Droz, Geschäftsführerin des Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verbandes (SAV). Von der Förderung profitierten nur Projekte, deren Baugesuch bis Ende 2025 öffentlich aufgelegt ist. «Da der Zeitdruck gross war und es vielfach um viel Geld ging, wurde teils viel Druck auf die Bewirtschaftenden ausgeübt.»
Empfehlungen für Alpbewirtschafter
Im Auftrag des SAV hat Agriexpert 2024 Grundlagen und Empfehlungen zu PV-Anlagen im Sömmerungsgebiet erarbeitet. Sie umfassen die rechtlichen Rahmenbedingungen, mögliche negative Effekte inklusive daraus hergeleiteter Entschädigungen und wichtige Punkte für den Vertragsabschluss.
Positionspapiere und Merkblätter
Keine Zeit für Rechtsberatung
Es standen Interessen im Raum, die Alpwirtschaftsflächen künftig mit aufgeständerten Solarpanels zu nutzen. In kürzester Zeit hätten die Betroffenen irgendwelche Zugeständnisse oder Verträge unterschreiben müssen, fährt Selina Droz fort. Ohne dass genügend Zeit für eine fundierte Beurteilung der Situation, eine Rechtsberatung usw. geblieben wäre.
Der SAV stellt sich nicht grundsätzlich gegen freistehende PV-Anlagen. Die Interessen der Alpwirtschaft – von Grundbesitzern und Bewirtschaftenden – müssten aber unbedingt gewahrt werden. Daher formuliert Selina Droz folgende Grundanforderungen:
- Keine Verdrängung der Alpwirtschaft.
- Beweiden muss zwingend möglich sein und vertraglich zugesichert.
- Solaranlagen vorzugsweise auf weniger wertvollen Weideflächen und in Gebieten mit bestehender Infrastruktur (z. B. Strassen, Leitungen usw.) erstellen.
- Ein massgeblicher Teil des Gewinns aus der Stromerzeugung muss zurück in die Alpwirtschaft fliessen, z. B. in Form von Infrastrukturerneuerungen.
- Die Bewirtschaftenden – sowohl Grundbesitzer als auch Pächter – müssen faire Abgeltungen erhalten für Zusatzaufwände, Schäden, Bewirtschaftungseinschränkungen und Duldung. Auch dies ist zwingend vertraglich festzuhalten.
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Es fehlen Grundlagen
Die Förderung erneuerbarer und CO2-neutraler Energiequellen sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, hält der SAV in seinem Positionspapier fest. Wenn obige Punkte erfüllt sind, könnten alpine Solaranlagen eine wirtschaftliche Chance für Grundeigentümer sein. «Es ist dem SAV ein Anliegen, dass alle Akteure der Alpwirtschaft über die nötigen Informationen verfügen, damit ausgewogene Entscheide getroffen und Verhandlungen mit den Anlagebetreibern auf Augenhöhe erfolgen können», schrieb der Verband im Frühling 2024.
Trotz Anstrengungen der betroffenen Kantone sowie von Beratung und Forschung sei der Wissensstand klar ungenügend. So fehlten eine Aufarbeitung der geltenden Gesetzesgrundlagen, Untersuchungen zu den Effekten der PV-Anlagen auf Beweidbarkeit und Weideverhalten der Tiere sowie das Pflanzenwachstum und die botanische Zusammensetzung der Weide.
Eine grosse Frage ist, wo alpine PV-Anlagen sinnvollerweise platziert werden sollen. Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) hat dazu kürzlich methodische Grundlagen zur Evaluation geeigneter Gebiete publiziert, die den Kantonen als Orientierung dienen sollen. Denn sie haben im Rahmen des Bundesgesetzes für eine sichere Stromversorgung den Auftrag, passende Zonen für freistehende Solaranlagen von nationalem Interesse zu finden.
Einen nationalen Zielwert für die Stromproduktion aus dieser Quelle gibt es indes nicht. Daher ist unklar, wie viele Projekte es dereinst geben wird. «Die Kantone werden sich in ihrer Energiestrategie Gedanken machen müssen, wie viel PV-Zubau sie anstreben und welche Rolle dabei freistehende Solaranlagen spielen sollten», so das ARE.
Sechs Prozent der Landesfläche
Aus Sicht des Bundes gibt es etwa 240 000 ha prüfenswerte Fläche für alpine PV-Anlagen, was sechs Prozent der Landesfläche entspricht. Die nicht abschliessende Karte des ARE lokalisiert Möglichkeiten vor allem im Westschweizer Jura (Waadt, Neuenburg, Bern, Jura), dem Voralpenbogen mit Chablais (Waadt, Freiburg), im Schwarzenburgerland und Napfgebiet (Bern, Luzern) sowie nordöstlich von Schwyz übers Toggenburg bis ins St. Galler Rheintal und in südexponierten Lagen inneralpiner Täler (Wallis, Waadt, Freiburg, Bern, Obwalden, Uri, Tessin, Glarus und insbesondere Graubünden).
Der Bericht des ARE ist vorsichtig formuliert, es ist die Rede von einer ersten Grobabschätzung. Allerdings teilt man darin dem Sömmerungsgebiet ein geringes Schutzinteresse zu. Da diese Flächen nicht ganzjährig genutzt sind, seien die landwirtschaftlichen Interessen beim Bau einer PV-Anlage weniger stark betroffen, als wenn es um LN gehe. Weiter gibt das ARE zu bedenken, dass teilweise weniger intensiv bestossen wurde, Vergandung und Verwaldung würden fortschreiten. Die Auswirkungen auf die Landwirtschaft liessen sich durch hohe Stützen (wegen der Schneedecke sowieso erforderlich) begrenzen.
Nicht auf FFF
Fruchtfolgeflächen (FFF) bezeichnet das ARE als «grundsätzlich Ausschlussgebiet» für freistehende PV-Anlagen, für die übrige LN bestehe ein «hohes Schutzinteresse». Bei den prüfenswerten Gebieten handelt es sich primär um LN ausserhalb der inventarisierten FFF oder Flächen im Sömmerungsgebiet. Die genauere Prüfung inklusive sorgfältiger Interessenabwägung liegt bei den Kantonen.
Mittlerweile habe sich die Situation um alpine Solaranlagen wieder etwas normalisiert, «inklusive Goldgräberstimmung», beobachtet Selina Droz. Der Zeitdruck des ursprünglichen Solarexpress hat abgenommen, seit das Parlament diese Förderung verlängert hat. Die hohen Kosten für diese Projekte trügen weiter dazu bei, dass nur die günstigsten weiterverfolgt würden, so Droz. Bislang sind gemäss Meldungen der Kantone fünf alpine Grossanlagen (mindestens 10 GWh pro Jahr, die Hälfte davon Winterstrom) rechtskräftig bewilligt. 12 sind öffentlich aufgelegt, sieben erstinstanzlich bewilligt. Vollständig in Betrieb ist bisher noch keine.
Wahrscheinliche Auswirkungen
Im Juli haben die wissenschaftlichen Forschungsarbeiten auf dem Mont-Soleil im Berner Jura gestartet. Die HAFL untersucht dort in Zusammenarbeit mit dem Burgdorfer Photovoltaiklabor insbesondere die Auswirkung von freistehenden PV-Anlagen auf Weiden. Eine (deutlich kleinere) Testanlage steht auch beim Plantahof in Landquart GR. «Es gibt zum Teil auch wissenschaftliche Untersuchungen aus dem Ausland» ergänzt SAV-Geschäftsführerin Selina Droz. Diese seien aber nur bedingt auf Schweizer Verhältnisse übertragbar. «Aus unserer Sicht braucht es dringend mehr wissenschaftliche Aufarbeitung und auch Begleitung der laufenden Projekte mit Fokus auf Nutzungskompatibilität, Einfluss auf Vegetation und Boden sowie Rechtsfragen.»
Der Plantahof weist in einem Merkblatt auf die grossen Unterschiede hinsichtlich Beweidbarkeit zwischen Gross- und Kleinvieh hin. Für ersteres brauchte es hindernisfreie Konstruktionen (auch betreffend Bodenverankerung und Verkabelung), um Verletzungsgefahren oder Beschädigungen der PV-Anlage zu verhindern. Ebenso seien der Schutz vor Blitz- und Stromschlag für Mensch und Tier zu beachten. Da die Vegetation sich in der Höhe nur sehr langsam entwickelt, sollte beim Bau der Anlage möglichst schonend mit der Grasnarbe umgegangen werden.
Je nach Auswirkungen auf die Futtergrundlage und damit die Bestossung kann es durch PV-Anlagen im Sömmerungsgebiet zu Beitragskürzungen kommen. Werden solche Projekte auf LN realisiert, verliert diese Fläche den Direktzahlungsanspruch (ausser, es handelt sich um Agri-PV).
