Mit dem Hochziehen des Vorhangs im Aussenklimabereich (AKB) öffnet Walter Stucki seinen Mastpoulets eine neue Welt: Zum ersten Mal dürfen sie nach draussen. Die Weide misst das Doppelte der Stallfläche und wird von Stuckis neustem Mitarbeiter – einem Mähroboter – in Schuss gehalten. Bäume und ein Dreieckstuch bieten Schatten und Deckung, aber so weit trauen sich die Hühner noch nicht.
Schon vor 10 Jahren
Für Walter Stucki ist die Haltung von Weidepoulets indes nicht ganz so neu. «Wir hatten das vor etwa 10 Jahren schon», erinnert sich der Landwirt aus Höchstetten BE. Das Programm war seinerzeit wieder eingestellt worden, nun ist es neu lanciert: «Die Migros stellt Masthühner von Optigal schweizweit auf IP-Suisse-Standard um», steht im aktuellen Migros-Magazin. Als Erstes ist das «Optigal Poulet ganz» mit dem Käfer erhältlich.
Für IP-Suisse sind drei Hubbard-Hybridlinien zugelassen. «Sie sind aktiver und immer auf Achse», beobachtet Walter Stucki. Im Vergleich zu den üblichen Mastlinien seien die Hühner ausserdem weniger bullig und legen weniger rasch an Gewicht zu. «Und sie sind schreckhaft», sagt der Landwirt. Ab dem 22. Lebenstag muss den Tieren die Weide zur Verfügung stehen, sagen die im Sommer aktualisierten Richtlinien von IP-Suisse. Wenn gemäss BTS Zugang zum AKB gewährt wird, soll auch die Weide offen stehen – soweit Temperatur und Wetter stimmen.
«Sie sind aktiver und immer auf Achse.»
Landwirt Walter Stucki stellt bei den neuen Masthybriden ein anderes Verhalten fest.
Für das Tierwohl
«Wir machen das in erster Linie wegen des Tierwohls», hält Walter Stucki fest. Der Entscheid sei zusammen mit den drei Töchtern gefallen. Der Landwirt rechnet dank der Prämie bei einem Umtrieb pro Jahr weniger mit demselben Verdienst. Einmal weniger den Stall zu reinigen, sei für ihn als 60-Jährigen eine gute Sache, meint Stucki. Ausserdem hält er die Hühner auf der Weide für ein gutes Werbebild. «Das haben wir das letzte Mal gemerkt – die Leute fragten nach den Poulets, als das Weideprogramm eingestellt worden war.»
In Stuckis 300-m2-Masthalle ist bis auf die neue Hybridrasse alles beim Alten. Die alten Zaunpfähle, die bisher etwas verloren mitten auf einer Kuhweide gestanden haben, halten nun wieder den Elektrozaun rund um den Poulet-Auslauf. Der Viehhüter von einst ist auch wieder in Betrieb. Da das Gras im Auslauf sehr kurz gehalten werden muss, ist der Mähroboter wertvoll.
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Betriebsspiegel Walter Stucki
LN 11 ha
Tierbestand 300-m2-Pouletmasthalle, einige Galtkühe von anderen Betrieben
Kulturen IPS-Brotweizen, Raps, Mais, 3 ha Weide
Arbeitskräfte Betriebsleiterpaar (beide arbeiten Teilzeit auswärts), jeweils Helfer fürs Ausstallen
Lüftung ist das A und O
IP-Suisse empfiehlt zur Gesundhaltung der Hühnerfüsse Strohpellets, Walter Sucki macht seit Jahren gute Erfahrungen mit Würfeln aus Kornspreu. Das A und O sei aber die Lüftung, betont der langjährige Pouletproduzent. In seiner Halle wird noch manuell gelüftet. «Man darf auch nicht bei der Heizung sparen wollen», fährt Stucki fort. Die Luftqualität sei zentral, damit die Einstreu trocken bleibt und um am Ende der Mast das nötige Lebendgewicht erzielen zu können.
Zwar verspricht die IP-Pouletmast eine Prämie und einen Umtrieb weniger, der Auslauf im Grünen ist aber mit Zusatzaufwand verbunden: Während der Weidephase – je nach Mastdauer zwischen 12 und 20 Tagen – müssen die Zugänge täglich geöffnet und geschlossen werden, wobei die Temperatur zu beachten ist. Sonst springt im Stall die Heizung an und die Mastpoulets sind nicht so wetterfest wie Legehennen. Noch weiss Walter Stucki ausserdem nicht, wie sich die Anwesenheit von Milan und Bussard auswirken wird.
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Weniger Abgänge
«Wenn es abends dunkel wird, gehen die Hühner selbst in den Stall zurück», schildert Stucki. Erfreut hat er festgestellt, dass es in diesem ersten IP-Umtrieb weniger tote Tiere gab. Meist habe er 1,5 bis 2 Prozent Abgänge verzeichnet, nun seien es nach 22 Tagen weniger als 1 Prozent gewesen.
Schon 1990 hat Walter Stucki zur inneren Aufstockung eine Pouletmasthalle gebaut. Damals gab er die Milchproduktion auf, die zuletzt mit rund 12 Kühen im Ein-Mann-Betrieb nicht mehr rentabel war. «Wenn ich ein junger Landwirt wäre, würde ich wieder auf Poulets setzen», meint der Berner rückblickend. Er komme gut mit den Hühnern zurecht und schätzt, wie planbar die Haltung ist. Man sei zwar – wie generell in der Tierhaltung – relativ angebunden. «Es geht aber in erster Linie ums Beobachten und nicht um schwere körperliche Arbeit», ergänzt der Landwirt.
Schwieriger Zeitpunkt
Angesichts des steigenden Konsums von Geflügelfleisch und der guten Bekanntheit des Käfers ist Walter Stucki optimistisch, was den Absatz des IP-Poulets angeht. Gleichzeitig falle die Lancierung mit der allgemeinen Teuerung in eine schwierige Zeit, gibt er zu bedenken. Es wird sich noch weisen müssen, ob die Konsument(innen) mehr für Weidepoulets zahlen wollen.
Die Hühner in Höchstetten jedenfalls wagen sich immer weiter vor, die ersten setzen ihre Füsse ins Gras. Bald werden sie die ganze Weide erobert haben, ist Walter Stucki überzeugt.
«Wir sehen uns verpflichtet», sagt die Migros
Vor Jahren wurde Freiland-Poulet in der Migros unter der Hausmarke Terra Suisse angeboten, dann aber wieder aus dem Sortiment gekippt. «Das Bedürfnis nach erhöhten Tierwohlstandards seitens Kunden war damals noch nicht so ausgeprägt wie heute», begründet die Migros auf Anfrage. Somit habe auch die Bereitschaft gefehlt, für den Mehrwert einen Aufpreis zu zahlen.
Standards weiterentwickeln
Als Motivation für die erneute Umstellung verweist die Detailhändlerin auf ihr grosses Umsatzvolumen. Aufgrund dessen sehe man sich verpflichtet, die Tierwohl-standards stetig weiterzu-entwickeln. «Mit dem Schritt hin zum Weidegang haben wir dies getan.»
Geplant ist die Umstellung aller Migros-Masthühner auf IP-Suisse-Standard, was die Grundanforderungen im Bereich Biodiversität und Klima, den Einsatz der vorgegebenen Hühnerrasse und eine strukturierte Weide umfasst.
Weitere Produzenten
Gestartet wird mit dem «Optigal Poulet ganz». Danach will man prüfen, inwieweit ausgebaut wird. Dafür wären weitere Produzenten not-wendig, heisst es auf Anfrage.
Preislich bewege sich das neue IP-Poulet für die Kunden im «branchenüblichen Preis-segment für Mehrwertprodukte». Für Mehrkosten durch die Umstellung sowie den zusätzlichen Aufwand werden die Bauern entsprechend entgolten, so die Migros.
