Vom Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL, nicht zu verwechseln mit dem Bundesamt für Landwirtschaft BLW) hört man wenig, dabei ist es für die Schweizer Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Zusammen mit seinem Milizteil – also mit der Privatwirtschaft – bildet es die wirtschaftliche Landesversorgung (WL). Die Milizorganisation besteht dabei aus rund 250 Fachleuten aus der Privatwirtschaft und weiteren Verwaltungseinheiten. Im Zusammenhang mit der Pandemie oder den steigenden Düngerpreisen wurde dem BWL jüngst vermehrt mediale Aufmerksamkeit entgegengebracht.
«Meist merkt man nichts»
Mangelsituationen, in denen das BWL zusammen mit der Wirtschaft Lösungen erarbeitet, gibt es gemäss dem Delegierten Werner Meier immer wieder, «nur spüren die Menschen zum Glück und dank der Massnahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung meist nichts davon», wie Meier im Interview gegenüber dem BWL schreibt.
Beispiel Pandemie 2020: In Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Strassen (Astra) hatte die WL beim Ausbruch der Pandemie Massnahmen getroffen, um die Versorgungssicherheit aufrecht zu halten, wie Werner Meier im Interview sagt. So durften Lastwagen der Detailhändlerinnen unter anderem auch nachts und an Sonntagen fahren. Dies sicherte die Verteilung der Lebensmittel und der lebensnotwendigen Medikamente an die Detaillisten.
Beispiel Düngerkrise 2021: Im Dezember 2021 informierte das BWL die zuständige Pflichtlager-Organisation Agricura, dass die Pflichtlagerhalter – wo nötig – 20 % der gesamten Pflichtlagermenge an Reinstickstoff beziehen dürfen. Auf Anfrage der BauernZeitung ergänzt Agricura: «Die steigenden Düngerpreise sind nicht der Grund für die Pflichtlagerfreigabe, sondern das Niedrigwasser des Rheins sowie die mangelnde Verfügbarkeit der Stickstoffdünger wegen der steigenden Erdgaspreise».
Voraussetzung für eine solche Freigabe ist, dass die Nachfrage durch den Markt nicht mehr gedeckt werden kann. «Bei einer sich abzeichnenden Störung der Versorgung mit einem lebenswichtigen Produkt führt dieWL jeweils eine Marktanalyse durch. Die Resultate dieser Analyse geben Aufschluss darüber, ob eine Pflichtlagerfreigabe nötig ist», erklärt das BWL auf Anfrage.
Der Bund agiert im Hintergrund
Der Bund kann bei einer Knappheit von Stickstoffdünger, wie es in diesem Jahr der Fall war, anordnen, Teile der Pflichtlager freizugeben. Müssen jedoch mehr als 20 % der Pflichtlager freigeben werden, unterliegt dies dem Aufgabenbereich des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF). Nebst der Freigabe der Pflichtlager behandelt die WL u. a. folgende Themen:
- Versorgungsstörungen von Impfstoffen und Arzneimittel beheben oder vorbeugen,
- Massnahmen für Mangellagen im Strom- und Gasbereich treffen,
- Aufbau des Ethanol-Sicherheitslagers veranlassen,
- Die Resilienz der Bevölkerung stärken und auf die Wichtigkeit eines Notvorrats aufmerksam machen
- Grossverbraucher übernötige Vorbereitungen fürmögliche Strom-Mangellagen informieren
- Empfehlungen zum Schutz kritischer Infrastrukturen vor Cyber-Angriffen abgeben
- Aufbau von Raps-Pflichtlager veranlassen
An Stellenwert verloren
Die landwirtschaftliche Produktion ist, wie oben erwähnt, ein wichtiger Punkt auf der Agenda der WL. Allerdings verlor die Versorgungssicherheit nach dem Ende des Kalten Krieges an Stellenwert, wie Werner Meier beschreibt. In der Folge wurden in den 1990er-Jahren diverse Saatgut-Pflichtlager abgeschafft.
Bei der Revision des Landesversorgungsgesetzes 2016 durch das Parlament wurde Saat- und Pflanzgut als lebenswichtig eingestuft. In der Folge wurden die Pflichtlagerhaltung überprüft und ein Raps-Saatgutpflichtlager via Vernehmlassung lanciert. «Die Inkraftsetzung dieses Pflichtlagers ist für das Jahr 2022 geplant», heisst es beim BWL.
Der Bund ist nicht Eigentümer
In Punkto Pflichtlagerhaltung arbeitet der Bund eng mit der Wirtschaft zusammen: Der Bund bestimmt, welche lebenswichtigen Güter an Lager gehalten werden müssen und auch in welchen Mengen. Doch er ist nicht Eigentümer dieser Pflichtlager, sondern die entsprechendenUnternehmen selbst. Kann die Wirtschaft die Nachfrage nach lebenswichtigen Gütern aufgrund eines Engpasses nicht mehr decken, können Vorräte auf Anordnung des Bundes freigegeben werden, erklärt das BWL auf dessen Website.
Pflichtlager mit Pflichten
Die Unternehmen, die Pflichtlager halten, können sich in Organisationen zusammenschliessen. Aktuell bestehen folgende Pflichtlager-Organisationen:
- Réservesuisse Genossenschaft, für Nahrungs- und Futtermittel
- Helvecura Genossenschaft, für Heilmittel
- Agricura Genossenschaft, für Stickstoffdünger
- Carbura, für Mineralöl
- Provisiogas, für Erdgas
Am Beispiel der Pflichtlager-Organisation Agricura versteht man, wie sich die Finanzierung der Pflichtlager in der Praxis umsetzt: «Für die Finanzierung der Stickstoff-Pflichtlagerhaltung fliessen keine Bundesgelder», wie Agricura auf ihrer Website erklärt.
In Händen von Privaten
In einer Versorgungskrise mit Stickstoffdüngemitteln können Landwirte also nicht auf eine staatliche Versorgung zählen. Das Landesversorgungsgesetz sieht jedoch vor, dass Pflichtlager-Organisationen auf so-genannte Garantiefonds zurückgreifen dürfen. «Mittel des Garantiefonds können herangezogen werden, um die mit der Pflichtlagerhaltung verbundenen Aufwendungen zu decken», schreibt Agricura. Über diese Fonds werden die Lagerhalter für ihre Lagerkosten entschädigt und Preisschwankungen der Lagerware aufgefangen.
30 Franken pro Tonne Stickstoff
Gemäss der Agricura betragen die Garantiefonds-Abgaben zurzeit 30 Franken pro Tonne Reinstickstoff. «Die Beiträge leisten alle Inverkehrbringer von stickstoffhaltigen Düngemitteln beim erstmaligen Absatz im Zollinland», so Agricura. Für Phosphat- und Kalidünger bestehen übriges keine Pflichtlager, da man davon ausgeht, dass die Bodenreserven für die Sicherstellung einer Ernte genügen.
"Die Schweiz ist zu 100 % abhängig vom Ausland"
Die Wichtigkeit des Pflichtlagers von Stickstoff unterstreicht die Tatsache, dass die Schweiz zur Deckung ihres mineralischen Stickstofdüngerbedarfs zu 100 % vom Ausland abhängig ist. «Sowohl die massgebenden Ausgangsstoffe für die Herstellung als auch die fertigen Stickstoffdüngemittel werden importiert», schreibt Agricura.
Pflichtlager am Bsp. Ernährung
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Die Vorratshaltung der aufgeführten Rohstoffe ist obligatorisch. Die Waren müssen für die angegebene Zeitspanne in den Pflichtlagern vorhanden sein.
Empfohlen ist ein Notvorrat für eine Woche
Auch wenn man beruflich selbst Nahrungsmittel produziert, lohnt es sich, einen Blick auf den vom Bund empfohlenen Notvorrat zu werfen.
Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) empfiehlt, einen Notvorrat an nicht verderblichen Lebensmitteln für eine Woche vorzuhalten: «Lebensmittel und andere Verbrauchsgüter werden täglich über ein gut funk-tionierendes Verteilersystem transportiert. Fällt dieses Transportsystem aufgrund blockierter Strassen oder aus anderen Gründen aus, können kleinere Ortschaften innert kurzer Zeit von der Lebensmittelversorgung abgeschnitten werden. Man geht heute davon aus, dass ein Versorgungsunterbruch zwar nicht Monate, aber doch mehrere Tage andauern könnte. Deshalb empfiehlt das BWL, einen Vorrat für rund eine Woche zu halten».
Nicht vergessen: Da bei einem Stromunterbruch auch Bancomaten betroffen sind und elektronische Zahlungsmittel wie Debit- und Kredit-karten oder die Bezahlung via Smartphone ausfallen können, empfiehlt das BWL eine minimale Bargeldreserve in kleinen Scheinen.
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Die Pflichtlager sind in folgende Bereiche unterteilt:
- Pflichtlager Ernährung
- Pflichtlager Energie
- Pflichtlager Heilmittel
- Pflichtlager Industrie
Das Beispiel Ernährung ist in der Tabelle oben aufgeführt.
Die Pflichtlager umfassen Nahrungsmittel wie Zucker, Reis, Speiseöle oder Brotgetreide. Auch Produktionsfaktoren wie Dünger und Futter-mittel lagern in privatrechtlich betriebenen Pflichtlagern.Die Warenmengen sollen dem durchschnittlichen schweizerischen Bedarf von drei bis vier Monaten entsprechen.
Energieversorgung zentral
Gemäss dem BWL stehen bei der Sicherstellung der Energieversorgung Mineralöl, Erdgas und Elektrizität im Vordergrund. Autobenzine, Diesel- und Heizöle entsprechen dem durchschnittlichen schweizerischen Bedarf von viereinhalb Monaten, Flugpetrol dem Bedarf von drei Monaten. Im Erdgasmarkt verfügen die Importeure über kleinere Erdgasspeicher, um kurzfristige Schwankungen von Angebot und Nachfrage ausgleichen zu können.
Für Influenza gewappnet
An Pflichtlager liegen Human-Antiinfektiva, die gegen alle gängigen Infektionskrankheiten eingesetzt werden, für fünf bis sechs Monate. Für den Fall einer Influenza-Pandemie besteht ein Pflichtlager an Virostatika. Starke Schmerzmittel werden für einen Drei-Monatsbedarf an Lager gehalten.
Zudem werden seit 2016 Pflichtlager mit ausgewählten Impfstoffen aufgebaut. Hämostatika, Insuline und diverse Medizinprodukte werden ergänzend gelagert. Im Veterinärbereich liegen Arzneimittel für den durchschnittlichen Verbrauch von zwei Monaten an Pflichtlager. Ergänzend bestehen Kunststoffvorräte für die Herstellung von Arznei- und Lebensmittelverpackungen.
