«Wenn der Mittelstand zusehends wegbricht, ist unsere einzige Chance, ganz oben einzusteigen», sagt «Käsepapst» Rolf Beeler. Dafür müsse aber auch die Qualität stimmen. Und da bestehe teilweise noch viel Luft nach oben – insbesondere beim Emmentaler. «Wenn ich eine Werbung dafür sehe, ist der Käse immer gelb», sagt er. «Damit kann man sich nicht abheben von billigen Konkurrenzprodukten wie Allgäuer». Der Markt verlange nicht nach dem jungen Käse, sondern nach dem «feucht gereiften mit der braunen Rinde».

Abo Sortenkäse Emmentaler AOP steckt in einer Lochkrise – obwohl die Lösung klar wäre Monday, 1. July 2024 Dass Käsehändler Beeler Kritik äussert an der Markenstrategie der Schweizer Käseproduktion, ist nichts Neues. In den letzten zwei Jahren hat seine Kritik aber an Aktualität gewonnen. Die Folgen von Krieg und Sanktionen gegen Russland haben die Wirtschaft in vielen europäischen Ländern ins Taumeln gebracht, Inflation und hohe Energiepreise die Kaufkraft der Mittelschicht geschmälert. Und das trifft den Schweizer Käseexport ganz direkt.

«Der Mittelstand verschwindet»

«Unsere Zielgruppe im Export sind die Mass-Premium-Konsumenten, also der obere Mittelstand», heisst es bei Switzerland Cheese Marketing (SCM). Die Organisation bemüht sich um das Image der Schweizer Käseproduktion in den Exportmärkten und im Inland. Gerade im wichtigen Markt Deutschland sei die Zielgruppe wirtschaftlich stark unter Druck geraten, sagt SCM-Marketingleiter Martin Spahr: «Der Mittelstand verschwindet langsam.»

Damit bleibt den Schweizer Exporteuren nur die Flucht nach oben: ins Hochpreissegment. «Wir können gar keine andere Strategie fahren», sagt Spahr. Vorgemacht hat es der langjährige Kritiker Beeler: «In Spanien erhält man unsere Ware im Corte Inglés», veranschaulicht dieser. Das Warenhaus spielt in einer ähnlichen Liga wie Globus in der Schweiz. «Unsere Zielgruppe sind die oberen Zehntausend», macht der Käsehändler klar.  [IMG 2]

Auch in Skandinavien hat Beeler eine zahlungskräftige Kundschaft ausgemacht. Dort dauert die Saison für Raclette und Fondue wegen des nordischen Winters viel länger. «Ein sehr guter Markt, bisher sträflich vernachlässigt», so Beelers Fazit. Auch dort gilt für ihn aber: Beliefert werden nur die besten Läden.

«Wie Mouton Rothschild»

Grosse Mengen werde man auf diese Weise nicht los, räumt Beeler ein. Andererseits sei der Fokus auf eine gut betuchte Kundschaft «die einzige Chance, die wir haben». Langfristig werde damit auch der Konsum in der Mittelschicht stabilisiert. Denn was bei den ganz Reichen gut ankommt, ist auch für eine weniger begüterte Konsumentenschicht attraktiv. Als Beispiel nennt Beeler die Weine von «Château Mouton Rothschild». «Da gibt es neben dem Topprodukt auch Weine in günstigeren Preisklassen, und die machen vielleicht sogar mehr Umsatz», sagt er. «Das Renommee der Marke kommt aber vom Topwein».

Und damit stellt Beeler die Qualitätsfrage. Wer bei den reichen Ausländern punkten wolle, müsse ganz auf Rohmilch und vollreifen Käse setzen, ist er überzeugt. In der Schweiz zeige sich dies am aktuellen Erfolg von Gruyère. «Das läuft das ganz gut», so Beelers Einschätzung. Auch dem Sbrinz prophezeit er gute Zeiten. Die besten Chancen auf dem internationalen Premiummarkt sieht Beeler für Alpkäse oder den Alpsbrinz. «Diese erhalten wertvolle Vitamine und Omega-3-Säuren, die andere Produkte nicht bieten können», sagt er. Auch das Tierwohl sei beim Alpkäse ein wertvolles Argument. Ihm gelinge es immer wieder, selbst überzeugten Veganern Alpkäse zu verkaufen.

Wer hohe Preise will, muss sich abheben

Am anderen Ende der Skala sieht er neben dem bereits erwähnten Emmentaler den Appenzeller, der nur noch teilentrahmt und thermiert erhältlich sei. «Beim Appenzeller gibt es mittlerweile zu viele Sorten, gleichzeitig wird das Originalrezept gar nicht mehr verwendet», kritisiert er. Selbst setzt er auf einen Roh- und Vollmilchkäse nach dem alten Appenzeller-Rezept. Aus markenschutzrechtlichen Gründen darf das in Schwellbrunn AI hergestellte Produkt paradoxerweise nicht unter dem Namen Appenzeller verkauft werden. Für seine Kunden sei das aber nicht das Entscheidende, bemerkt Beeler: Der Schwellbrunner Bergkäse laufe auf jeden Fall gut.

Wer hohe Preise will, muss sich abheben. Dass das auch seine Tücken haben kann, zeigt das Beispiel Gruyère. So enervierte sich der Direktor Philippe Bardet an der Delegiertenversammlung der Sortenorganisation darüber, dass «Coop trotz harten Gesprächen mit der Sortenorganisation eigenwillig in ihren Filialen Gruyère AOP in der Billiglinie Prix Garantie anbietet». Das sei «eine Degradation unsres hochwertigen Produkts», so Bardet.

«Es gibt keinen schlechten Schweizer Käse»

Dabei habe die Sortenorganisation alle Verpackungen von Le Gruyère AOP, die derzeit angeboten würden, offiziell bewilligt, heisst es dazu bei Coop. Der Haken: «Die Produkte werden nicht unter unserer beliebten Prix-Garantie-Linie angeboten, sondern unter der von der Sortenorganisation Gruyère offiziell freigegebenen Linie ‹Value Pack›». Es handle sich um Artikel mit guter Qualität und dauerhaft attraktiven, tiefen Preisen – auch im Vergleich zu den Tiefpreislinien anderer Schweizer Detailhändler. «Käse wie Tilsiter, Gruyère oder Vacherin sind zudem keine klassischen Markenartikel», so Coop. «Wir führen sie als Sortenkäse auch unter verschiedenen Eigenmarken von Coop, so zum Beispiel als Bioversion unter Coop Naturaplan oder auch als Premiumversion unter Coop Fine Food.»

Premium oder nicht – für Martin Spahr ist klar: «Es gibt keinen schlechten Schweizer Käse, einfach nur verschiedene Nischen.» Vereinzelte Kritik komme noch aus früheren Zeiten. «Damals wurde vor allem Emmentaler exportiert, das Schweizer Militär nahm grosse Mengen jungen Käses ab: Die Leute assen in der Rekrutenschule den jungen Emmentaler und entdeckten den Reifen erst später auf Reisen.» Daraus sei die Mär entstanden, dass der beste Schweizer Käse exportiert werde. «Diese Erzählung war nie richtig, hält sich aber bis heute», so Spahr.

Aufholen beim Weichkäse

Der schwächelnde Export ist nicht die einzige Herausforderung, die sich der Schweizer Käseproduktion stellt. Auch hierzulande ist der Griff zum Schweizer Produkt für viele Kundinnen längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Stark ist die ausländische Konkurrenz vor allem bei Frisch- und Weichkäse. 62 Prozent des Imports fallen laut Martin Spahr in diesen Bereich. «Das sind bekannte Brands mit entsprechenden Werbebudgets, zum Beispiel Cantadou oder Philadelphia», verdeutlicht er. Dazu kommt, dass die immer neuen Ernährungstrends dem Hart- und Halbhartkäse nicht in die Karten spielen. Kundensegmente, denen leichte Küche und gesunde Ernährung wichtig sind, greifen eher zu Mozzarella oder Frischkäse.

«In diesem Bereich ist es für die Schweiz schwierig, preislich mit der Konkurrenz mitzuhalten», räumt Spahr ein. Das Marketing setze deshalb stark auf innere Werte wie lokale Produktion und Nachhaltigkeit. «Meinen Grosseltern musste ich nicht erklären, dass Milch und Käse Naturprodukte sind. Bei den Konsumenten von heute ist das anders», sagt Spahr.

Gastro deklariert nicht

Bei SCM werde deshalb versucht, den Fokus verstärkt auch auf Schweizer Frisch- und Weichkäse zu legen. «In der Schweiz werden pro Jahr 25 000 Tonnen Mozzarella produziert, aber nur 16 000 Tonnen Raclette», gibt Spahr zu bedenken. Auch hier müsse aber die Qualität kommuniziert werden. «Konsumenten halten Marken wie Galbani für das Original aus Italien, dabei kann dort durchaus auch Milch aus Polen drin sein», verdeutlicht er.

An ihre Grenzen kommt die Kommunikation von SCM dort, wo der Kunde gar nicht weiss, was für ein Milchprodukt er konsumiert – zum Beispiel in der Gastronomie. Auf deren Konto gehe denn auch ein Grossteil der Importe, so Spahr. Im Gegensatz zum Fleisch muss beim Käse die Herkunft nicht deklariert werden. «Man weiss bei einer Lasagne, woher das Fleisch, aber nicht, woher der Käse kommt», sagt er. «Angesichts der Preisunterschiede ist es in diesem Segment besonders schwierig – Importkäse aus Deutschland ist in dieser Kategorie deutlich günstiger.»