«Das Überleben der Menschheit hängt von 30 cm Ackerboden ab», betonte der Präsident der Aaremilch AG, Ruedi Bigler. Er durfte am Mittwoch vergangener Woche in der alten Reithalle Thun BE einen Saal voller Milchproduzenten zum Informationsanlass begrüssen. Und er betonte die Wichtigkeit der Kuh in der menschlichen Ernährung. «Die Kuh hat dem Menschen mit ihrer Fähigkeit, aus Gras Milch und Fleisch zu machen, zu Wohlstand verholfen», erklärte er und rief die Milchproduzenten zu mehr Selbstvertrauen auf: «Wir lassen uns nicht schlechtreden.»

Nachhaltigkeit betonen

Mit dem Branchenstandard Nachhaltige Schweizer Milch haben nun alle Produzenten einen wichtigen Schritt in die Zukunft gemacht. Bei der Aaremilch AG habe es in den letzten Wochen noch ein paar Telefonate und Überzeugungsarbeit gebraucht, aber nun sei es geschafft und alle Betriebe sind auf dem «Grünen Teppich». Die Erleichterung bei Vorstand und Geschäftsführung über diese Nachricht war spürbar. Der Branche ist der gute Ruf wichtig, um gegenüber Politik und Gesellschaft die Trümpfe ausspielen zu können. Dazu gehört es auch, die Nachhaltigkeit der Milchproduktion zu betonen: «Aus einem Kilo Soja entstehen rund 250 g Tofu und 750 g Nebenprodukt, das die Kuh im Gegensatz zum Menschen verwerten kann», rechnete Ruedi Bigler vor. Im Vergleich zu anderen Nutztieren habe die Milchkuh die höchste Proteineffizienz.

Veränderter Arbeitsmarkt

Ein weiterer Trumpf machte Donat Schneider, Geschäftsführer der Aaremilch AG, deutlich: «Während die ganze Schweiz über kürzere Arbeitswochen und Work-Life-Balance spricht, seid ihr euch nicht zu schade, sieben Tage pro Woche zu arbeiten.» Solche Leute seien immer seltener zu finden und seien in Zukunft umso gefragter. Die veränderte Arbeitswelt macht sich auch auf dem Milchmarkt bemerkbar. So komme zu der saisonalen Milchpreis-Schwankung auch die wöchentliche. Es werde immer schwieriger, am Wochenende Milch zu verkaufen, da sie niemand verarbeiten wolle, berichtete Donat Schneider. Die Aaremilch AG habe stark von der Partnerschaft mit Elsa profitiert. Insbesondere konnte ein höherer Milchpreis realisiert werden. «Mir ist jedoch bewusst, dass gleichzeitig auch die Produktionskosten gestiegen sind», relativierte Donat Schneider diesen Erfolg.

Sorgenkind Käsemarkt

Insgesamt habe die Aaremilch AG im vergangenen Jahr mehr Milch vermarktet als noch 2022. Auch das sei ein gutes Zeichen, denn damit habe man Marktanteile gewonnen, was auch darauf hindeute, dass die Produzenten zufrieden seien bei der Aaremilch AG. So konnten auch neue Produzenten dazugewonnen werden.

Weiterhin Sorgen bereitet der Milchbranche der Käsemarkt. «Käse ist die Lokomotive im Milchmarkt», betonte Donat Schneider. Dieser Markt sei nun stark in Bewegung und zahlreiche Käsereien seien am Umdisponieren. Aktuell ist die Schweiz darauf angewiesen, dass rund 250 Mio kg Milch, mehrheitlich in Form von Käse, exportiert werden. Langfristig rechnen aber Marktkenner damit, dass im Inland die Milchproduktion weiter sinken wird und somit der Exportmarkt an Bedeutung verlieren könnte.

Elsa baut Produktion aus

Ebenfalls Elsa, der Mehrheitsaktionär der Naturparkkäserei im Diemtigtal, richtet sich auf einen veränderten Käsemarkt aus. Bereits hat die Käserei im Berner Oberland zu wenig Kapazität und soll für rund 900'000 Franken ausgebaut werden. Damit soll insbesondere mehr Raclettekäse produziert werden können, der in der Migros unter der Marke Raccard in den Regalen steht. Rund 2000 Tonnen mehr Käse kann dann die Käserei produzieren. Für die Herstellung hochwertiger Produkte fehle aber ebenfalls die Lagerkapazität. Diese werden aktuell noch ausgelagert, informierte Roland Oberholzer von Elsa. Mit dem Ausbau der Lagerkapazität wolle man zuwarten, bis sich die Lage auf dem Käsemarkt planbarer präsentiere. Sicher sei jedoch, dass Butter und Pulver als Überschussverwertung an Bedeutung verlieren würden und stattdessen auf hochwertigeren Käse gesetzt werde.

Im Ausland ist Schweizer Käse doppelt so teuer geworden
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Das wirtschaftliche Umfeld bleibt für die Exportwirtschaft weiterhin ungünstig. Der Wechselkurs des Euro macht Schweizer Käse im Ausland teuer. Aufgrund der Inflation drückt ausserdem die Konsumentenstimmung insbesondere auch in Deutschland, dem wichtigsten Importeur von Schweizer Käse. Gegenüber dem Vorjahr sind die Käseexporte im vergangenen Jahr um 3456 Tonnen gesunken.

An der Informationsveranstaltung der Aaremilch-Produzenten rechnete Geschäftsführer Donat Schneider vor, was der veränderte Wechselkurs für die Konsumenten im Ausland bedeute: Wurde im Jahr 2007 ein Schweizer Käse für 10 Franken je kg exportiert, kostete er den Konsumenten in Deutschland rund sechs Euro. Wird heute dieser Käse zum gleichen Preis exportiert, kostet er aufgrund der Frankenstärke nun 10.50 Euro, also fast das Doppelte. Dieser Kaufkraftverlust führe dazu, dass teurere Produkte in den Regalen liegen blieben, begründete Schneider den Exportrückgang.

Somit ist auch begründet warum insbesondere der teure Markenhartkäse an Marktanteilen verliert. Im vergangenen Jahr ­wurden 1849 Tonnen weniger ­exportiert als noch im Vorjahr. Umgekehrt sind hingegen die Importe billig geworden.

Insgesamt exportierte die Schweiz im vergangenen Jahr 73'494 Tonnen Käse. Im Vorjahr waren es noch 76'950 Tonnen.

Importiert wurden im Gegenzug im vergangenen Jahr 74'266  Tonnen Käse, rund 1168 Tonnen mehr als noch im Jahr 2022. Der Grossteil davon ist Frischkäse und Quark, nämlich 32'290 Tonnen.

Kommentar von Daniela Joder

Wohin mit dem Käsemarkt?
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Während in den Dörfern die Käsereien schliessen, baut Elsa die Naturparkkäserei kurz nach deren Fertigstellung bereits aus. Der Käsemarkt ist zwar in guten Zeiten die Lokomotive des Milchmarkts, kann aber auch zum Klotz am Bein werden. Solange im Ausland Käufer gefunden werden müssen, die sich den Schweizer Käse leisten können und wollen, regiert der Weltmarkt.

Milch ist ein wenig planbares Geschäft, das sich nicht einfach erklären lässt. Jeden Tag eine andere Menge, jede Woche andere Gehalte, ein launischer Konsument, der mit seinem Griff ins Regal die Nachfrage bestimmt. Wie ein Schmetterling, der in Australien mit den Flügeln schlägt und auf der anderen Seite der Welt einen Wirbelsturm auslöst. Darum sei davor gewarnt, unbedacht an einem der vielen Schräubchen zu drehen und das labile Gleichgewicht zu stören.

Das erklärt es, warum es einer Migros leichter fällt, in den Käsemarkt zu investieren, und warum eine Dorfkäserei lieber den Laden zu tut. Milchmarkt braucht einen langen Atem, einen breiten Rücken und starke Nerven. Und es braucht Arbeitskräfte, die helfen, am Karren zu ziehen, die mehr als das Nötigste tun, die sieben Tage in der Woche mit Herzblut ein Produkt herstellen, dessen Wert der Markt im Moment nicht zu zahlen bereit ist. Der Milchmarkt wird sich verändern müssen. In welche Richtung, weiss niemand.