Seit über zwei Jahrzehnten stehen Züchtung, Fütterung und Gesundheit der Milchkühe im Zentrum vieler Projekte am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL. Eines der wichtigsten Anliegen des biologischen Landbaus besteht darin, die evolutionsbedingten Spezialisierungen domestizierter Tiere so zu fördern, dass sie unter artgemässen Haltungs- und Fütterungsbedingungen eine angemessene Leistung erbringen. Interessanterweise ist die evolutionsbedingte Spezialisierung unserer Kühe nicht die Milchleistung. Selbst wenn man physiologisch korrekt (über metabolisches Körpergewicht des Muttertieres und artspezifische Trockensubstanz ihrer Milch) umrechnet, erreichen erst Kühe mit einer Tagesmilchleistung von über 45 kg die übliche Laktationsleistung von durchschnittlichen Hausmäusen. Mäuse sind in der Lage täglich rund ein Drittel (15 g) ihres Körpergewichtes (45 g) an Milch zu produzieren – mit 12 % Fett und 10 % Eiweiss. Cellulose als Energiequelle zu nutzen und das verhältnismässig geringwertige Protein von Grünpflanzen in hochwertiges Milchprotein umzusetzen, ist die Spezialität der Kühe. Dafür fressen sie acht Stunden und kauen weitere acht Stunden wieder. Zwei durchschnittliche mitteleuropäische Arbeitstage pro Tag – täglich – ein Leben lang.
Grenzen aufzeigen
Lassen sich aus der Physiologie der Kuh Grenzen ihrer Milchleistung aufzeigen? Wagen wir ein paar Grobeinschätzungen. Auch wenn es vereinzelte Ausnahmen gibt, sind doch rund 20 kg Trockensubstanzaufnahme für eine durchschnittliche Kuh schon eine gute «Futteraufnahmeleistung» und eine erste wichtige Grenze. Die andere ist der Anspruch an eine wiederkäuergerechte Ration mit genügend strukturierter Rohfaser. Diese steht in direkter Konkurrenz zur Nährstoffdichte. Die höchste noch wiederkäuergerechte Nährstoffdichte liegt vermutlich zwischen 6 und 6,5 MJ NEL/kg TS. Werte, welche Grünlandaufwuchs im besten Fall erreicht. Dies ist auch der beste Fall, auf den sich Rinder evolutionsbiologisch vorbereitet haben. Grössenordnungsmässig reicht das für eine Tagesleistung von 25 bis 30 kg und eine Laktationsleistung von 7500 kg bis 9000 kg Milch.
Auch über das Herz-Kreislauf-System lässt sich eine Grenze schätzen. Ausgehend von den 500 Litern Blut, die pro kg Milch durchs Euter gepumpt werden und einem Herzschlagvolumen von 0,7 Litern braucht es bei einer Milchleistung von 30 kg gut 20 000 Herzschläge allein für das Euter. Der Ruhepuls erhöht sich damit von 50/min auf63/min, also um einen Viertel. Leicht trabende Pferde weisen eine vergleichbare Erhöhung auf. Würden die 30 kg Tagesmilchleistung als Durchschnitt einer ganzen Laktation erbracht, so kämen erneut 9000 kg zusammen. Die Kuh hätte dann über 305 Tage 24 Stunden lang leicht getrabt.
Forschungsprojekt startet im Herbst
Beide Rechenwege ergeben eine Leistungsgrenze für die Standardlaktation von deutlich unter 10 000 kg, vermutlich unter 8000 kg Milch. Bei graslandbasierter und nahezu kraftfutterfreier Fütterung, wie sie im FiBL-Projekt «Feed no Food» auf Biobetrieben praktiziert und analysiert wurde, sind auch Laktationsleistungen von 6000 kg Milch bereits Spitzen-Fress-Verdauungs-und-Wiederkäuleistungen. Insbesondere dann, wenn sie viele Laktationen lang erbracht werden. Stehen also Milchleistung und Nutzungsdauer in direktem Zusammenhang? Im Herbst startet ein breit angelegtes Forschungs- und Dialogprojekt zur Nutzungsdauer Schweizer Milchkühe von Agridea, FiBL und HAFL in seine interaktive Phase. Das Projekt wird überwiegend vom BLW finanziert und von vielen Vertreterinnen der Branche im weitesten Sinne finanziell und auch inhaltlich mitgetragen. Alle interessierten Landwirtinnen und Landwirte sind ab Herbst 2021 eingeladen sich in dieses Projekt einzubringen.