Die Migros-Industrie gehört mit ihren über zwanzig Unternehmen in der Schweiz und den Betrieben im Ausland zur Schweizer Migros-Gruppe. Sie bietet über 20 000 Produkte im Food- und Non-Food-Bereich an und ist damit einer der grössten Eigenmarkenproduzenten weltweit.
Beschaffungsvolumen in der Höhe für 4 Milliarden
Seit 2020 leitet Frank Arendt den Einkauf der Migros-Industrie, mit einem Beschaffungsvolumen von über 4 Milliarden Franken. Arendt ist am 7. November in Luzern als Referent an der Fachtagung Brennpunkt Nahrung gelistet. Er wird über die Anpassungen der Migros, ausgelöst durch die geopolitischen Veränderungen der letzten Jahre, sprechen und aufzeigen, wie sich die Beschaffungsstrategie dadurch angepasst hat. Wir wollten von der Migros im Vorfeld des Anlasses wissen, was ein Chefeinkäufer der Migros-Industrie überhaupt macht.
Hier sieht die Migros drei essenzielle Aufgaben. Als Erstes gelte es, die Verfügbarkeit sicherzustellen, um die Kunden und Konsumenten zu versorgen. Weiter solle dies möglichst wirtschaftlich erfolgen. «Es ist unser Ziel, besser als unsere Mitbewerber einzukaufen», erklärt Carmen Hefti, Mediensprecherin des Migros-Genossenschafts-Bunds (MGB). Weiter wolle man Innovation unterstützen und die Bedürfnisse mit den Fähigkeiten und Ideen der Lieferanten verbinden. «Wenn wir eine Innovation tätigen möchten, schauen wir uns um, wer bereits das nötige Wissen und die Technologie hat, um uns dabei zu begleiten», so Hefti.
Produktion kennen
Die Migros beschafft auch viele landwirtschaftliche Rohstoffe aus der Schweiz und dem Ausland. Wir wollten wissen, ob, und wenn ja, welcher Bezug in den Reihen des Konzerns zur Schweizer Landwirtschaft besteht. «Migros-Mitarbeitende, welche entlang der Wertschöpfungskette mit der Beschaffung zu tun haben und im Austausch mit der Schweizer Landwirtschaft sind, erhalten immer wieder die Möglichkeit, Hofbesuche zu unternehmen, an Workshops teilzunehmen oder sich für organisierte, vertiefte Austausche mit den relevanten Marktplayern zu treffen», erklärt Carmen Hefti. Dies verfolge das Ziel, eigenes Wissen und die Sensibilisierung zu erhöhen. «Dadurch erleben sie die Arbeit und Passion der Landwirte, die sie in die Produktion natürlicher Lebensmittel stecken, unmittelbar – was ungemein bereichernd ist», ist Hefti sicher.
Die Migros scheint also die Passion der Schweizer Bauern zu sehen, aber was weiss sie denn über die Wettbewerbsfähigkeit und die Einkommenssituation der Schweizer Landwirtschaft? Beim MGB wisse man, dass gegenüber dem umliegenden Ausland Preise, Löhne und Kosten für alle Wirtschaftsakteure in der Schweiz höher sind. «Dies schränkt die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Landwirtschaft ein», sagt Carmen Hefti. Das habe zur Folge, dass sich die Schweizer Landwirtschaft über Qualität und Mehrwerte vom Angebot aus dem Ausland abheben müsse.
«Die Nähe zu den Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz ist sicherlich ein Vorteil für die Schweizer Landwirtschaft», ist die Mediensprecherin aber sicher. Zudem habe sie in den letzten Jahren grosse Anstrengungen im Bereich Nachhaltigkeit unternommen, sagt Hefti und nennt den Absenkpfad und das Tierwohl. Die ergänzende Frage, wie der MGB die Einkommenssituation der Schweizer Landwirtschaft einstuft, kann die Medienstelle aber nicht beantworten.
Bio und IP-Suisse fördern den Dialog mit Produzentenorganisationen
Gefragt nach der Bedeutung der Mehrwertprogramme wie Bio und IP-Suisse im Bereich der Beschaffung, erklärt die Medienstelle des MGB, dass man seit Jahrzehnten zusammen mit Partnern aus der Landwirtschaft neue Systeme entwickle. Carmen Hefti nennt Beispiele: Wiesenmilch, pestizidfreier Weizenanbau, IP-Zucker, neue IP-Standards im Feldgemüse oder im Bioanbau, Forschungsprojekte im Bereich Sonnenblumen und Weizenanbau.
«Diese Programme zahlen einerseits auf unsere Nachhaltigkeitsstrategie ein und fördern andererseits konsequent beispielsweise das Tierwohl, den Ressourcenschutz und die Emissionsminderung», sagt Carmen Hefti. Diese Mehrwertprogramme würden der Migros auch einen wichtigen Dialog mit den Produzentenorganisationen ermöglichen, sagt sie. Denn Bio und IP-Suisse würden auf vielen Produkten von den Konsumentinnen und Konsumenten geschätzt – «und geben so das Mandat für den Einkauf, diese Produkte im erforderlichen Umfang zu beschaffen», ergänzt sie.
Tierwohl, Tierwohl und nochmal Tierwohl
Bei der Migros-Industrie liegt laut Aussage der Medienstelle «die Nachhaltigkeit tief in der DNA verankert». Schon seit 2012 würden daher in der Nachhaltigkeitsstrategie konkrete Ziele und Massnahmen verfolgt, welche die gesamte Wertschöpfungskette abdecken. «Vom Anbau der Rohstoffe bis zum Endverbraucher verpflichten wir uns zu nachhaltigem Handeln», ergänzt Hefti. Das Tierwohl sei dabei ein besonders wichtiger Punkt. Mit speziellen Mehrwertprogrammen und durch die Verbreitung hoher Schweizer Standards bei den internationalen Lieferanten setze sich die Migros aktiv für eine Verbesserungen ein.
Das Engagement für das Tierwohl spiegle sich auch im Ziel der Vollverwertung wider, das man «aus Respekt vor dem Tier» verfolge. «Obwohl wir in vielen Bereichen Fortschritte erzielen, gibt es auch Herausforderungen, beispielsweise im Bereich der Lebensmittelverluste», erklärt Carmen Hefti. Diese entstünden oft durch die Konsumpräferenzen der Kundschaft und eine geringe Nachfrage nach bestimmten Produkten wie beispielsweise Schlachtnebenprodukten oder Molke. Um solche Grenzen zu überwinden, setze der MGB auf ein schwieriges Unterfangen: die aktive Mitwirkung der Konsumentinnen und Konsumenten.
Wie steht es um den Aspekt der Kostenwahrheit?
Neben der Nachhaltigkeit wird neuerdings auch gerne über eine Verursachergerechtigkeit debattiert. Fakt ist, dass im Bereich der Landwirtschaft und der Ernährung das Verursacherprinzip noch kaum zum Tragen kommt. Das hat zur Folge, dass die Konsumenten nur einen Teil der Kosten der Roherzeugnisse begleichen müssen. Wir wollten von der Migros wissen, was eine konkrete Umsetzung dieser Kostenwahrheit für die Beschaffung der Migros-Industrie bedeuten würde. «Das Konzept der Kostenwahrheit ist in der Theorie interessant», sagt Carmen Hefti, macht aber sogleich auch klar, dass sie in der praktischen Umsetzung sehr komplex und schwierig sei und man damit erst sehr wenig Erfahrung habe. Zudem dürften ihrer Ansicht nach die Systemgrenzen nicht auf die Schweiz beschränkt werden, weil sonst die einheimische Land- und Ernährungswirtschaft gegenüber Anbietern aus anderen Ländern benachteiligt wäre respektive die Verzerrungen zu gross wären. Die Migros sei aber grundsätzlich offen für neue oder weitere Diskussionen.
Es gibt noch weitere Hürden
Gefragt nach weiteren grossen Herausforderungen in der Beschaffung, sagt Carmen Hefti, dass momentan Forderungen nach immer mehr Transparenz und Rückverfolgbarkeit geortet würden. Weiter nennt sie gestörte Lieferketten oder die Tendenz gewisser Staaten, sich zunehmend abzuschotten.
