Im Hotel-Lavabo sitzt eine Krähe. Und das Zimmer riecht. Andernorts marschiert der Gast in so einem Fall zurück an die Réception und reklamiert. Bei den Mondholz-Zimmern des Hotel Waldhaus auf der Bettmeralp (Wallis) gehört das zum Konzept.[IMG 5]

Individuelle Details: Jedes Lavabo ziert ein anderes handgezeichnetes Sujet. Die Waschtische sind zudem alle aus einem anderen Holz.

«Ich habe die Natur ins Hotel geholt», sagt Daniela Berchtold. Die 37-jährige Walliserin führt das Hotel in der dritten Generation. Derzeit arbeiten ihre Eltern Vreni und Ernst Berchtold noch mit. Das «Waldhüis» ist das älteste Hotel auf der Bettmeralp. Eröffnet 1953, als sich die Sömmerungsalp dank einer neu gebauten Seilbahn langsam zu einem Ferienort mauserte. Im Hotel ist die über 60-jährige Geschichte spür- und sichtbar: Retro-Charme trifft auf Modernes und Improvisiertes. Die Einrichtung des Speisesaals wirkt wie die Kulisse eines Films aus den 1950er-Jahren. An die Bar schliesst ein «ausserordentlich gut belüftetes» Fumoir an – so die Website. Hier locken Paletten-Sofas und eine Plattensammlung mit Rock- und Pop-Songs aus vier Jahrzehnten: von den Beatles über Pink Floyd und Jethro Tull bis Yes.

Zeitreisen zwischen zwei Räumen

Das kleine Restaurant ist frisch renoviert und zeigt sich in zeitgemässem Alpen-Chic. Neben der Réception steht ein Wegweiser. «Wolf –> 370 Meter» liest man dort unter anderem.  «Nur um die Walliser etwas zu provozieren», erklärt Daniela Berchtold mit einem Lächeln.

Im Salon fühlt man sich wieder wie in der guten Stube der Grosseltern: Möbel mit Patina und im Büchergestell stösst man auf Romane wie «Der Schakal», ein Bestseller aus den 1970er-Jahren. Oder ein Bildband über «Die UdSSR», ein Staatengebilde, das seit fast 20 Jahren nicht mehr existiert. Ähnlich gross sind die Unterschiede bei den Zimmern: Kleine Budget-Zimmer mit Wählscheibentelefon.  Komfortablere Zimmer mit Panoramablick und Balkon. Und sechs spezielle Mondholzzimmer.

Seit der Kindheit sind Ökologie und Bio wichtig

Daniela Berchtold ist zusammen mit ihrem jüngeren Bruder im Waldhaus aufgewachsen. «Die Eltern haben zwar viel gearbeitet, waren aber immer ansprechbar», erinnert sie sich. «Mir fehlte nichts.» Schon immer setzten Vreni und Ernst Berchtold auf Ökologie und Bioprodukte, kauften möglichst regional ein. Früher wurde ihre Tochter in der Schule dafür ausgelacht. Nach der Schule wusste die junge Walliserin nicht so recht, in welche Richtung es sie zog. Sie entschied sich für eine Kochlehre und dann für die Hotelfachschule in Luzern. Sie arbeitet in Hotels in England, Irland und Thailand, kehrte aber immer wieder auf die Bettmeralp zurück und half den Eltern.

Ein Generationswechsel stand an. Klar war auch, dass das Waldhaus modernisiert werden musste. «Ohne Umbau hätte ich nicht übernommen.» Doch das Budget war beschränkt und keine Idee überzeugte.  Ein Flyer brachte frischen Wind: Er lud zu einem Vortrag über «Holz 100» nach Brig. Daniela Berchtold überzeugte ihre Mutter, mit ihr hinzugehen. «Obwohl ich sonst nicht so entscheidungsfreudig bin, war mir nach den ersten zehn Vortragsminuten klar: Das ist das Richtige für uns.»

Bausystem aus Massivholz-Schichten

«Holz 100» ist ein Bausystem aus mehrschichtigem Massivholz, entwickelt vom österreichischen Förster und Unternehmer Erwin Thoma. Nur Holzdübel verbinden die Schichten, sie sind weder verleimt noch verschraubt. Das Holz bleibt unbehandelt und kann daher später problemlos recycelt werden. Geschlagen wird es wie üblich im Winterhalbjahr aber nur bei abnehmendem Mond. Die Idee dahinter: Dann ist noch weniger Saft im Holz, es wird härter und resistenter. Die Fakten- und Studienlage dazu ist umstritten.

Das System begeisterte Daniela Berchtold. «Doch klar war auch, wir können uns das eigentlich nicht leisten.» So fing sie an zu rechnen, schrieb Stammgäste an und startete eine Crowdfunding-Kampagne über die Plattform Wemakeit. «Das Feedback war super, es war schön, zu sehen, wie viele mitmachten.»

Am Schluss fehlte weniger als ein Zehntel des budgetierten Betrags. Aber keine Bank wollte einen Kredit gewähren. Das bunte Gemisch von Retro und Modern, von Budget- und Komfortzimmer könne nicht funktionieren, so die Begründung. Die Hotelière sah das anders. «Ich kenne unserer Gäste.» Schliesslich sprang die Winterhilfe ein.

Ein frischer Holz-Look

Nach drei Jahren Planung und Finanzierung startete der Umbau im Jahr 2018. Haarscharf zu Beginn der Wintersaison war fast alles fertig, das älteste Hotel der Bettmeralp hatte einen frischen Look. Einheimisches Lärchenholz schützt nun die Aussenfassade des neuen Holzanbaus. Die Mondholzimmer betreten die Gäste über eine fünfzehn Zentimeter hohe Schwelle. Der Grund: es brauchte eine Aufschüttung. «Darunter war nur ein Fliessestrich, bedeckt von drei Schichten alter Spannteppiche.»

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Innen Holz, aussen Wald und Berge: Der neue Anbau des Hotels ist mit einheimischem Lärchenholz verkleidet.

Die Wände und Decken der Zimmer bestehen aus unbehandeltem Fichtenholz, die Böden aus Parkett. Die Betten sind aus Arvenholz, dessen Duft den ganzen Raum erfüllt. «Viele unserer Gäste atmen erst mal tief ein, wenn sie ins Zimmer kommen.» Eine breite Fensternische mit Sitzkissen lädt ein, die Walliser Berg- und Waldlandschaft zu bewundern. «Man sieht den Wald draussen und drinnen spürt und riecht man ihn.»

Individuell gestaltete Zimmer

Daniela Berchtolds Onkel Walter, Landwirt und Hobbyschreiner, gab jedem Zimmer eine individuelle Note. Er fertigte Garderoben, Kleiderhaken und Lampen. Er zimmerte auch die Waschtische in den Badezimmern, sie sind in jedem Raum aus einem anderen Holz.

Auch die Lavabos in den Badezimmern sind unterschiedlich. Sie stammen aus dem Atelier von Isabella auf der Maur, Keramikerin und Frau des Schweizer «Holz 100»-Inhabers Beat auf der Maur. Die eingebrannte Krähe ist eines von sechs handgezeichneten Sujets. Wer 1200 Franken sponsorte, durfte die Zeichnung auswählen. Das kam an. «Alles floss einfach ineinander.»[IMG 7]

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Tief einatmen: Die ätherischen Öle im Arvenholz der Betten wirken auf viele Gäste beruhigend.

Das Investitions-Risiko hat sich für den Familienbetrieb gelohnt. Die Mondholzimmer kommen bei den Gästen an. Viele von ihnen berichten der Hoteliersfamilie, sie seien dort entspannter und würden besser schlafen. Das passt zu Studien, die belegen, dass Vollholz-Räume den Herzschlag beruhigen.

Zwangspause im Lockdown

Der Lockdown im Frühling hinterliess allerdings ein Loch in der Einnahmekasse. Doch Daniela Berchtold sieht in der Zwangspause auch etwas Gutes: Sie konnte sich erholen. «Die Planung und Renovation war ein Durchbeissen. Ich war am Limit und habe nur noch funktioniert.» Seither gönnt sie sich mehr Zeit für Freunde, fürs Joggen, Klettern und Skifahren. Die Bettmeralp ist für sie ein Ruhepool und «einfach schön». Trotz langem Winter auf 1970 Metern über Meer. Obwohl der Frühling kaum stattfindet. Gerade weil der autofreie Ort nur per Seilbahn erreichbar ist. «Hier ist alles etwas ruhiger. Das merke ich oft erst, wenn ich aus der Stadt zurückkehre. Man stresst nicht ständig wo hin. Man ist einfach da.» Ist das Hotel in der Zwischensaison geschlossen, schläft sie gern selbst in einem der Mondholzzimmer «Wenn ich dort aufwache und nach draussen blicke, bin ich irgendwie ruhiger und ganz ohne To-do-Listen im Kopf.»

Weitere Informationen: www.waldhaus-bettmeralp.ch