Laut einer Umfrage seien zwei Drittel der Milchproduzenten unzufrieden mit ihrer Situation, hielt Werner Locher an der Jahrestagung der Basisorganisation für einen fairen Milchmarkt (BIG-M) in Sins AG fest. Der Strukturwandel bei den Milchviehbetrieben bleibe daher nach wie vor hoch. Als Alarmzeichen wertete der BIG-M-Präsident die Überkapazitäten bei den Verarbeitern und die rasch steigenden Butterlager, die zu grossen Problemen führen würden, wenn es so weitergehe. Kostendeckende Milchpreise seien in weiter Ferne.
Mitarbeit in Europa
Für BIG-M hat die Mitarbeit im European Milk Board (EMB) einen hohen Stellenwert, weil der Schweizer Milchpreis weitgehend an jenen der EU gekoppelt sei. Bei der laufenden Umgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in Brüssel lobbyiere das EMB intensiv für eine kostendeckende Vergütung. Im Inland ruhen gewisse Hoffnungen auf dem Verein Faire Märkte Schweiz (FMS). Er deckt Missstände in verschiedenen Marktsegmenten auf und klagt sie vereinzelt ein.
Werner Locher sieht die aktuellen Bauernproteste als logische Folge der unbefriedigenden Situation. Im Zentrum steht für ihn die Forderung nach Dialog: «Gerade dies vermissen wir Bäuer(innen) seit Jahren bitter. Dialog heisst, dass man auf Augenhöhe miteinander diskutiert und gemeinsam nach Lösungen sucht.» Es sei zu lange über die Köpfe der Bäuerinnen und Bauern hinweg diktiert worden, «das muss ein Ende haben».
Drei Pfeiler
Wie Christian Hofer, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW), in seinem Referat erklärte, beruht die Ernährungssicherheit in der Schweiz auf drei Pfeilern: Inlandproduktion, Importe und Pflichtlagerhaltung. Der Selbstversorgungsgrad liege bei rund 50 %, Tendenz abnehmend. Als Gründe nannte Hofer das Bevölkerungswachstum sowie die im europäischen Vergleich geringe Landwirtschaftsfläche pro Person. Der Brutto-Selbstversorgungsgrad schwanke je nach Nahrungsmittelkategorie stark, am höchsten sei er bei Milch und Milchprodukten mit über 100 %.
Die wichtigsten staatlichen Massnahmen zur Stärkung der Inlandproduktion würden die Direktzahlungen (2022: 2,8Milliarden Franken) und der Grenzschutz (2,2Milliarden) bilden, fuhr Hofer fort. Dazu kämen Fördermittel für Produktion und Absatz (538Millionen Franken), für Forschung und Beratung (181Millionen Franken) sowie für Produktionsgrundlagen (87Millionen Franken). Vom Grenzschutz (Zölle) komme allerdings lediglich ein Viertel bei den Landwirten an, der Hauptteil lande bei den vor- und nachgelagerten Branchen.
Raus aus der Opferrolle
Die zukünftige Ausrichtung der AP sieht einen umfassenden Ansatz zur Ernährungssicherheit vor und umfasst alle Stufen von der Produktion bis zum Konsum. Eine wesentliche Absicht dahinter: die Landwirtschaft aus der Opferrolle im Umweltbereich zu befreien. «Wenn der Konsument makellose Früchte verlangt, muss er wissen, dass es mehr Pflanzenschutzmittel braucht», meinte Christian Hofer.
In der anschliessenden Diskussion machte sich viel Unmut breit: aufgeblähte Verwaltung versus schrumpfende Anzahl Betriebe, ausufernde ökologische Anforderungen und Bürokratie, Digiflux als jüngstes Ärgernis – einzelne Votanten fühlten sich vom BLW drangsaliert. Gegen diesen Vorwurf wehrte sich Hofer dezidiert. «Unsere Aufgabe ist es, Beschlüsse des Parlaments umzusetzen. Unsere Leute setzen sich extrem dafür ein, die vorhandenen Spielräume zugunsten der Landwirte zu nutzen.» In den letzten rund 30Jahren sei den Bauern viel zugemutet worden, räumte er ein, weil auch gesellschaftliche Bedürfnisse in die Reformen eingeflossen seien. Im Gegenzug resultiere eine breit abgestützte Akzeptanz der Schweizer Landwirtschaft.
Am Ende Entlastung
Bezüglich Digiflux erinnerte der BLW-Direktor daran, dass sich bäuerliche Vertreter dafür eingesetzt hätten. Neue Regeln seien damit nicht verbunden, es gehe nur darum, vorhandene Daten transparent zu machen. Das bedeute zwar einen Initialaufwand, mittelfristig könne es aber zu einer Entlastung führen. Einige der Kritikpunkte teilte Hofer: Die Komplexität des Systems habe eine Grenze erreicht. Bei den Umweltzielen sei man auf Kurs, der Schutz der Kulturen sei aber nicht mehr gewährleistet. Er nahm auch Anregungen entgegen, BLW-seitig die Öffentlichkeit offensiver über das Direktzahlungssystem und den sinkenden Selbstversorgungsgrad zu informieren.
«Wir setzen Beschlüsse des Parlaments um.»
BLW-Direktor Christian Hofer über die Aufgabe des Bundesamts.
