Christian Schürch steht auf der Terrasse seines Einfamilienhauses und schaut in die einzigartige Herbstlandschaft. Er will noch zwei junge Bäume pflanzen. Einen hat er von IP-Suisse bekommen, den anderen von Pro Natura. Platz im Garten habe es nicht, sagt er. Die Bäume müssten auf den Pachtbetrieb, den er zusammen mit seiner Frau Susanna während 29 Jahren bewirtschaftet hat. Es handelt sich um den Neuhof im baselländischen Reinach.

Vom Gas gehen

Abo Naturschutzpreis Einer, der einfach macht: Christian Schürch gewinnt einen Preis von pro Natura Saturday, 3. June 2023 Christian Schürch und die IP-Suisse sind im Grunde fast nicht zu trennen. In den Adern des Landwirts fliesst die Biodiversität. Der Neuhof ist nicht ganz unschuldig daran, denn die Lage des Betriebs hat Schürch in der Bewirtschaftung fast zur IP-Suisse gezwungen. «Ich musste unweigerlich vom Gas gehen» erinnert sich Schürch. So liegt der Hof, der im Besitz der Stadt Basel steht, im Grunde im alten Bachbett der Birs – die Böden sind kiesig. Schürch war kurz nach dem Pachtantritt 1994 klar, dass ein erfolgreicher Weg auf dem Hof nur über die Extensivierung zu meistern war.

Ende 2022 gaben Schürchs die Pacht des Neuhofs schliesslich auf. Neben einer Pachtverlängerung wären auch Investitionen im Bereich des Maschinenparks angestanden; also entschied sich der Landwirt, den Hof in neue Hände zu geben, da eine familieninterne Hofnachfolge nicht zur Diskussion stand.

Seit 1995 im Vorstand

Nun tritt Christian Schürch auch als IP-Suisse-Vizepräsident von der Bühne ab. «Diese Funktion muss ein aktiver Landwirt ausüben», sagt Schürch. Ein wenig Wehmut schwingt im Unterton mit. Anfang 1995 kam der Landwirt auf Anfrage eines Bekannten in den IP-Suisse-Vorstand. Wie lange er als Vize neben Präsident Andreas Stalder aktiv war, weiss Schürch spontan nicht. Er lacht und fragt: «Kann man das irgendwo nachschauen?»

Es passt zu Schürchs Engagement, in dem nicht die Funktion, sondern die Resultate zählten. «Wenn man so lange dabei ist, dann ist die Veränderung extrem», weiss er. Aus einer langen Zeit würden sich stets auch andere Erkenntnisse ergeben, als wenn man erst gestern zu einer Organisation gestossen sei. Zudem spiele auch die Grösse eine entscheidende Rolle. «Eine Organisation mit 200 Mitgliedern ist einfach nicht das Gleiche wie eine mit beinahe 20'000», gibt der scheidende Vizepräsident zu bedenken. Die Aufgabe des Betriebes sei das eine. «Man arbeitet 30 bis 40 Jahre, oft auch 70 bis 80 Stunden pro Woche – das ist normal.» Das Engagement bei IP-Suisse habe aber ebenso gefordert. «Früher haben wir ‹rabauzt› und hatten Ideen», so Schürch. Mit dem, was dabei ausgelöst wurde, habe man bei IP-Suisse anfänglich wenig Verantwortung übernehmen müssen. «Mit allem, was wir heute machen, tragen wir eine grosse Verantwortung», ergänzt der Landwirt sofort. Er spricht von Verantwortung der Bauern, aber auch der Gesellschaft gegenüber. Politisch habe das entsprechend grosse Auswirkungen.

«Wir müssen die Diskussion anders führen.»

Christian Schürch zu Acker-BFF und Food Waste.

Fragen, die beschäftigen

Gefragt nach den grossen Herausforderungen der Gegenwart, nennt Christian Schürch den Umstand, dass IP-Suisse voll in die Breite gehe. Da seien Bereiche wie Gemüse und Obst oder auch Poulet hinzugekommen. Bereiche, in denen nur wenig Mehrpreis generiert werden könne. «Wollen wir das?», fragt Schürch, im Wissen, dass man sich in diesen Bereichen stark nach dem Markt richtet. Schürch nennt einen – für die immens gewachsene Organisation – entscheidenden Aspekt. «IP-Suisse muss früher oder später die Frage beantworten: Will man für alle offen sein und in der Breite einen geringen Mehrpreis erzielen oder sich zugunsten höherer Preise auf ein schmaleres Segment beschränken?»

Die Antwort lässt er offen, gibt aber zu bedenken, dass man den Käfer aktuell einsetze, um sich von der konventionellen Produktion abzuheben. «Vielleicht wäre es für die Schweiz aber auch ein gangbarer Weg, dass es keine konventionelle Landwirtschaft mehr gibt», so Schürch.

Was ihn aber genau in diesem Aspekt in all den Jahren enorm begleitet hat, sind diese Mehrleistungen im Bereich der Produktion, die den Konsumenten nicht richtig sichtbar gemacht werden können. «Ohne Grossverteiler geht es nicht, das ist klar», bilanziert Schürch, stellt aber auch gleich die ergänzende und brisante Frage: «Wie können wir dem Konsumenten diese Mehrleistungen aufzeigen und noch besser sichtbar machen, dass sie auch höhere Preise rechtfertigten?»

Eine weitere Hürde sieht er in der Vielfalt der Ansprechpartner der Landwirtschaft. «Wir müssen den Markt bündeln», sagt er schliesslich nach einer kurzen Pause und ergänzt: «Unsere Abnehmer sollten eine Ansprechperson haben, dann hätten wir eine gewisse Macht. Das Volumen vergrössern gibt uns schliesslich auch Gewicht. Mehr machen, um mehr Macht zu erlangen, sei das Rezept.

«Da kamen mir die Tränen.»

Christian Schürch zum Ersatz des Terra-Suisse-Logos.

70 Hektaren extensiv

Christian Schürch hat auf den 70 ha den Ackerbau vollumfänglich extensiv bewirtschaftet – weil es nicht anders möglich war. «Man kann schon Vollgas geben, aber es bringt nichts», so der Landwirt, der aber auch weiss, dass man als Bauer Erfolg haben will. «Und der Erfolg misst sich am Ertrag», sagt er. Er konnte das im Ackerbau nicht ausleben und kompensierte es daher im Stall. Mit 11 500 kg Milch Stalldurchschnitt und zehn 100 000er-Kühen setzte der Nordwestschweizer im Stall mit 50 Holsteinkühen auf eine andere Karte.

«Ich verstehe, dass man dem kritisch gegenübersteht, dass die Erträge im Ackerbau allenfalls zugunsten der Biodiversitätsförderfläche runter sollen. Ich weiss auch, dass diese Veränderung in den Köpfen der Bauern Zeit braucht, ich bin aber auch sicher, dass es der richtige Weg ist», sagt er. Auf Schürchs Betrieb wurden die Vorteile der wachsenden Biodiversität schliesslich sichtbar, was ihm im laufenden Jahr auch den Naturschutzpreis 2023 von Pro Natura einbrachte.

Food Waste als Problem

«Wir müssen die Diskussion anders führen», gibt er zu bedenken. «Wir dürfen nicht 50 000 Tonnen Weizenertrag gegen die 3,5 % Biodiversität auf dem Acker stellen. Rund 2,8 Mio Tonnen Lebensmittel, die aufgrund des Lebensmittelkonsums der Schweiz im In- und Ausland anfallen, werden weggeworfen. Das ist ein Mehrfaches mehr», rechnet Schürch vor. Das liege in der Verantwortung der Gesellschaft. «Wenn wir nichts mehr wegwerfen, dann kann man kommen und diese 3,5 % zurückfordern, sollten wir dann tatsächlich zu wenig haben», bilanziert er.

Die Herausforderungen, die Christian Schürch sieht, sind mannigfaltig. Wir haben ihn schliesslich am Ende unseres Besuches gefragt, welches denn das schönste Erlebnis war, das er in all den Jahren bei IP-Suisse erlebt hat. «Das ist eindeutig», sagt er unvermittelt. Eines Abends habe ihn Fritz Rothen, der ehemalige Geschäftsführer der IP-Suisse, angerufen und ihm mitgeteilt, dass die Migros das Terra-Suisse-Logo durch «den Käfer» ersetzt. «Da kamen mir die Tränen», erinnert sich Schürch. «Das war perfekt für uns.»


Ein Zeitdokument über eine Männerfreundschaft

Es ist die Geschichte einer Männerfreundschaft, die Grazia Grassi in ihren Bann gezogen hat. Die Leiterin Unternehmenskommunikation bei Denner hat diese Begeisterung für eine einzigartige Geschichte in der Landwirtschaft in einem Dokumentarfilm festgehalten. «Ich wollte das einfach zeigen», sagt sie. Der Film sei ein wertvolles Zeitdokument und auch ein Teil Schweizer Geschichte, heisst es bei Denner.[IMG 2]

Nie aufgegeben

Christian Schürch spielt im Dokumentarfilm über die IP-Suisse neben den Protagonisten – den Gründungsmitgliedern – eine wichtige Rolle. Seine Arbeit steht sinnbildlich für den Einsatz der rund 18 500 IP-Suisse-Bauern, die sich weitgehend unabhängig von den Vorgaben des Bundes einen Weg zur nachhaltigen Landwirtschaft geebnet haben. Im Film, der rund 40 Minuten dauert, wird klar, dieser Weg war steinig. Neben Erfolgen, wie der Verdrängung des Haus-Labels beim grössten Detailhändler, hatte und hat IP-Suisse auch mit Rückschlägen zu kämpfen. «Wir haben nie aufgegeben», sagt Schürch. Im Film erklärt der Landwirt, wie wichtig es sei, dass die Landwirtschaft ihre Arbeit erkläre. «Die Leute müssen wissen, dass wir dem Wetter ausgesetzt sind und jeden Tag damit arbeiten», sagt er.

Durchbruch mit Denner

Im Film wird auch klar, dass ausgerechnet der Discounter Denner dem Käfer zum wirklichen Durchbruch verholfen hat. Die Zusammenarbeit, die 2016 begann, hat aber auch immer wieder die Frage aufkommen lassen: «Passen eine nachhaltige Produktion und ein Billiganbieter zusammen?» Grazia Grassi sagt: «Ja.» In ihrem Film lässt sie die Gründer erzählen, lässt den endgültigen Abschied vom grossen IP-Suisse-Pionier Hans Luder noch einmal aufleben und lässt jene zu Wort kommen, die der nachhaltigen Lebensmittelproduktion aus hiesiger Landwirtschaft an vorderster Front – nämlich im Ladengestell – einen Platz geben wollten.

Die Uraufführung des Werks fand vor einigen Wochen in Zürich statt. Der Film wird nun auf dem Schweizer Streaming-Dienst Oneplus kostenlos ausgestrahlt und ist für jedermann nach einer Registrierung auf der Plattform zugänglich.

Zum Film

Versammlung in Langnau

Am Donnerstag, 16. November, findet in Langnau im Emmental die 35. IP-Suisse-Delegiertenversammlung statt. Christian Schürch wird dort verabschiedet, zudem wird über seine Nachfolge bestimmt. Wir werden online über die Veranstaltung berichten.