Vier Monate sind vergangen, seit sich Vertreterinnen und Vertreter von Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel und Umweltorganisationen im Juni zum «Runden Tisch Klimamassnahmen in der Landwirtschaft» trafen. Was damals mit einer vagen Absichtserklärung begann, nimmt nun deutlichere Formen an. Hinter den Kulissen ist seither viel passiert: Neue Akteure sind hinzugekommen, Strukturen wurden geschaffen – und es zeichnet sich ein Richtungsstreit ab, der die Landwirtschaft in den kommenden Jahren prägen dürfte.
Im Juni hatten sich die Mitglieder der IG Detailhandel Schweiz, der Schweizer Bauernverband, IP-Suisse, Bio Suisse, Emmi, Fenaco, Nestlé und der WWF auf eine gemeinsame Absichtserklärung geeinigt. Ziel: eine klimafreundlichere Landwirtschaft, die Treibhausgasemissionen reduziert, ohne die inländische Produktion zu schwächen. Die Erklärung umfasste fünf Punkte, von einheitlichen Emissionsfaktoren über standardisierten Datenaustausch bis hin zu einem Finanzierungsmodell und der Abgeltung von Klimaleistungen der Produzenten. Doch wie die BauernZeitung im Sommer berichtete, blieb das Papier damals vage. «Was genau sollen die Bauern leisten? Wer entscheidet darüber? Wer zahlt – und wann?», hiess es in unserem Kommentar. Es war ein erster Schritt, aber kein Durchbruch.
Aldi und Lidl nun doch dabei
Nun, im Oktober, ist klar: Der Prozess hat an Tempo gewonnen. Ende September hat die IG Detailhandel offiziell bekannt gegeben, dass sich Aldi und Lidl dem neu benannten «Klimabündnis Lebensmittel» angeschlossen haben. «Je mehr Unternehmen und Organisationen dem Klimabündnis Lebensmittel beitreten, desto besser ist das fürs Klima und die gesetzten Ziele», heisst es in der Stellungnahme der IG. Es sei von Anfang an vorgesehen gewesen, dass sich weitere Unternehmen der Absichtserklärung anschliessen. Mit dem Beitritt von Aldi und Lidl sowie elf weiteren Organisationen sei das Bündnis nun «um zentrale Akteure der Lebensmittelbranche entlang der gesamten Wertschöpfungskette» erweitert worden. Insgesamt umfasst das «Klimabündnis Lebensmittel» derzeit 23 Unternehmen und Organisationen – und bleibt laut IG ausdrücklich offen für weitere Mitglieder.
Auch Aldi betonte in einer eigenen Medienmitteilung die Bedeutung des Schulterschlusses. «Klimaschutz ist eine Aufgabe, die den gesamten Detailhandel betrifft. Nur gemeinsam können wir eine grosse Wirkung erzielen», erklärte Jérôme Meyer, Aldi-Schweiz-Chef. Man sehe das Bündnis als Chance, in einem «einzigartigen Schulterschluss der Branche den ökologischen Fussabdruck von Lebensmitteln zu reduzieren».
Damit haben sich nun alle grossen Detailhändler – Coop, Migros, Denner, Lidl und Aldi – dem Bündnis angeschlossen. Die formelle Aufnahme von Aldi und Lidl in das oberste Entscheidungsgremium, das sogenannte CEO-Board, wurde am 29. September vom Steuerungsausschuss bestätigt. Dieses Gremium vereint damit die mächtigsten Akteure der Branche: vom Handel über die Verarbeitung bis hin zur Landwirtschaft und den Umweltverbänden.
Ergebnisse sind nach wie vor keine bekannt
Seit Mitte August arbeiten drei Arbeitsgruppen regelmässig an der Konkretisierung der fünf im Sommer formulierten Ziele. Erste Ergebnisse sollen bis Ende Jahr der CEO-Gruppe präsentiert werden; anschliessend sollen sie der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Inhaltlich drehen sich die Gespräche derzeit um zwei grosse Themenfelder: um die Systemfrage bei der Berechnung der Klimaleistungen und um die Finanzierung der geplanten Massnahmen. Hier zeichnet sich ab, dass zwei Ansätze im Raum stehen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Auf der einen Seite steht das System, das IP-Suisse seit Jahren auf Betriebsebene praktiziert und das Migros und Coop, wie auch andere Detailhändler, mit den ausgewiesenen Produkten (Käfer) bislang mittrug. Es beruht auf überprüfbaren Nachhaltigkeitskriterien und hat sich in der Praxis bereits bewährt. Auf der anderen Seite steht der Klimarechner der Branchenorganisation Milch (BOM), der zwar als wissenschaftlich präziser gilt, bisher jedoch noch keinen flächendeckenden Praxistest durchlaufen hat. Er wurde im Rahmen des Projekts «Klimastar Milch» entwickelt und soll bald «in der Breite» einsatzbereit sein. Ab Januar 2026 sollen die teilnehmenden Milchbauern eine Abgeltung von einem Rappen pro Kilogramm Milch erhalten – sofern sie den Rechner anwenden und einen Abnehmer haben, der sich am Programm beteiligt.
Das bewährte Bauern-Modell oder doch der neue detailliertere BOM-Rechner
Während das Punktesystem von IP-Suisse, das auch von Bio Suisse getragen wird, auf breiter Erfahrung und Akzeptanz beruht, zielt der BOM-Rechner auf eine detailliertere, wissenschaftsbasierte Messung von Emissionen pro Betrieb und Produkt. Welcher Ansatz künftig als Branchenstandard gilt, wird nun innerhalb des Bündnisses diskutiert. Von offizieller Seite heisst es dazu zurückhaltend: «In den Arbeitsgruppen werden verschiedene Ansätze und Methoden besprochen. Die Diskussionen sind konstruktiv, mehr können wir dazu nicht sagen.»
Auch die Frage der Finanzierung bleibt offen. Laut IG Detailhandel liefern Punkt vier und fünf der Absichtserklärung den Rahmen: Es soll ein Modell entwickelt werden, das Herkunft und Verwendung der Mittel sichert und Marktverzerrungen verhindert. Die von den Produzenten erbrachten Leistungen sollen über Zuschläge am Markt abgegolten werden, etwa durch Richtpreiszuschläge in der Milchbranche. Wer letztlich bezahlt – die Produzenten, der Handel oder die Konsumenten – ist noch Gegenstand der Verhandlungen. «Genau solche Details werden derzeit in den Arbeitsgruppen diskutiert», heisst es von der IG.
Bemerkenswert ist, dass sowohl die BOM als auch Agro Impact mittlerweile Teil des Klimabündnisses und der Steuerungsgruppe sind. Im Sommer war das noch nicht der Fall.
Es soll umsetzbar und auch fair sein für die Bauern
Für die Praxis auf den Betrieben bleibt entscheidend, dass die geplanten Massnahmen umsetzbar und fair sind. «Dies ist ein essenzieller Punkt, der aktuell in den Arbeitsgruppen diskutiert wird», bestätigt die IG. Die aktive Mitarbeit der landwirtschaftlichen Produzentenorganisationen – IP-Suisse, Bio Suisse und des Bauernverbands – soll sicherstellen, dass die Vorschläge nicht an der Realität vorbeigehen.
Die nächsten Monate werden zeigen, wie tragfähig der eingeschlagene Weg ist. Ende Jahr sollen die ersten Resultate vorliegen – dann wird sich auch abzeichnen, welches System sich in der Landwirtschaft durchsetzt. Ob es das Modell, das IP-Suisse mit betrieblichem Fokus anwendet, bleibt, oder ob sich der Klimarechner der BOM als neues Standardinstrument etabliert, dürfte nicht nur für die Milchbranche richtungsweisend sein.
Eines ist bereits jetzt klar: Es bahnt sich ein Kampf der Systeme an – zwischen bewährter Praxis und wissenschaftlichem Präzisionsansatz, zwischen Erfahrung und Digitalisierung, zwischen Vertrauen und Kontrolle. Und mittendrin stehen die Bauern. Sie sollen die Daten liefern, die Emissionen senken und gleichzeitig rentabel wirtschaften – während Handel, Verarbeiter und Verbände noch aushandeln, wie viel ihnen diese Klimaleistungen künftig wert sind.