Auf gehts in den Dornröschenschlaf! Die saftigen roten Äpfel in den grünen Kisten werden für die nächsten Monate buchstäblich kaltgestellt. Geerntet wurden sie diesen Herbst, doch einige davon werden erst im nächsten Sommer ihren Weg in die Ladenregale finden, noch immer knackig wie frisch vom Baum. Die letzten Exemplare vom Vorjahr verlassen das Lager jeweils kurz bevor die neue Ernte fällig ist. «Die Äpfel geben sich die Klinke in die Hand», wie es Thomas Schnetzer formuliert, Leiter der Lagertechnik bei der Firma Tobi Seeobst in Bischofszell.

[IMG 2-3]

Gala hat den Golden von der Spitze verdrängt

Abo Erdbeeren Die Tobi Seeobst AG ist eine Drehscheibe für Erdbeeren aus der Ostschweiz Tuesday, 20. June 2023 In den rund 200 Lagerzellen von Tobi Seeobst in Bischofszell, Egnach und Güttingen werden jährlich 27'000 t Äpfel und 7000 t Birnen eingelagert. Dazu kommen 3800 t Steinobst und 3000 t Beeren. 120 Landwirte aus der Re­gion liefern während der Erntesaison jeweils bis zu sechzig Apfelsorten. «Der Publikumsliebling ist Gala, die Sorte macht einen Viertel der Menge aus», sagt Thomas Schnetzer, der bei der Firma für die Lagerung zuständig ist. «Gala ist bei den Konsumentinnen und Konsumenten so beliebt, weil er besonders süss und knackig ist.» Die Sorte hat mittlerweile den nach wie vor beliebten Golden Delicious von der Spitze verdrängt.

Nachdem die Früchte vorselektioniert angeliefert worden sind, kommen sie für die nächsten paar Monate in die Langzeitlager. Gefragt sind vor allem die erste und die zweite Wahl. Was den Qualitätsansprüchen nicht genügt, geht dagegen in die industrielle Verarbeitung. Ist eine Kühlzelle voll, wird die Temperatur langsam heruntergefahren. Während der Lagerzeit beträgt sie je nach Apfelsorte 1 bis 3 Grad. 

Lageräpfel machen einen Winterschlaf

«Einen Apfel muss man als Lebewesen betrachten, er atmet und produziert CO2, dies selbst während der Lagerung», erklärt Thomas Schnetzer. Damit die Frische erhalten bleibt, muss sein Stoffwechsel auf ein Minimum reduziert werden, vergleichbar mit dem Winterschlaf von Tieren. Dabei ist darauf zu achten, dass der CO2-Gehalt anfänglich tief bleibt. Dafür ist die DCA-Lagerung (Dynamic Controlled Atmosphere) mit modernstem Hightech zuständig: Diese berücksichtigt, dass das Obst durch die Zellatmung ständig Wärme, Wasser, CO2 und weitere Gase an die Umgebungsluft abgibt, wodurch sich die Atmosphäre verändert. Mittels Sensoren werden diese Variablen rund um die Uhr überwacht und entsprechend korrigiert. 

[IMG 7]

Jede Obstsorte hat ihre physiologischen Eigenheiten und stellt unterschiedliche Ansprüche an die Lagerung. «Alle Sorten miteinander zu lagern, wäre daher nicht möglich», so Schnetzer. Der Braeburn zum Beispiel verfügt über feste Zellen und verträgt nur einen geringen Gehalt an CO2. Er ist ein wärmeliebender Apfel und bei Reife in kalten Sommern fast nicht lagerbar. Die Zellstruktur ist nicht ideal gewachsen, so zeigt der Braeburn schon früh braune Flecken im Fruchtfleisch. Der Gala dagegen, ein Apfel mit viel Süsse, stellt weniger Ansprüche an das Klima und ist eine hervorragende Lagersorte. Dennoch ist es nicht nur der Zuckergehalt, der die Lagerfähigkeit bestimmt. «Letztlich ist es ein Zusammenspiel verschiedenster Faktoren», erklärt Marco Fankhauser, stellvertretender Chef der Lagertechnik. Bei der Lagerung seien jeweils die ersten fünf bis sechs Wochen entscheidend, während dieser Zeit müsse man besonders gut aufpassen.

Gefragt ist die Eier legende Wollmilchsau

Am Ende komme es auf das Resultat an: Die Äpfel müssten auch nach Monaten noch saftig und knackig sein, das ist den Kon­su­ment(innen) besonders wichtig. «Bei der jüngeren Generation spielt das Aroma dagegen weniger eine Rolle», stellt Thomas Schnetzer fest. Die Nachfrage einzelner Sorten ist Veränderungen unterworfen, die nicht nur von der Kundenlaune abhängen, sondern auch vom Klimawandel. «Ältere Sorten, die Wärme weniger gut vertragen, so etwa Cox Orange, haben es auf die Dauer schwer», sagt Schnetzer. Ständig seien neue Sorten in Entwicklung. «Gefragt ist die Eier legende Wollmilchsau.» Nur diejenigen Sorten, die wärmetolerant, besonders lagerfähig sind und den Konsumentenwünschen entsprechen, haben überhaupt eine Chance, künftig einen Platz in den Obstanlagen zu erobern. «Welche Sorten dann tatsächlich erfolgreich sind, sieht man erst zehn Jahre später», so Fankhauser.

[IMG 4-6]

Herbstsorten wie Elstar, Cox Orange, Boskoop und Gravensteiner sind bereits bis Ende Jahr ausverkauft. Viel länger könnten sie nicht gelagert werden. Bis zur nächsten Saison bleiben dagegen Hauptsorten wie Gala, Golden Delicious, Jonagold, Braeburn und Pink Lady frisch. Die jährlichen Mengen sind vor allem ­wetterbedingten Schwankungen unterworfen. Viele Sorten zeigen zudem eine Alternanz, das heisst, sie bringen nur alle zwei Jahre eine nennenswerte Ernte hervor. Der Cox Orange etwa erbrachte diesmal nur die Hälfte des letztjährigen Ertrags. 

Die Äpfel werden via Wasserkanal transportiert

Trifft eine Bestellung ein, werden die gewünschten Äpfel aus ihrem Lagerschlaf geholt. Dazu braucht es eine Akklimatisierung über mehrere Stunden oder Tage, während der sich das Obst langsam an ein wärmeres Klima mit mehr Sauerstoff gewöhnt. Anschliessend gelangen die Früchte in die Sortierungsabteilung. Dort werden sie nach verschiedenen Kriterien wie Grösse, Farbe oder Gewicht einer Gruppe zugeordnet. Die Sortierung in der hochmodernen Anlage erfolgt mithilfe von Wägestationen und Kameras vollautomatisch. Auf dem Weg zur richtigen Box sind die Äpfel in Wasserkanälen unterwegs. Dies verhindert, dass sie einander anrempeln und Schaden nehmen. Von da geht es weiter zur Verpackungsstation und schliesslich zum Transport in die Läden. Nachdem sie monatelang unter Idealbedingungen frisch geblieben sind, reifen sich nun rasch und sollten rasch konsumiert werden.

Kontrollierte Atmosphäre

CA-Lagerung (Controlled Atmosphere): Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Sauerstoff und CO2 werden konstant auf dem gleichen Niveau gehalten.

DCA-Lagerung (Dynamic Controlled Atmosphere): Mittels Sensoren werden Variablen wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Sauerstoff und CO2 rund um die Uhr überwacht und entsprechend korrigiert. Dies erhöht die Lagerfähigkeit gegenüber der CA-Lagerung. DCA kommt vor allem bei Obstsorten zum Einsatz, die lange gelagert werden.