Marc Wyss, in einem Jahr werden die angehenden Landwirte und Landwirtinnen nach einem neuen Lehrplan unterrichtet. Wie sieht dieser aus?
Marc Wyss: Die Schullektionen werden von ursprünglich 1600 auf 1500 Lektionen reduziert. Diese sind nun linear verteilt und die Lernenden sind somit im 1. und 2. Lehrjahr mehr in der Schule als jetzt. Das stösst zwar einigen Bauern sauer auf, im dritten Lehrjahr wird die Lektionenzahl jedoch um 360 reduziert. Dafür erhöhen sich die üK‑Tage von rund 8 auf 11–12 Tage.
Wurde der Lehrplan auch aus Spargründen revidiert?
Das würde ich nicht sagen. In erster Linie wollte man die Ausbildung an die heutigen Herausforderungen anpassen, das Praktische in den Vordergrund rücken und die Schule etwas entschlacken.
Was ist das konkrete Ziel dieser Revision?
Wir wollen die Theorie zur Praxis zu liefern, nicht umgekehrt. Der Beruf Landwirt/in EFZ ist nun mal kein theoretischer Beruf. Diesem Fakt will man nun auch in der Bildung Rechnung tragen.
Welche Herausforderung stellte sich bei der Erarbeitung des neuen Lehrplanes?
In der Grundsatzfrage, ob die Grundbildung Generalisten oder Spezialisten formen sollte, war man sich anfangs nicht einig. Die Geister schieden sich dort massiv. Das war einer der grössten Streitpunkte in dieser ganzen Diskussion. Schlussendlich fällte die Organisation der Arbeitswelt (OdA AgriAliForm) den Entscheid: Die Grundbildung muss Spezialisten bilden. Die Lösung ist nun das System 3+1; während den ersten zwei Jahren werden die angehenden Landwirte und Landwirtinnen zu Generalisten, danach, im Rahmen der Fachrichtungen, zu Spezialisten. Im vierten Jahr haben sie dann die Möglichkeit, ein zweites EFZ in einer zweiten Fachrichtung zu erlangen.
Aufgrund der erhöhten Lektionenzahlen in den ersten beiden Bildungsjahren liegt die andere Herausforderung ganz klar in der Rekrutierung von Lehrpersonen, die die Inhalte der jeweiligen gefragten Fachrichtungen auch kompetent vermitteln können. Die grosse Unbekannte ist, wie viele Schüler(innen) im 3. Lehrjahr welche Fachrichtung besuchen möchten. Wir werden mit dem Anmeldetermin für den Fachrichtungsentscheid nach vorne rücken müssen. Wir mussten uns auch fragen, ob unser Lehrmaterial zeitgemäss ist.
Apropos zeitgemäss: An der HAFL ist es immer noch Pflicht, mindestens einen Monat auf einem Betrieb das Melken zu lernen – der Fokus liegt stark auf der Milchviehhaltung. Ist das auch in der Grundbildung der Fall?
Das würde ich so nicht sagen. Mit den Fachrichtungen bieten wir den Lernenden die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, in welche Richtung sie sich ausbilden möchten. Dann bewegen wir uns immer noch im Bereich der Grundbildung. Da ist eine Kuh immer noch eine Kuh. Die Fachrichtungen werden durchaus tiefer behandelt.
Gibt es Bestrebungen, die Grundbildung weiter zu diversifizieren?
Grundsätzlich ist dies Sache der OdA. Geplant ist es meines Wissens nicht explizit. Das kann sich aber auch noch ändern.
Wie schwierig gestaltet sich die Planung des vierten Lehrjahres in der Praxis?
Am Anfang wird es sicherlich ein Blindflug, wie viele sich für welche Fachrichtung entscheiden. Nach den ersten Durchläufen werden wir dann eine grössere Planungssicherheit haben. Diese Frage stellt sich jedoch schon heute aufgrund der Kettenlehrverträge.
Wie gross müssten die Klassen denn sein, damit ein zweites EFZ angeboten werden kann?
Diese Frage diskutieren wir gerade mit dem MBA. Es ist zurzeit noch sehr unklar, wie rege dieses Angebot genutzt wird. Aus Sicht einer Grosschule spielt dies jedoch eine untergeordnete Rolle. Entweder man integriert die Lernenden in bestehende Klassen oder man eröffnet eine neue. Dazu bestehen Vorgaben des Mittelschul- und Berufsbildungsamts (MBA). Für kleinere Schulen ist dies sicher komplexer.
Inwiefern sind die Berufsverbände und die kantonalen Landwirtschaftsschulen in der Pflicht, genügend Auszubildende in den entsprechenden Fachrichtungen aufstellen zu können? Die Suisporc für die Fachrichtung Schweinhaltung beispielsweise?
Solche Verbände sind ganz klar in der Pflicht, ihre Lernenden zu rekrutieren. Das ist schliesslich auch in ihrem Interesse. Das betrifft beispielsweise auch Bio Bern, genügend Personen für eine Bio-Fachrichtungsklasse zusammenzubringen. Das ist insbesondere zentral, weil wir für die Grundbildung keine Werbung machen dürfen. Schlussendlich sagt die Branche, welche Inhalte ihre Lernenden an der Schule lernen müssen, das machen nicht wir. Ich sehe die Landwirtschaftsschulen diesbezüglich eher als Dienstleister.
Wo sehen Sie die greifbarsten Vorteile für die Lernenden, die ab 2026 im neuen Bildungssystem eingeschleust sind?
Die Grundbildung wird allgemein handlungsorientierter. Das heisst, wir vermitteln die Inhalte dann, wenn sie draussen auch Thema sind. Dann verändern sich mit der Revision 3+1 auch die Prüfungen. Schriftliche Prüfungen wird es nachwievor geben und diese werden zusätzlich ausgebaut. Dafür gibt es mündliche Prüfungen in der bisherigen Form gar keine mehr.
Wie wird dieses vierte Lehrjahr finanziert?
Es handelt sich um ein Lehrjahr mit Lehrvertrag und wird damit wie die anderen Lehrjahre von Bund und Kantonen finanziert.
Was haben Sie für ein Gefühl für diese Revision? Wie wird sie bei den Jungen ankommen?
Ich bin skeptisch und gleichzeitig gespannt, was diese Revision bei den Lernenden auslöst. Ich persönlich bin eher ein Befürworter der breiten Grundbildung und einer späteren Spezialisierung. Ob es die Lösung bringt, die wir suchen, wird sich zeigen. Sonst muss dann wieder korrigiert werden. Aber das ist Sache der OdA.
Marc Wyss ist Leiter des Fachbereichs Grundbildung und ab August stellvertretender Direktor des Inforamas. Wyss kommt nicht aus der Landwirtschaft und ist diesbezüglich nicht voreingenommen, wie er sagt.
