Ich möchte die Problematik der seit 2022 geltenden Fütterungsrichtlinien (maximal 5 Prozent Kraftfutter, 100 Prozent Schweizer Knospe-Futter) insbesondere für das Berggebiet ansprechen. Als Präsident der Engadiner Käsereigenossenschaft und Verwaltungsrat der Lataria Engiadinaisa SA (Lesa) beobachte ich die Entwicklungen bezüglich der Umstellungen von Biomilch- auf ÖLN-Milchproduktion bei uns im Engadin mit grösster Sorge.
Biomilch um 20 Prozent zurückgegangen
Auf Anfang Jahr haben bereits drei Betriebe auf ÖLN-Milch umgestellt, weitere fünf Betriebe werden dies per 1. Januar 2024 tun. Und eine nicht unwesentliche Anzahl Biomilchproduzenten spielen mit dem Gedanken einer Umstellung. Durch die Verschärfungen der Knospe-Fütterungsrichtlinien sind die Milcheinlieferungen von Biomilch bei der Lesa seit September 2022 um rund 20 Prozent zurückgegangen. Wenn wir die Biomilch der Betriebe, die bereits auf ÖLN-Milch umgestellt haben, und die Betriebe, die noch umstellen werden, mitberechnen, wird die Biomilchproduktion im Engadin innert kürzester Zeit um 30 bis 40 Prozent abnehmen.
Es wird die Milch fehlen
Dies stellt die Lesa vor fast unlösbare Aufgaben. In den vergangenen Jahren hat sie ihren Umsatz mit der Herstellung von neuen Biomilchprodukten deutlich steigern können. Heute stellt die Lataria sämtliche Biojoghurt für Volg Ostschweiz sowie schweizweit sämtliche Biojoghurt für Aldi her. Zudem können für Coop Bergbrie und Bergbutter in Bioqualität produziert werden. Dafür tätigte die Lesa in den vergangen fünf Jahren grosse Investitionen in Käsereinanlagen. Mit dem voraussichtlichen Rückgang der Biomilch wird die Lieferbereitschaft für diese Produkte jedoch nicht mehr möglich sein. Gleichzeitig müssen nun für die zusätzliche ÖLN-Milch neue Produkte und Absatzkanäle gesucht werden. Was im sehr hart umkämpften Schweizer Markt äusserst herausfordernd ist.
Verschärfungen unterschätzt worden
Aus meiner Sicht sind die Folgen der Verschärfungen der Fütterungsrichtlinien im Biolandbau für die Milchproduktion im Berggebiet deutlich unterschätzt worden. Hier haben viele Betriebe keine Möglichkeit, ihre Grundfutterproduktion mit Ackerbau zu optimieren, um den neuen Richtlinien gerecht zu werden. Bergbetriebe sind darauf angewiesen, qualitativ hochwertiges Kraft- oder Grünfutter kaufen zu können. Die meisten Betriebsleiter, ich zähle mich auch dazu, haben die Auswirkungen des Entscheids, nur noch Schweizer Knospe-Futter bei der Kraftfutter-Herstellung zu verwenden, unterschätzt. Sehr viele Betriebsleiter im Berggebiet sind am Rechnen und Grübeln, wie sie unter diesen Bedingungen Biomilch produzieren können beziehungsweise sollen. Viel zu viele, aus meiner Sicht.
Behauptungen, dass mit der Umstellung auf Zweinutzungsrassen eine grosse Mehrheit der Probleme gelöst werden könne, halte ich für Unsinn. Die Milchrasse Brown Swiss ist für die Milchproduktion im Berggebiet geeignet und kann aus dem Grundfutter mehr Milch produzieren als eine Zweinutzungsrasse. Dies kann eine Zweinutzungskuh auch nicht mit dem Schlachterlös ausgleichen. Ausserdem ist auf dem Markt nur sehr wenig Biomilchvieh vorhanden.
Zweinutzungsrassen keine Lösung
Eine Umstellung auf eine Zweinutzungsrasse müsste eine Erhöhung der Biomilchpreise zur Folge haben, um die Kosten zu decken. Unsere Käserei bezahlt 97 Rappen für Biosilomilch, der Zenit ist beim Biomilchpreis erreicht. Die Konsumenten sind nicht bereit, noch mehr für Biomilchprodukte zu bezahlen. Weitere Preiserhöhungen haben im jetzigen Konsumentenumfeld durch die gesunkene Kaufkraft einen direkten Rückgang des Absatzes zur Folge. Die Milchproduzenten sind seit Jahrzehnten grossem Preisdruck und Erneuerungsdruck ausgesetzt. Deswegen sind die allermeisten nicht bereit, eine Umstellung der Rasse auch nur in Betracht zu ziehen, und ziehen es vor, auf ÖLN umzustellen oder die Milchproduktion gar einzustellen.
Baldige Massnahmen sind gefragt
Für die Erhaltung der Biobergmilchproduktion müssen nun schnellstmöglich Massnahmen getroffen werden. Ich bin der Ansicht, die von den Delegierten von Bio Suisse beschlossenen Fütterungsrichtlinien zeigen zwar die richtige Richtung vor, das Tempo ist aber für Bergmilchviehbetriebe viel zu schnell. Eine Übergangszeit von drei bis fünf Jahren wäre unbedingt nötig. Während dieser Zeit sollten die Futtermittelhersteller wieder EU-Biofutter (Eiweissträger) importieren können und zur Futterherstellung für Wiederkäuer Nebenprodukte aus der Lebensmittelproduktion von EU-Bioprodukten einsetzen dürfen. Zudem braucht es mehr Zeit für eine angepasste Biomilchviehzucht sowie generell eine Erhöhung der Schweizer Biofutterproduktion, um die Nachfrage decken zu können.
Der Vorstand von Bio Grischun hat die Tragweite der Problematik erkannt. Aus diesem Grund wurde eine Arbeitsgruppe zur Erarbeitung von Vorschlägen eingesetzt. Zudem wurden alle Biomilchviehbetriebe aufgefordert, zu diesem Thema eine Rückmeldung zur aktuellen Situation auf ihrem Betrieb zu geben.
Zur Person
Armon Mayer ist Präsident der Società Cooperativa Chascharia Engiadinaisa in Bever. Er schreibt für die Rubrik «Arena» im Regionalteil Ostschweiz/Zürich der BauernZeitung.
