«Wie zufrieden sind Sie?», möchte der Verband Schweizer Milchproduzenten (SMP) von seinen Mitgliedern wissen. Zusammen mit der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaft (HAFL) entwickelte die Organisation den «Selbstcheck Lebensqualität», einen Onlinefragebogen. Boris Beuret erklärt, welche Ziele damit erreicht werden sollen.
Herr Beuret, was gehört zur Lebensqualität?
Boris Beuret: Dazu gehören zum einen materielle, zum anderen emotionale Aspekte. Es geht einerseits etwa um das Einkommen und die Arbeitsstunden. Andererseits geht es darum, genügend Zeit zu haben für Familie, Freunde und Hobbys – oder auch mal Ferien zu machen. Dazu gehört auch die Freude am Leben und an der Arbeit und dass man sich in der Gesellschaft integriert fühlt.
Wie gehören Lebensqualität und soziale Nachhaltigkeit zusammen?
In der Nachhaltigkeit unterscheidet man zwischen den drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales. Unser Selbstcheck Lebensqualität ist im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit angesiedelt. Die Lebensqualität gilt als zentraler Indikator für die soziale Nachhaltigkeit. Für eine gute Lebensqualität sollte es auf verschiedenen Ebenen stimmen. Dabei gibt es sowohl objektive als auch subjektive Aspekte: Zwei Personen können dieselbe Situation ganz unterschiedlich wahrnehmen. Das ist schwer fassbar. Daher haben wir für die Erarbeitung des Selbstchecks Lebensqualität intensiv mit Sandra Contzen und ihrem Team bei der HAFL zusammengearbeitet. Damit ist der Fragebogen wissenschaftlich basiert, aber auch praxisnah und auf die Milchproduktion massgeschneidert.
«Wir werden Ihnen die Realität zeigen.»
Boris Beuret über den Nutzen der Resultate des Selbstchecks.
Wer soll den Selbstcheck machen?
Alle Milchproduzentinnen und -produzenten sowie deren Partnerinnen und Partner. Wir von der SMP möchten ein Bild der ganzen Branche. Wir hoffen daher, dass der Selbstcheck von allen Mitgliedern gemacht wird, auch von jenen, die sich rundum wohlfühlen. Denn nur auf der Basis einer breiten Datengrundlage können wir Schlüsse ziehen.
Wie schätzen Sie selbst die Situation der Branche ein?
Die allgemeine Situation ist sicher nicht dramatisch. Aber verglichen mit der übrigen Gesellschaft scheint die Lebensqualität in unserer Branche unterdurchschnittlich zu sein. Nicht alle Milchproduzentinnen und -produzenten fühlen sich deshalb schlecht. Doch es ist wichtig, dass wir uns mit der ganzen Gesellschaft weiterentwickeln, sonst entstehen in der Schweiz Parallelgesellschaften. Wir lieben die Kühe und den Beruf, doch es gibt Grenzen, sonst dreht man nur noch im Hamsterrad.
Wie meinen Sie das?
Trotz der vielen Arbeitsstunden haben manche Bauernfamilien wenig Geld. Wenn man nur wenig pro Stunde verdient, muss man noch mehr für den Lebensunterhalt arbeiten, hat also noch weniger Zeit für sich und für die Familie. Wenn hingegen das Einkommen stimmt, kann man sich eher Hilfe leisten.
Finden sich unter diesen Bedingungen genügend Nachfolger für Milchwirtschaftsbetriebe?
In Frankreich sollen in den nächsten fünf Jahren 50 Prozent der Betriebe übergeben werden, das wird kritisch. So ausgeprägt ist die Überalterung bei uns nicht. Aber wir spüren, dass das ein Thema ist, und wissen, dass die Jungen oft etwas anderes möchten als die elterliche Generation. Allerdings fehlen uns konkrete Angaben. Auch hier hoffen wir durch den Selbstcheck Informationen zu erhalten, damit wir reagieren können, bevor die Branche mit dem Rücken zur Wand steht.
«Ich mag gut gemachte Arbeit, aber hasse komplizierte Dinge»
Einfachheit und ein klarer Fokus bedeuten für Boris Beuret persönlich Lebensqualität.
Was gehört zu den Zielen des Selbstchecks?
Dazu gehört zuerst die Sensibilisierung für die eigene Situation. Daher ist es gut, wenn auch der Partner oder die Partnerin den Selbstcheck macht und man anschliessend zusammen darüber spricht. So erreicht man innerhalb des Betriebes etwas, kann zusammen Verbesserungen angehen. Es geht uns aber auch darum, zu zeigen, dass das Thema Lebensqualität wichtig ist.
Wie ist der Selbstcheck aufgebaut?
Es sind 40 Fragen rund um acht verschiedene Lebensbereiche. Um sie zu beantworten, braucht man 15 bis 20 Minuten. Bei jeder Frage kann man anklicken, wie stark sie einen betrifft oder eben nicht. Uns war wichtig, dass er einfach auszufüllen ist. Das haben wir erreicht.
Was passiert mit den Daten?
Man muss sich für den Selbstcheck anmelden, da nur Mitglieder teilnehmen können. Die Daten bleiben für die Einzelnen im System greifbar. Dank dem können die Teilnehmenden ihre Ergebnisse mit Vergleichsgruppen jederzeit vergleichen. Die Ergebnisse werden durch unsere Marktforschungsabteilung anonym ausgewertet. Wir haben keinen Einblick in die Einzelresultate und können keine Rückschlüsse auf Personen oder Betriebe ziehen. Mir ist wichtig, dies klar zu sagen, denn ich habe bereits etwas Skepsis gegenüber der Registrierung gespürt.
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Was, wenn jemand mit den eigenen Resultaten überfordert ist?
Wir können nicht ausschliessen, dass der Selbstcheck etwas auf der persönlichen Ebene auslöst, dass jemand vielleicht erst dann erkennt, dass gröbere Probleme im Raum stehen. Im Selbstcheck finden sich daher Links zu verschiedenen Hilfsangeboten wie dem Bäuerlichen Sorgentelefon oder der Website des SBLV. Wir lassen die Leute nicht im Stich.
Wann rechnen Sie mit der Auswertung?
Nach dem ersten Quartal, also im Frühling 2025, machen wir eine Bestandesaufnahme. Unser Ziel ist, bis dahin 2000 Teilnehmende zu haben. Das wäre eine gute Grundlage. Dann schauen wir, wie es weitergeht. Wir haben bereits einige Ideen in der Pipeline.
Was wollen Sie mit den Resultaten als Verband bewegen?
Das hängt sehr davon ab, welche Signale daraus hervorgehen. Vielleicht braucht es bei den Hilfsangeboten eine Anpassung, wenn sie nicht zum tatsächlichen Bedarf passen. Beim Thema Wirtschaftlichkeit können wir mit neuen Argumenten mit der Politik und den Marktplayern diskutieren. Wir werden ihnen die Realität zeigen. Denn ich glaube nicht, dass ein Grossverteiler Milch von Produzentinnen und Produzenten verkaufen möchte, die sich schlecht fühlen. Beim Nachwuchs können wir allenfalls bereits in der Ausbildung Einfluss nehmen. Es ist wichtig, die Jungen in der Ausbildung zu sensibilisieren und ihnen Werkzeuge zu geben. So lernen sie, präventiv zu sich zu schauen und die richtigen Entscheide zu treffen. Sonst fehlt ihnen bald die Freude.
Zur Person
Boris Beuret ist seit Frühling 2023 Präsident der Schweizer Milchproduzenten (SMP). Neben dieser Tätigkeit bewirtschaftet der 46-jährige ETH-Agronom aus Corban (Jura) mit seiner Frau Floriane einen 40-ha-Biobetrieb mit 60 Montbéliarde-Kühen.
Was tun Sie, um Ihre eigene Lebensqualität zu erhalten?
Bei allen Entscheidungen, die ich auf meinem Betrieb treffe, stelle ich die Rentabilität in den Mittelpunkt und vermeide so weit wie möglich, dass der wirtschaftliche Druck auf meinen Schultern zu gross wird. Im Laufe der Jahre habe ich mich auf die Milchproduktion spezialisiert. Ich bin auf eine einzige Produktion fokussiert, das macht mir das Leben leichter. Ich achte immer darauf, ein Produktionssystem zu entwickeln oder beizubehalten, das einfach und effizient ist. Ich mag gut gemachte Arbeit, aber ich hasse komplizierte Dinge. Auf diese Weise reduziere ich den psychologischen Druck. Letztendlich habe ich durch die bestmögliche Kontrolle des wirtschaftlichen und psychologischen Drucks eine gute Grundlage für eine Lebensqualität, die mir zusagt.
40 Fragen online beantworten
Wer den Selbstcheck ausfüllen möchte, muss sich im neu geschaffenen persönlichen Bereich für Produzent(innen) auf der SMP-Website einloggen. Wer noch kein Login hat, kann sich direkt auf der Seite registrieren. Wichtig: Jede teilnehmende Person braucht ein separates Profil mit eigener E-Mail-Adresse, also auch Ehe- oder Lebenspartner.
Der Selbstcheck Lebensqualität umfasst 40 Fragen in acht Lebensbereichen. Dazu gehören Fragen wie:
Mich stört, dass ich zu fest an den Betrieb gebunden bin.
Ich habe ausreichend Zeit, die jetzige betriebliche Situation zu reflektieren und über Veränderungen nachzudenken.
Mich belastet ein Generationenkonflikt.
Mein/e Partner/in ist ausreichend für Alter/Krankheit/Unfall/Invalidität versichert.
Ich erlebe meine Arbeit auf dem Milchwirtschaftsbetrieb als erfüllend.
Ich habe genügend Möglichkeiten, meine Anliegen in Berufsverbänden und Organisationen einzubringen.
Der Zeitaufwand für die Beantwortung beträgt 15 bis 20 Minuten. Die Daten werden anonymisiert, erlauben aber den Vergleich mit ähnlichen Betrieben und den eigenen früheren Ergebnissen.