Die Idee ist simpel: Wo es schwierig ist, den Ausstoss von Treibhausgasen zu senken, könnten diese stattdessen aus der Atmosphäre gefiltert und in der Erde gelagert werden. Wie Wald oder Moor gilt auch der Boden selbst als Kohlenstoffsenke: Er nimmt Karbon aus der Atmosphäre auf und lagert es in Form von Humus ein. Für die Landwirtschaft könnte das eine neue Einnahmequelle sein.
Geld dafür gibt es zum Beispiel von der Migros. Zusammen mit der Stiftung Myclimate und dem Landwirtschaftsdienst Agricircle startete sie im letzten Jahr ein Pilotprojekt. Mit Carbon Farming können Landwirtschaftsbetriebe dem orangen Riesen dabei helfen, seine Klimaziele zu erreichen. Pro Tonne CO2, die durch eine angepasste Bodenbewirtschaftung gespeichert wird, gibt es 100 Franken. Bis 2030 will die Migros mit dem Projekt 13 000 Tonnen CO2-Äquivalent aus ihrer Bilanz tilgen. «Pro Tonne CO2 werden voraussichtlich 0,25 Hektaren benötigt», sagt Ian Rothwell, der bei Myclimate für das Projekt zuständig ist.
Die Migros will dabei auf harte Fakten abstellen. Liefern kann ihr die die Zürcher Firma Agricircle. Diese hat eine Methode entwickelt, mit der genau überprüft werden kann, wie viel Kohlenstoff in einem Acker tatsächlich eingelagert wurde. Dabei werden per Fernerkundung bestimmte Messpunkte festgelegt, die der Betrieb selbst nicht kennt. Dort werden Proben genommen. Nach frühestens drei Jahren wird erneut beprobt und analysiert. Ob es Geld gibt oder nicht, hängt davon ab, wie viel zusätzlicher Kohlenstoff sich in der Bodenprobe findet.
Für die Betriebe bleibt ein Restrisiko
Ebenfalls wird berechnet, wie sich der Kohlenstoffgehalt des Bodens ohne diese Massnahmen über die Zeit verschoben hätte. Mit diesem Startszenario werden dann die Werte verglichen, die bei Projektende gemessen werden. «Je nachdem kann die gemessene Einlagerung dann angepasst werden», sagt Agricircle-CEO Peter Fröhlich: «Damit erhält der Landwirt ein Bild davon, welche Massnahmen an einem konkreten Standort am meisten Erfolg versprechen.» Der Humusaufbau variiere stark in Abhängigkeit von Boden, Kultur und den umgesetzten Massnahmen. «Das Projektziel ist die Speicherung von vier Tonnen CO2-Äquivalent pro Hektare und Jahr», sagt Fröhlich.
Er räumt ein, dass für den Betrieb ein Restrisiko bleibt: Belegen die Laboranalysen am Ende nicht mehr Kohlenstoff im Acker, gibt es kein Geld. Der Mehrwert liege für die Betriebe aber nicht nur im Geld, das sie durch den M-Klimafonds der Migros erhalten würden – oder eben nicht. «Die Bauern erhalten eine hervorragende Datengrundlage, die das Betriebsverständnis erhöhen, und eine umfangreiche Beratungsdienstleistung», sagt Fröhlich.
Wertvolle Informationen für künftige Wetterextreme
Dabei werde die Produktivität der Fläche analysiert, ausserdem erhalte der Betrieb Informationen zur Vitalität und zum Nährstoffgehalt der Böden. Diese Informationen seien in jedem Fall wertvoll. «Das Klima ändert sich, die Bauern müssen sich auf ganz andere Wetterbedingungen einstellen», sagt Fröhlich. So sei es auch für den Fall, dass es am Ende keine Zusatzfinanzierung durch die Migros gebe, viel wert, Bescheid zu wissen über den optimalen Aufbau und Erhalt des Humusgehalts: «Wir machen den Betrieb fit für die neuen Wetterextreme.»
Mit der gewählten Methode steuern Migros und Partnertriebe in unbekannte Gewässer. Bisher galten Punktmessungen nämlich nicht als ein geeignetes Monitoring-Instrument. «Sie eignen sich nur beschränkt zur Beurteilung der langfristigen Entwicklung des Humusgehalts im Boden», schreibt etwa die Forschungsanstalt Agroscope auf ihrer Website. Sie setzt auf einen eigenen Humusbilanzrechner, der den Kohlenstoffgehalt im Boden modelliert statt misst.
Ob das CO2 im Boden bleibt, ist nicht sicher
«Humus-Zertifikate» sind in der Fachwelt umstritten. Sie seien «kein geeignetes Instrument zum Erhalt und Aufbau von Humus», heisst es etwa in einem Positionspapier, das 2021 von deutschen Landwirtschafts- und Umweltorganisationen verabschiedet wurde. Die Zertifikate könnten keine permanente Kohlenstoffbindung sicherstellen, so die Kritik. Es handle sich um eine «nicht exakt messbare und leicht wieder umkehrbare Speicherung von Kohlenstoff im Boden».
«Die grosse Herausforderung ist der Nachweis des Humusaufbaus sowie die Sicherstellung der Permanenz», sagt auch Bettina Koster. Sie ist Verantwortliche Klima und Landwirtschaft bei der landwirtschaftlichen Beratungszentrale Agridea. «Zum einen dauert es mehrere Jahre, bis der Humusaufbau in unseren Böden nachgewiesen werden kann», gibt sie zu bedenken. «Zum anderen kann der zusätzlich aufgebaute Humus durch Bewirtschaftungsänderungen schnell wieder abgebaut werden.» Nichtsdestotrotz seien Humus aufbauende Praktiken aber zentral für eine nachhaltige Landwirtschaft, so Koster.
Myclimate sieht langfristigen Beitrag zum Klimaschutz
Der Kritik an der mangelnden Permanenz hat Ian Rothwell von Myclimate nichts entgegenzusetzen. Tatsächlich sei die Einlagerung von Kohlenstoff mit dieser Methode reversibel, räumt er ein. Zwecklos sei das Projekt aber trotzdem nicht. Auch wenn der Kohlenstoff auf der einen oder anderen Fläche später wieder entweiche, der Nutzen überwiege: Mit Beratung und Vernetzung, aber auch dem Gewinn neuer Erfahrungen werde das «Carbon Farming» gefördert und damit ein langfristiger Beitrag zum Klimaschutz in der Schweiz geleistet. «Klimaschutz ist zu wichtig, um nichts zu tun», sagt er.
Dass der im Boden eingelagerte und bilanzierte Kohlenstoff schon in wenigen Jahren dennoch wieder in der Atmosphäre landet, schliesst auch Peter Fröhlich nicht aus. «Das Programm läuft bis 2030», sagt er. «Danach ist der Bauer frei, die Bewirtschaftung wieder zu ändern.» Komme es zu einem Wechsel der Pächter, stelle sich das gleiche Problem. Auch Betrug sei nicht ganz auszuschliessen, etwa wenn ein Betrieb Gelder für eine Fläche einheimse, im Gegenzug aber eine andere Fläche intensiver bewirtschafte und so das am einen Ort gebundene CO2 einfach an einem anderen Ort in die Luft blase. In anderen internationalen Programmen sei dies beobachtet worden, so Fröhlich.
Misstrauen gegenüber dem Zertifikathandel
Vorbeugend werde deshalb beim Pilotprojekt der ganze Betrieb regelmässig angeschaut, und das über die ganze Laufzeit des Programms. «Mit der Motivation der Betriebe, die Böden zu verbessern, um die kommenden Wetterextreme besser abfedern zu können, glauben wir, dass die Pionierbetriebe 2030 besser dastehen werden und dann eher nicht zum alten System zurückwollen», fügt Fröhlich an.
Dass das Projekt bei vielen Bauern auf Skepsis stösst, verhehlt Fröhlich nicht. Dabei gehe es aber eher um ein Misstrauen gegenüber dem Zertifikathandel. Er betont, dass es im Förderprogramm nicht um handelbare Zertifikate gehe.
Landwirtschaftsland kann als CO2-Senke genutzt werden. In der Schweiz hat die Migros zusammen mit der Stiftung Myclimate Schweiz ein entsprechendes Pilotprojekt gestartet. Die Methode ist nicht unumstritten, da das CO2 dabei nicht permanent gespeichert wird. Ändert der Betrieb die Bewirtschaftung, gelangt es schon nach kurzer Zeit wieder in die Atmosphäre. Dennoch erhoffen sich die Initianten von dem Projekt Fortschritte beim Klimaschutz. Von herkömmlichen CO2-Zertifikaten distanzieren sie sich. Von diesen rät mittlerweile auch der Schweizer Bauernverband ab.
