Wer die Schlagzeilen um den Weizen verfolgt, ahnt wiederholt wenig Gutes. Die Felder in den USA präsentieren sich aktuell in schlechtem Zustand und der Weizen in Brasilien und Argentinien hat zu trocken. Die Ernte des vergangen Jahres fiel nicht nur in der Schweiz dürftig aus. In der Folge sind die Preise teilweise in Rekordhöhe gestiegen. Viele Lager sind leer.
Fläche nimmt ab
Der Selbstversorgungsgrad mit Weichweizen liegt in der Schweiz derzeit noch bei rund 78 Prozent. Das soll so bleiben, ist man sich in der Branche einig. Denn Brot sei ein Grundnahrungsmittel und die Brottradition, wie auch die Vielfalt, hierzulande hoch. Im Gegenzug nimmt aber die angebaute Fläche kontinuierlich ab. Um die Menge längerfristig zu halten, müssten daher die Erträge steigen. Mit dem herrschenden «Extensivierungskurs» ist das aber wohl eher nicht zu erwarten. Und die Bereitschaft der Bauern, Weizen anzubauen, ist nicht grösser geworden. So kämpft beispielsweise die Label-Organisation IP-Suisse seit mehreren Monaten an allen Fronten um neue Produzenten oder neue Flächen bei bisherigen. Aber neben der Bereitschaft, Brotgetreide anzubauen, scheinen auch die Ären und damit die Erträge «nicht in den Himmel zu wachsen».
Erträge konstant bis abnehmend
Ein Blick auf die Erträge der letzten Jahre zeigt, dass keine bemerkenswerten Ertragssteigerungen erzielt werden konnten, im Gegenteil. Die Durchschnittserträge sind seit Jahren konstant bis abnehmend.
Die Branchenorganisation Swissgranum hat für das Jahr 2021 mit einem Ertrag von 411'000 t Weizen gerechnet, der auf 71'500 ha erzielt werden sollte. Das ergibt einen durchschnittlichen Ertrag von 57,4 kg/a Ertrag. Demgegenüber publiziert Swissgranum in der Medienmitteilung «Leistung der Winterweizensorten in den Swissgranum-Versuchen 2019/ 2020» aus den Versuchen von Agroscope, Forum Ackerbau und anderen Partnern für 2020 einen ÖLN-Durchschnittsertrag von 81,8 kg/a resp. Extenso von 77,1 kg/a. Da taucht unweigerlich die Frage auf: Wie kann man sich die Differenz zu den errechneten Durchschnittserträgen von rund 20 kg/a erklären?
Unter Modellbedingungen
Wir haben bei Swissgranum-Direktor Stephan Scheuner nachgefragt. «Sie stellen eine gute Frage», sagt er zum Einstieg, relativiert dann aber sehr rasch einmal, dass eben auch im Getreideanbau Äpfel nicht mit Birnen zu vergleichen seien. «Bei Sortenversuchen handelt es sich um Kleinparzellenversuche unter Modellbedingungen. Die Pflegemassnahmen und die Hilfsstoffe können so eingesetzt werden, dass in der Regel höhere Erträge erzielt werden als in der Praxis», sagt Scheuner. Die prognostizieren Durchschnittserträge, also die gut 57 kg, würden auf den erzielten Erträgen der letzten Jahre basieren. Bio werde separat ausgewertet, der Rest fliesse zusammen in eine Zahl. Das heisst neben konventionellen und ÖLN-Betrieben fliessen auch Extenso-Posten mit in die Statistik. Weiter sind auch alle jene Posten enthalten, die nicht backfähige Qualität vorweisen oder auch deklassiertes oder gar verhageltes Getreide. Also einfach alles.
Wenn in Sortenversuchen der Ertrag um mehr als ein Viertel höher liegt, scheint aber dennoch auf vielen Betrieben das Potenzial nicht ausgeschöpft zu sein. «Es gibt Kulturen, die stehen neun Monate auf dem Feld. Sie brauchen Zeit und Beobachtung», gibt Stephan Scheuner zu bedenken und fragt: «Haben die Produzentinnen und Produzenten in diesen Strukturen, wie wir sie in der Schweiz haben, genügend Zeit, sich den Kulturen zu widmen?»
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Bodenqualität nimmt ab
Zeit scheint nicht der einzige Faktor zu sein, der den Erträgen zusetzt. Ein weiterer ist die abnehmende Bodenqualität. Im Bodenbericht 2017 des Kantons Bern wird aufgezeigt, dass die Bodenqualität von landwirtschaftlich genutztem Boden stetig abnimmt. Und da kommen die drei «unheiligen Faktoren» im Ackerbau zum Tragen: die wendende Grundbodenbearbeitung, die intensive Saatbettbereitung mit zapfwellenbetriebenen Geräten sowie schwere Achslasten der Traktoren.
Nur zwei statt drei
Bernhard Streit von der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen ist der Meinung, dass bei Anwendung dieser drei Faktoren jeweils einer zu viel ist. «Pflügen – dann aber mit leichtem Traktor und Federzahnegge; Kreiselegge ja – aber nur mit ‹Fünflibertest› und nicht nach Pflug. Und wenn Pflug und Kreiselegge, dann nicht mit einer Lokomotive mit 9 Tonnen Leergewicht», fasst Streit zusammen. Auf die Frage nach der Lösung in diesem Bereich rät er zu weniger Bodenbearbeitung und zu permanenter Bodenbedeckung.
Es scheint also nicht möglich, neue Anbausysteme und Verbesserung des Bestehenden ohne Investitionen in die eigenen Fachkenntnisse und Erfahrungen umzusetzen. Soll die Schweiz ein Brotland bleiben, müssen die Produzenten auch bei den Anbausystemen die eigene Komfortzone verlassen und neue Pfade begehen – und dies mit möglichst schonenden Gerätschaften.
