Unter einer Biogasanlage versteht man meist die grossen, mit Kuppeln gedeckten Fermenter. «Diese Anlagen funktionieren nur mit der Beigabe von Co-Substraten», erklärte Michael Studer, Dozent für Agrar-, Forst- und Energietechnik an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL). Und diese energiereichen Reststoffe seien so weit aufgebraucht, dass sich weitere Biogasanlagen des bekannten Typs nicht mehr damit versorgen liessen. «Daher braucht es neue Anlagen, die technisch und ökonomisch nur mit Hofdüngern auskommen», so Studer. Denn er ist überzeugt: «Wenn wir in Zukunft etwas mit Biomasse machen wollen, dann mit Hofdüngern.»

Nicht nur Energie – grosses Potenzial besteht

Laut Michael Studer wird Biomasse in der Schweiz heute vor allem in Form von Holz zur Energieproduktion genutzt. Bei Hofdüngern hingegen liege das Potenzial noch zu 95 Prozent brach, nur 5 Prozent werden hierzulande bisher in Biogasanlagen vergärt. Studer betont aber, dass das Potenzial hinsichtlich der Schweizer Energiestrategie und dem Ziel von Netto Null Treibhausgas-Emissionen nicht nur in der (alleinigen) Stromproduktion liege.

«Wir könnten 4 Prozent des heutigen Atomstroms ersetzen, 57 Prozent des Bedarfs an Kohlenstoff in der Chemie- und Pharma-Industrie oder 41 Prozent des CO2 damit binden, das mit negativen Emissionstechnologien für Netto-Null aus der Atmosphäre entnommen werden muss», rechnete er vor. Die verschiedenen Möglichkeiten der Biomasse-Nutzung als Kohlenstoffquelle, Kohlenstoffspeicher und Energieträger erforscht die HAFL in drei neuen Laboren, die als Teil eines «Biomasse-Forschungshubs» vergangene Woche feierlich eröffnet worden sind.

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Das Ziel: Umsetzbare Lösungen

Der Berner Grossrat Markus Aebi bezeichnete den neuen Forschungshub als «Meilenstein in der Entwicklung der HAFL». Er sei aber auch ein Paradebeispiel dafür, wie einfach es im Grunde laufen könne: «Man stellt ein Problem fest, die Politik stellt der Forschung Gelder zur Verfügung und diese entwickelt umsetzbare Lösungen», schilderte Aebi.

Ganz so einfach gehe es dann aber meist doch nicht. Die Investition des Kantons Bern in der Höhe von zwei Millionen Franken für je ein Trocken-, Analyse- und Nasslabor habe zu einigen politischen Diskussionen geführt, auch angesichts der bereits hohen Ausgaben für die Berner Fachhochschulen. Doch Aebi ist zuversichtlich, dass in den neuen Laboren «zukunftsweisende Resultate für die Landwirtschaft» entstehen werden. «Michael Studer, Sie haben es in der Hand», schloss er.

Projekte sind gestartet

Michael Studer gab als Leiter des Biomasse-Forschungshubs zusammen mit seinem Team einen Einblick in bereits laufende Projekte. So arbeitet man beispielsweise an einer «Kompakt-Biogasanlage», die im Gegensatz zu den Grossen ohne Co-Substrat und nur mit der Gülle von etwa 80 Milchkühen betrieben werden soll. Die Leistung liege etwa bei 80 kW, die Energie gelangt als Biogas direkt vom Hof ins Erdgasnetz.

Die HAFL konnte zeigen, dass in Biogasanlagen die Methanausbeute aus Güllefeststoffen durch eine Dampfvorbehandlung steigt. Das Prinzip ähnelt einem Dampfkochtopf, der abrupt geöffnet wird. Während im Kochtopf das Resultat z. B. explodierte Kartoffeln sind, schliesst die «Steam Gun» («Dampf-Kanone») der HAFL die Biomasse auf. Dieses Verfahren macht sie für die Mikroorganismen im Fermenter besser verdaulich, kann aber auch als Vorstufe für eine andere biotechnologische Umwandlung dienen.

Eine Alternative zu Erdöl und Erdgas?

Solche Verfahren sollen es künftig möglich machen, Erdöl und Erdgas als Rohstoffe für die Industrie zu ersetzen. Jan Backmann arbeitet bei der Firma Hoffmann-La-Roche im Bereich Gesundheit und Umweltschutz und erklärte, die Chemie- und Pharmaindustrie habe ein grosses Interesse an Biomasse-basierten Kunststoffen und Chemikalien. «Wir favorisieren dabei Biomasse aus Algen und Mikroorganismen aus Fermentationsanlagen», so Backmann.

Denn Erdöl sei zweifellos endlich und die Quellen würden oft von Menschen kontrolliert, «mit denen wir gar nicht so viel zu tun haben wollen», gab er zu bedenken. Die Defossilierung – also die Abkehr von fossilen Rohstoffen – werde früher oder später geschehen, doch Hoffman-La-Roche wolle sie aktiv gestalten.

Dünger aus Abwasser gewinnen

Abo 40 000 t Stickstoff verlassen das Ernährungssystem jedes Jahr via Kläranlagen. Statt Mineraldünger Die Stickstoffmenge im Abwasser wäre genau richtig Monday, 22. January 2024 Biomasse aus Mikroorganismen ist auch ein Forschungsthema der HAFL. Es ist den Zollikofern gelungen, Mikroalgen in einem Biofilm wachsen zu lassen und sie zur Produktion von Pflanzenöl zu nutzen. Der Prozess bindet CO2 und die entstehenden Fette könnten z. B. als Treibstoffe oder in Futtermitteln zum Einsatz kommen.

Als Biofilm bilden die Algen eine Schicht, die sich durch einfaches Abschaben «ernten» lässt. Der grosse Vorteil gegenüber der Zucht von freischwimmenden Algen ist der geringere Energieaufwand für die Trocknung der Biomasse zur weiteren Verwendung. Aus der Entwicklung des Biofilm-Verfahrens ist an der HAFL ein weiteres Projekt entstanden: In Zusammenarbeit mit der ARA Lyss untersucht man das Potenzial solcher festsitzender Mikroalgen in der Rückgewinnung von Stickstoff und Phosphor aus dem Abwasser. Die Algen aus der ARA sollen anschliessend in einer landwirtschaftlichen Biogasanlage vergärt werden – mit dem Ausbringen solcher Gärgülle schliesst sich ein Kreislauf, der bisher offen ist.

Dies, obwohl im Abwasser ziemlich genau jene Menge Stickstoff schwimmen würde, die jährlich als Mineraldünger importiert wird. «Es handelt sich um ein Grundlagenprojekt», bemerkte Michael Studer, «es dauert noch Jahre, bis das Verfahren reif für die Industrie ist.»

Landwirtschaft dereinst letzter Emittent?

Schweizer Biomasse sei ein knappes Gut. Bei Hofdüngern bestehe aber das grösste noch zusätzlich nachhaltig nutzbare Potenzial, fasste der Forschungsgruppenleiter zusammen. «Wir müssen in der Landwirtschaft nicht nur aktiv Treibhausgas-Emissionen verhindern, sondern sie auch der Atmosphäre wieder entziehen», ist Michael Studer überzeugt. Die Möglichkeiten der Treibhausgas-Speicherung im Sinne von Negativ-Emissions-Technologien (NET) gelte es anzugehen, «sonst steht die Landwirtschaft 2050 als grösster Emittent da, wenn die anderen Sektoren ihren Ausstoss auf Netto-Null gebracht haben.» Der Biomasse-Hub befasst sich mit diesem Ziel vor Augen z. B. mit Pflanzenkohle.