Unsichtbar für die Zugreisenden ragt irgendwo hinter den 3266 km Schienenwegen im Betrieb der SBB ein gewaltiger Schuldenberg auf. 11,26 Milliarden Franken misst dieser Berg. Und er wirft nun offenbar seinen langen Schatten auf die Böschungen entlang der Gleise, an denen man vom Zugfenster aus immer wieder Berufkraut, Japanknöterich oder Goldruten vorbeiziehen sieht.
«Massiv reduzieren»
«2024 hat der Bundesbetrieb SBB aus Spargründen entschieden, den Grünunterhalt massiv zu reduzieren», kritisiert der Zürcher Bauernverband (ZBV) in einer Medienmitteilung.
Die Landwirtschaftskammer des Berner Juras hat ein Communiqué mit demselben Wortlaut veröffentlicht. Darin ist zu lesen, die SBB würde künftig nur noch sicherheitsrelevante Massnahmen umsetzen. Die Bekämpfung invasiver Neophyten gehöre explizit nicht dazu. «Somit können sich die vermehrungsfreudigen Pflanzen ungehindert verbreiten», warnt der ZBV. Der Aufwand der angrenzenden Grundeigentümer und Bewirtschafter werde damit deutlich steigen, ohne dass es dafür eine Entschädigung geben würde.
Als Reaktion auf Medienberichte und die Kritik von Bauernverbänden hat die SBB einen Onlineartikel zur künftigen Neophyten-Bekämpfung entlang der Schienenwege veröffentlicht. Es handelt sich im Grunde um eine Stellungnahme zu den öffentlichen Vorwürfen. «Fakt ist: Die SBB bekämpft invasive Neophyten gezielt», lautet der Titel. In dem Artikel wird eingeräumt, aufgrund der finanziell angespannten Lage müsse die SBB derzeit den Gehölzunterhalt, die Bekämpfung der Vegetation im Gleisbereich und der Neophyten reduzieren. Man halte sich an die gesetzlichen Vorgaben, versichert die SBB und erläutert ihre «Fünf-Punkte-Strategie»:
- Ausbreitung von gesundheitsgefährdenden Arten verhindern.
- Ausbreitung von bahntechnisch problematischen Arten ein-dämmen.
- Bekämpfung von Neophyten in Naturschutzgebieten, auf Auflage- und Biodiversitätsflächen.
- Ausbreitung des Schmalblättrigen Greiskrauts eindämmen.
- Teilnahme an kantonalen/kommunalen Bekämpfungskonzepten.
Primär wolle man momentan gegen diejenigen Neophyten vorgehen, die gesundheitsschädigend oder eine Beeinträchtigung für den Bahnbetrieb seien (Punkte 1 und 2), fasst die SBB zusammen.
Keine Antworten
Die Grünlandpflege gehörte zum Unterhalt der Bahnanlage und die finanziellen Mittel der SBB dienten verschiedenen Verwendungszwecken, heisst es weiter. «Es müssen beispielsweise Gleise geschliffen und Brücken unterhalten werden, ebenso wie Signale und Fahrleitungen.»
Was der Entscheid der Bundesbahnen in der Praxis und vor allem für jene bedeutet, die in der Nähe von Schienenwegen Land bewirtschaften, ist schwer abzuschätzen. Auf konkrete Fragen der BauernZeitung geht die SBB nicht ein, sondern verweist auf ihren Onlineartikel.
«Künftig wieder umfassender bekämpfen.»
Die SBB nennt als Ziel, die reduzierten Massnahmen wieder hochzufahren.
«Nachlässigkeit bestraft die Natur», hält aber der ZBV fest, «die Neophyten verbreiten sich sofort und noch stärker.» Ausserdem gibt der Verband zu bedenken, dass auch andere schädliche Pflanzen wie Disteln oder Blacken der Landwirtschaft zu schaffen machen. Die Direktzahlungsverordnung schreibt vor, dass solche Problempflanzen und invasive Neophyten bekämpft und insbesondere ihre Ausbreitung verhindert werden müssen. Da Kürzungen der Direktzahlungen drohten, werde der Landwirtschaft eine indirekte Bekämpfungspflicht auferlegt. «Für alle anderen gilt eine solche nicht», bemängelt der ZBV.
Die SBB hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 einen Fünftel ihrer Böschungen naturnah zu pflegen. Eine solche Bewirtschaftung sieht die SBB für Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung, Naturschutzgebiete und «ökologisch wertvolle» Flächen vor. Sie will gemäss ihrem Nachhaltigkeitsbericht damit einen Beitrag zur Sicherung der ökologischen Infrastruktur in der Schweiz leisten. 2500 ha gehölzfreie Böschungen führt die SBB im Nachhaltigkeitsbericht auf, wovon Stand 2023 5,2 Prozent naturnah gepflegt seien. In der «Perspektive Bahn 2050» des Bundes heisst es zur Biodiversität lediglich: «Der positive Beitrag der Bahn zur Biodiversität (Flächen als ökologische Infrastruktur) kann fortgesetzt werden.»
Gewinn reicht nicht aus
Diese Ziele kollidieren nun offensichtlich mit der Finanzlage der Bundesbahnen. Dank rekordhohem Aufkommen von Zugreisenden schrieb die SBB im letzten Jahr zwar erstmals seit 2019 wieder schwarze Zahlen. «Der Spar- und Effizienzdruck bleibt aufgrund des Schuldenbergs aber hoch», teilte die SBB im März mit. Es resultierte 2023 ein Gewinn von 267 Millionen Franken – was aber nicht ausreiche, um die bestehenden Schulden massgeblich zu reduzieren. Mit dem Gewinn liessen sich überdies nicht die Verluste der Vorjahre ausgleichen und die Investitionen in die Zukunft – z. B. in neues Rollmaterial – finanzieren. Um finanziell gesund zu sein, braucht die SBB nach eigenen Angaben jährliche Gewinne von rund 500 Millionen Franken.
Das Parlament spricht Gelder
In der Sommersession hat das Parlament entschieden, den Schuldenabbau der SBB mit 1,15 Milliarden Franken aus der Bundeskasse zu unterstützen. Mit Kosten- und Effizienzmassnahmen will die SBB bis 2030 rund sechs Milliarden weniger ausgeben. «Die Massnahmen sind auf Kurs», heisst es dazu im Geschäftsbericht 2023.
Aus Sicht des ZBV täte die SBB zum Wohle der Natur und als Zeichen eines gutnachbarlichen Verhältnisses gut daran, ihre Verantwortung im Grünunterhalt «wieder vollumfänglich wahrzunehmen». Der Wille dazu scheint vorhanden: «Es bleibt das Ziel der SBB, invasive Neophyten künftig wieder umfassender zu bekämpfen», heisst es in der Stellungnahme.

