«Es gibt aktuell nur sehr grobe Schätzungen», betont Rahel Emmenegger, stellvertretende Geschäftsführerin des Schweizerischen Getreideproduzentenverbands (SGPV). Die Ernte von Getreide und Raps laufe noch lange und die bisherigen Rückmeldungen seien regional sehr unterschiedlich, gibt sie zu bedenken. «Bisher rechnen wir mit Ertragseinbussen von etwa 15 Prozent beim Weizen und 20 bis 30 Prozent bei der Gerste.»
Westschweiz eher verschont
Was die Qualität angeht, habe der SGPV bis jetzt vor allem Rückmeldungen über manchmal tiefe Hektolitergewichte erhalten. Die Mykotoxin-Problematik scheine zum aktuellen Zeitpunkt weniger dramatisch als befürchtet, «aber es ist schwer abzuschätzen, was das am Ende heissen wird», ergänzt Rahel Emmenegger. Noch weniger könne man zu Menge und Qualität der ersten Rapsposten sagen.
«Beim Extenso-Raps sehen wir sehr grosse Unterschiede, sowohl regional als auch je nach Betrieb», sagt Alexandre Bardet, der bei IP-Suisse den Bereich Pflanzenbau leitet. Manche hätten über 40 kg/a geerntet, andere nur die Hälfte. Beim Brotweizen hingegen zeichne sich ein Trend ab mit tieferer Mykotoxin-Belastung in der Westschweiz. Label-Getreide sei dabei nicht stärker belastet als konventionelles, sagt er und verweist auf die Statistik der Getreide Mittelthurgau AG (siehe Kasten). «Beim IP-Suisse-Brotweizen liegen die Erntemengen 20 bis 40 Prozent unter dem Vorjahr», schätzt Bardet.
«Wir rechnen mit Einbussen von etwa 15 Prozent.»
Rahel Emmenegger, SGPV, über vorläufige Schätzungen zum Weizen.
Alle Labels gleich betroffen
«Dieses Jahr ist schlimmer als 2021», sagt Markus Raschle, Geschäftsführer der Getreide Mittelthurgau AG (GMAG) in Märstetten TG. Damals sei die Ernte beim Brotgetreide um 30 Prozent tiefer ausgefallen – heuer beziffert er das Minus in seiner Sammelstelle auf 70 Prozent.
Auch konventionell weniger gespritzt
Mittlerweile (Stand 23. Juli 2024 morgens) seien bei der GMAG sowohl Gerste (99 Prozent) als auch Brotweizen (80 Prozent) grossmehrheitlich abgeliefert. Bei Letzterem liegen die Erträge zwischen 25 kg/a und 60 kg/a, der Durchschnitt beträgt unter 40 kg/a. «Die Deklassierungen betreffen alle Labels gleichermassen», erklärt Markus Raschle. 52 Prozent des in Märstetten angelieferten Suisse-Garantie-Weizens hätten wegen zu hoher Mykotoxin-Belastung deklassiert werden müssen, 50 Prozent bei IP-Suisse-Ware und 47 Prozent beim Bio-Weizen.
Wetter während Blüte entscheidet
«Man hätte erwarten können, dass IP-Suisse am stärksten betroffen ist», so Raschle. Dies, weil IPS-Bestände intensiver geführt werden und damit dichter stehen als der ebenfalls fungizidfreie Bio-Weizen. «Für die Kontamination mit Fusarien sind aber Saat- und Blühzeitpunkt entscheidend.» Da heuer das Wetter zu diesem Zeitpunkt Pilzinfektionen begünstigt habe, träten hohe Mykotoxin-Werte flächendeckend auf, so die Erklärung. «Im konventionellen Anbau kommen die verfügbaren Wirkstoffe gegen Ährenkrankheiten mittlerweile auch seltener zum Einsatz, was in diesem Jahr leider zu wenig war, um einen Unterschied zu machen», ergänzt er. Früher seien drei Spritzungen üblich gewesen, heute eher eine bis zwei. In den letzten 30 Jahren hätten Mykotoxine aber auch nie ein derart grosses Problem dargestellt.
Möglichkeiten unterschiedlich
Es laufen nun Bemühungen, möglichst viel von der mageren Ernte zu retten. «Für uns sind die kleinen Mengen heuer insofern von Vorteil, als wir dadurch noch Platz und leere Zellen haben für die separate Lagerung von Ware mit fraglicher Qualität», erklärt Markus Raschle. Die Möglichkeiten zur Rettung von Posten tiefer Qualität seien je nach Sammelstelle unterschiedlich. Durch Aufreinigen lasse sich in gewissen Fällen das Hektolitergewicht aufbessern. Bei Mykotoxin-Belastungen über dem Grenzwert gilt bei der GMAG aber Nulltoleranz. «‹Quasi Verdünnen› geht für mich nicht. Gift ist Gift und Mischen wäre eine Täuschung des Endkonsumenten oder der Tierhalter, die das Getreide als Mischfutter beziehen», findet Geschäftsführer Markus Raschle.
Raps ist besser
Immerhin zeigten sich die letzten angelieferten Posten in Märstetten etwas besser. Spätere Bestände konnten vielleicht von weniger hohem Pilz-Infektionsdruck während der Blüte profitieren. «Wir haben noch Hoffnung», meint Markus Raschle. Ausserdem seien die Erträge beim Raps generell zufriedenstellend, mit 2,5 bis 4 t/ha und einem Durchschnitt von etwa 3,2 t/ha.
«In den letzten 30 Jahren nie so gross gewesen.»
Markus Raschle, GMAG, über die Mykotoxin-Problematik 2024.
Biofarm spricht in einer Information an ihre Bio-Produzenten von schwachen Erträgen, zu hohen Mykotoxingehalten und ungenügenden Hektolitergewichten «in nicht wenigen Fällen». Einige Bio-Rapserträge seien aber erfreulich und biologische Sonnenblumen, Soja oder Mais sähen an vielen Orten vielversprechend aus. Auch gebe es Bio-Hafer mit gutem Hektolitergewicht.
Die Genossenschaft setzt sich nach eigenen Angaben dafür ein, dass möglichst viel von der biologisch produzierten Ernte für die menschliche Ernährung eingesetzt werden kann. Es liefen Abklärungen bezüglich Hektolitergewicht oder Protein mit den richtliniengebenden Organisationen wie Bio Suisse und dem Bundesamt für Landwirtschaft. Es gehe zum Beispiel darum, zu leichten Hafer nicht als Kraftfutter einzurechnen.
Möglichst alles annehmen
«Aktuell ist der SGPV nicht über solche Diskussionen informiert», hält Rahel Emmengger fest. Aber es sei möglich, dass diese auch im Nicht-Bio-Bereich zwischen den Verkäufern (Sammelstellen, Handel) und den Mühlen als Käufer stattfinden.
So auch im Fall von IP-Suisse und dem Maxi-Vermarktungssystem der Fenaco, weiss Alexandre Bardet. Das sei viel komplexer, als es aussehe, da die Ernte bereits in vollem Gang ist. «Ausserdem ist es wegen regionaler Unterschiede schwierig für uns, gesamtschweizerisch eine passende Lösung zu finden», erklärt er. Die Labelorganisation habe aber allen Sammelstellen empfohlen, möglichst alle Posten anzunehmen und vorbeugend Brotgetreide mit einem Hektolitergewicht von 70 kg/hl bis 72,9 kg/hl separat zu lagern.
«Bis 16 Prozent sind keine Seltenheit.»
Alexandre Bardet, IP-Suisse, zu den hohen Proteingehalten beim Brotweizen.
«Massgebend für die Übernahme sind die Analysen in der Sammelstelle, nach der ersten Reinigung», sagt Bardet. Gegenüber Hektolitergewichts-Messungen im Mähdrescher könnten da bis zwei Kilo Unterschied liegen. Mit 68 kg/hl gedroschene Ware weise so in der Sammelstelle 70 kg/hl auf. «Bisher gilt für die Übernahme durch die Mühlen nach wie vor 73 kg/hl als Schwellenwert», ergänzt der IPS-Bereichsleiter. Man hoffe aber, durch Anpassungen bzw. vorsorgliche Annahme von Posten mit tieferem Hektolitergewicht noch einige Tausend Tonnen Brotgetreide retten zu können.
Das heuer tiefe Hektolitergewicht bedeute auch einen hohen Proteingehalt, ergänzt Alexandre Bardet. «15 bis 16 Prozent sind 2024 beim Weizen keine Seltenheit.» Was das für die Verarbeitung zu Mehl und Brot bedeutet, sei aber jetzt noch nicht klar.
Der Markt ist im Umbruch
Schweizweit ist mit Ernteausfällen zu rechnen – sei es in Form kleinerer Mengen oder wegen ungenügender Qualität. Anders sah es im Vorjahr aus, als die Lager sehr gut gefüllt waren und eine Um-Labelisierung zum Ausgleich eines qualitativen Marktungleichgewichts durchgeführt worden ist (wir berichteten). «Es hat immer Getreide an Lager», sagt Rahel Emmenegger, «sowohl als Pflicht- als auch in strategischen Lagern der Branche». Vor der heurigen Ernte beliefen sich die Lagermengen laut SGPV auf etwa 80 000 bis 90 000 t Brotgetreide.
Nicht nur die genauen Erntemengen und Qualitäten 2024 sind noch unklar. Auch auf der Nachfrageseite gibt es Unbekannten. «Der Jahresbedarf der Mühlen in der Schweiz liegt bei 460 000 bis 480 000 t Brotgetreide», gibt Rahel Emmenegger eine Vergleichsgrösse. Im ordentlichen Zollkontingent dürfen 70 000 t jährlich importiert werden.
«In Jahren mit schlechten Inlandernten wurde das Zollkontingent auch schon erhöht, um die Versorgung der Schweizer Mühlebetriebe sicherzustellen», erklärt die stellvertretende Geschäftsführerin. 2024 bezeichnet sie als «Umbruchsjahr». Einerseits, weil die Nachwehen der Corona-Krise mit privatem Backboom und grosser Nachfrage nach Schweizer Mehlen abflauen. Andererseits, weil Nestlé die Produktion in Wangen bei Olten SO in nicht näher angegebenem Umfang reduziert. Als dritter Unsicherheitsfaktor in der diesjährigen Bedarfsabschätzung kommt die kürzliche Ablehnung der Motion Knecht hinzu. Somit ist den Mühlen die Verwendung von günstiger importiertem Getreide aus der Stärkeproduktion im Brotsektor untersagt. «Das wird mengenmässig aber nur eine untergeordnete Rolle spielen», bemerkt Rahel Emmenegger.
Maximalzoll gilt
International seien die Getreidepreise im Steigen begriffen, beobachtet Emmenegger. Denn auch im Ausland zeichnen sich schlechte Ernten ab. Das könnte Importe schwieriger machen, obwohl die Schweiz durchaus eine gewisse Kaufkraft habe. «Es geht meist um Brotgetreide von hoher Qualität», beschreibt die stellvertretende Geschäftsführerin die üblichen Getreideimporte in die Schweiz. 2024 dürfte solche Ware rarer sein als in anderen Jahren. Aktuell gelte für Brotgetreide ein Maximalzoll von Fr. 23.–/dt, der laut Emmenegger stabil bleiben sollte.
Biofarm ruft abschliessend zur Wachsamkeit auf: vom Anbau über die Ernte bis zur Sammelstelle seien alle gefordert, eine Verunreinigung noch brauchbarer Ware mit Unbrauchbarem zu verhindern.
In Bern besser als im Thurgau
«Ich denke, in unserem Einzugsgebiet sind wir in den letzten Tagen etwa in der Mitte der Ernte angekommen», schätzt Beat Emmenegger von der Mühle Fraubrunnen BE Anfang Woche. Die Hektolitergewichte und die Erträge seien sicher unterdurchschnittlich. «Die ersten Muster beim Brotweizen sahen sehr schlecht aus», schildert er. Glücklicherweise lagen aber bisher nur einzelne Posten bei 73 kg/hl knapp an der Grenze zu Deklassierung. Die meisten Posten seien dann allerdings doch in einem «einigermassen» vernünftigen Bereich von 75 kg/hl bis hinauf zu sehr guten 82 kg/hl.
Froh um 50 kg/a
Immerhin waren erhöhte Mykotoxin-Belastungen in Fraubrunnen bisher kein Problem, da sei man sehr erleichtert. «Es war schon in anderen Jahren so, dass es zu Beginn schlimmer aussah als am Ende der Ernte», erinnert sich Beat Emmenegger. Genaue Zahlen zum Gesamtertrag gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Er höre aber Verschiedenes und rechne mit Einbussen von etwa 30 Prozent bei den Erträgen. «Bei 50 kg/a Brotweizen müsse man heuer schon froh sein», zitiert Emmenegger einen Bauern aus der Region.
Beim Dinkel scheint die Lage ähnlich. Bei den bisher Posten abgelieferten Posten lag das Hektolitergewicht im Schnitt knapp unter 40 kg (normal wären 40 – 45 kg), bei ebenfalls um 30 Prozent reduzierten Erträgen. Beat Emmenegger bekommt den Frust der Bauern mit: «Ein Landwirt hat angerufen und gemeint, er wolle seinen ‹Ghüder› abgeben», sagt der Mühle-Mitarbeiter. Da sei es um Urdinkel gegangen.
Bio-Hafer nachreinigen
Der Urdinkel enttäuschte auch im Einzugsgebiet der Getreide Thurgau AG (GMAG). Der Ertrag liege heuer 60 Prozent unter dem Vorjahreswert, sagt Geschäftsführer Markus Raschle. «Die Urdinkel-Erträge betragen um 20 kg/a, das Hektolitergewicht nach der Reinigung beläuft sich auf 37 kg/hl.» Bio-Speisehafer müsse aufgrund tiefen Hektolitergewichts zwingend nachgereinigt werden. Hier beläuft sich die Ertragseinbusse laut GMAG auf 50 Prozent.
Immerhin nicht in den Abfall
11 Produzenten im Einzugsgebiet der GMAG mussten ihr Brotgetreide wegen zu hoher DON-Werte in Biogas- oder Biomasseanlagen liefern. «Das ist zwar der Worst Case. Aber immer noch besser als in die Kehrichtverbrennungsanlage: Dort zahlt man noch für die Entsorgung», gibt der Geschäftsführer zu bedenken.
Korreliert mit dem tiefen Hektolitergewicht werden heuer höhere Proteingehalte gemessen, in der GMAG durchschnittlich 14,5 Prozent. Diese Werte gelten für Suisse Garantie mit einem Hektolitergewicht von im Durchschnitt 77,2 kg/hl. Bei IP-Suisse und Bio sieht es ähnlich aus, wobei die Hektolitergewichte höher liegen (76,4 kg/hl für IPS, 14,7 Prozent Protein; 78,8 kg/hl für Bio, 13,6 Prozent Protein). Die Fallzahlen bewegten sich mit über 400 Sekunden im hohen Bereich.
«Die Branche sucht hohe Proteingehalte», weiss Markus Raschle. Da die Übernahmebedingungen von Swiss Granum Abzüge unter 77 kg/hl vorsehen, seien hohe Proteingehalte ab diesem Hektolitergewicht sicher erfreulich. Wenn es aber an Menge bzw. Hektolitergewicht fehle, nütze es speziell den Landwirten wenig.
