«Übertriebene Euphorie ist sicher nicht angebracht», stellte Bruno Studer von der ETH Zürich gleich zu Beginn klar, «aber das Potenzial ist schon sehr gross.» Er nahm an einer Veranstaltung des Verbands Swiss Seed eine fachliche Einordnung neuer Züchtungsmethoden (NZV) vor. Konkret ging es um Genomeditierungen und wie sie – Stand heute – bereits von Züchtungsfirmen eingesetzt werden.

«Keine Nebeneffekte»

Abo Um interessantes Ausgangsmaterial für die Weiterzüchtung zu erhalten, verursacht man bei klassischer Mutagenese zahlreiche Änderungen im Genom einer Pflanze. Im Zuchtgarten (hier jener von DSP) wachsen verschiedene Linien zu Vergleichszwecken jahrelang nebeneinander. Pflanzenzüchtung Pflanzenzüchter zeigen sich offen für Gentech Thursday, 24. October 2024 Möglichkeiten, Crispr/Cas oder andere NZV einzusetzen, gibt es viele. Für Bruno Studer kommt es jedoch darauf an, wie und für welche Anwendungen diese Werkzeuge benutzt werden. Interessant werde es dort, wo die klassischen Züchtungsmethoden an ihre Grenzen stossen, etwa bei Feuerbrandresistenzen in etablierten Apfelsorten.

«Die sortentypischen Eigenschaften gehen beim Kreuzen verloren», gab Studer zu bedenken und erinnerte an grossangelegte Rodungen zur Bekämpfung von Feuerbrand oder den Einsatz von Antibiotika gegen den bakteriellen Erreger. Nach dem gezielten Einfügen einer Wildapfelresistenz seien Gala-Apfelbäume in einem Freisetzungsversuch bei Agroscope auch im Feld resistent gewesen. «Und es konnten keine ungewollten Nebeneffekte festgestellt werden», bemerkte der Forscher. Um das Durchbrechen einzelner Resistenzen zu vermeiden, sei es zielführend, sie mit dem Ausschalten von Anfälligkeitsgenen zu kombinieren – was nun durch die Genomeditierung einfach und schnell bewerkstelligt werden könne. «Damit stellt man dem Erreger nicht nur einen Securitas vor die Tür, sondern montiert auch gleich die Türklinke ab.»

Getreide, Früchte und Gemüse

Aus der kommerziellen Praxis erzählte Lena Maas von der niederländischen Firma Hudson River Biotechnology (HRB). Das Unternehmen arbeitet mit Genomediting, um für seine Kunden optimiertes Pflanzenmaterial herzustellen. Das Vorgehen beruht dabei auf der Regeneration ganzer Pflanzen aus einer einzelnen, editierten Zelle, was in der Regel den schwierigeren Schritt als der Eingriff ins Genom darstelle. «Wir fokussieren uns auf Märkte mit einer zukunftsgerichteten Mentalität aus regulatorischer Sicht», erklärte Maas, «das heisst ausserhalb von Europa.» Zum Portfolio von HRB gehören Merkmale wie Nährstoffgehalt, Blühzeitpunkt, Trockenheits- oder Krankheitsresistenzen, Ertragssteigerungen und bessere Haltbarkeit. Vor allem mehr Ertrag und Resistenzen seien gefragt, vornehmlich für Getreide, Früchte und Gemüse, so die Molekularbiologin.

Sie sieht einen wachsenden Markt mit einer geografisch sehr unterschiedlichen Grundhaltung in Gesellschaft und Politik. «Wir erwarten eine globale Akzeptanz von Genomeditierung bis 2030», sagte Maas. Es müsse aber in Europa mehr Geld in die Branche fliessen. Sonst würden europäische Unternehmen von amerikanischer Konkurrenz verdrängt, die dank Investmentfonds und staatlicher Mittel finanziell bessergestellt sei. Zusätzlich würden europäische Unternehmen dadurch verdrängt, dass amerikanische Konkurrenten schneller neue Sorten registrieren und vermarkten können.

15 Mal schneller geworden

«Das Beste designen, statt es zu selektieren», so lautet das Credo in der Präzisionszüchtung bei Bayer. Rapszüchterin Vanessa Windhausen erläuterte, wie Bayer eine grosse Datenmenge nutzt, um innert kurzer Zeit neue Elternlinien für Hybridsorten zu entwickeln. «Bei Mais und Soja haben wir das Züchtungsintervall um das 15-Fache verkürzt», so Windhausen. Statt in fünf Jahren seien nun schon nach fünf Monaten neue Vater- und Mutterlinien bereit. Neben Kreuzung, Statistik und Logistik (etwa für Tests in kontrollierten Gewächshäusern an verschiedenen internationalen Standorten) sei Genomeditierung allerdings nur ein Teil des ganzen Werkzeugkastens der Pflanzenzüchtung, betonte Windhausen. «Wenn es ins System passt, können diese Methoden den Prozess beschleunigen – sie werden aber nicht ziellos eingesetzt.» Wie z. B. die künstliche Intelligenz müsse auch die Genomeditierung vor einer Anwendung erst ihre jeweilige Nützlichkeit unter Beweis stellen. Windhausen nannte drei Beispiele:

Covercress: Genomeditiertes Hellerkraut soll als winterliche Zwischenfrucht den Boden bedecken, ihn so schützen und den Verlust von Nährstoffen verhindern. Das daraus gewonnene Öl ist als grüner Flugzeugtreibstoff gedacht.

Vitamin-D-Tomaten: Höherer Vitamin-D-Gehalt soll Mangel vorbeugen, insbesondere in Ländern mit sonnenarmen Wintermonaten.

Gesunder Senf: Die Bitterstoffe aus einer Senfsorte wurden entfernt und die Blätter so zum nährstoffreichen Salat.

Am Anfang oder am Ende

Genomeditierung könnte zu Beginn des Züchtungsprozesses zur Erhöhung der Diversität im Ausgangsmaterial verwendet werden, sagte Vanessa Windhausen in der Podiumsdiskussion mit Lubera-Geschäftsführer Markus Kobelt. «Da sind wir ganz nah an der klassischen Züchtung», gab sie zu bedenken, denn mit solchen Pflanzen würde später weiter selektioniert. Eine andere Möglichkeit bestehe am Ende des Prozesses, um bestehende Sorten zu «veredeln». Ein Beispiel wäre die von Bruno Studer erwähnte Feuerbrandresistenz im Gala-Apfel. «Ich finde den Einsatz am Anfang spannend», ging der ETH-Forscher auf die Diskussion ein.«Vor allem bei züchterisch wenig bearbeiteten Kulturen, um sie für den Anbau zugänglicher zu machen und so die Agrobiodiversität zu erhöhen.»

«Kein Hype»

Markus Kobelt stellte die Frage nach der Rückverfolgbarkeit von Genomeditierung. Das sei schwierig, war sich das Podium einig. «Es ist wichtig, ehrlich zu sagen, was Genomeditierung kann und was nicht», fand Bruno Studer. Die Grenzen von Rückverfolgbarkeit und Koexistenz mit klassisch gezüchteten Kulturen gelte es klar zu kommunizieren, um Skandale zu verhindern. «Wir sollten keinen Hype daraus machen – es ist ein Werkzeug», bekräftigte Lena Maas. Es zähle das Endprodukt, ergänzte Vanessa Windhausen, «und dabei wird immer auch das Risiko abgeklärt, bevor es auf den Markt kommt.»