Kürzlich hat eine repräsentative Umfrage von Gfs Bern im Auftrag von Swiss-Food (Bayer und Syngenta) das Resultat des Vorjahres bestätigt: Nach einer kurzen Erklärung bewerte eine klare Mehrheit der Befragten neue Züchtungsverfahren (NZV) als nützlich. Dies insbesondere, um damit Pflanzenschutzmittel einzusparen.

Dasselbe Ziel

Gleichzeitig werden im Rahmen der Lebensmittelschutz-Initiative aktuell Unterschriften für eine strikte Regelung von NZV zur Sicherstellung der Wahlfreiheit in der Schweiz gesammelt. Und im deutschen Frankfurt haben sich Anfang Oktober 160 Vertreter «einer florierenden internationalen Ohne-Gentechnik-Branche» getroffen, wie es in einer Mitteilung heisst. Auch hier lautete das einhellige, oberste Ziel: Transparenz und Wahlfreiheit in Sachen NZV.

Pflanzenzüchter und Saatguthandel sind die ersten, die sich ganz praktisch mit NZV in der Züchtung auseinandersetzen müssen. Ihre Interessen vertritt in der Schweiz der Verband Swiss Seed, der seine Haltung gegenüber NZV in diesem Frühling in einem Positionspapier zusammengefasst hat. Ihr Fazit: Diese neuartigen Verfahren haben eine Chance verdient.

«Tausende von Schäden»

[IMG 2]Wobei man relativieren kann, wie neuartig NZV tatsächlich sind. «Die Delley Samen und Pflanzen AG (DSP) hat schon Projekte abgebrochen, weil wir merkten, dass wir als NZV verstandene Methoden anwandten», schildert Christian Ochsenbein, Präsident von Swiss Seed und Vorsitzender der Geschäftsleitung von DSP. Eingriffe ins Genom von Pflanzen seien früher mit Chemikalien oder radioaktiver Strahlung ausgeführt worden. Heute geschehe das mit NZV – allerdings präziser. «Man hat bei der klassischen Mutagenese Tausende von Schäden im Genom herbeigeführt und darauf gehofft, nützliche Eigenschaften zu erzeugen», erklärt Ochsenbein. Mit NZV sind auch nur einzelne Eingriffe möglich – was ein Verständnis dafür voraussetzt, welche Gene welche Eigenschaften hervorrufen.

In Zusammenarbeit mit der ETH und Agroscope hält es Christian Ochsenbein für denkbar, dass auch in der Schweiz Pflanzengenome editiert werden. «Die Basis einer langfristig erfolgreichen Pflanzenzüchtung bleibt aber die klassische Kreuzungszüchtung», betont der Fachmann. Aber auch hierbei werde man bald schon vor der Frage stehen, ob man auch genomeditierte Pflanzen als Ausgangsmaterial für Kreuzungen verwenden wolle, respektive dürfe. Dazu würden auch kleine Züchter in der Lage sein. «Wenn es z. B. in Deutschland gelingt, einen pilzresistenten Weizen mittels NZV zu züchten, wären wir interessiert, diesen mit Schweizer Sorten zu kreuzen und nach Nachkommen zu suchen, die gleichzeitig auch gut geeignet sind für die hiesigen Bedingungen», sagt Ochsenbein. «Zumindest sollte man es versuchen.» Die heutige Regelung von gentechnisch veränderten Pflanzen erlaubt deren Freisetzung – sprich Pflanzung im Freiland – für die Forschung. Die Auflagen seien aber so hoch, dass diese im Rahmen eines Zuchtprogrammes schlicht nicht umsetzbar sind, betont der DSP-Geschäftsleiter und schildert, wie im Zuchtgarten in Delley FR Tausende von Linien nebeneinander wachsen, und zwar über zehn Jahre.

Nach 45 Jahren nicht fertig

Abo Start der Unterschriftensammlung Lebensmittelschutz-Initiative will Gentechnik nach dem Moratorium regeln Tuesday, 3. September 2024 Der Verband Swiss Seed thematisiert explizit cisgene Pflanzen, die also kein artfremdes Erbmaterial enthalten. Im Gegensatz zu transgenen Pflanzen könnten sie – theoretisch – auch das Resultat klassischer Kreuzung und Selektion sein. Man erhofft sich aber vor allem eine Beschleunigung des Prozesses dank NZV. «Es läuft z. B. seit 45 Jahren an einer niederländischen Uni ein Projekt, um eine Resistenz gegen Krautfäule aus wilden Andenkartoffeln in moderne Sorten einzukreuzen», erzählt Christian Ochsenbein. Nun sei man so weit, dass die Knollen einigermassen dem entsprechen, was auch der Handel verlangt. Mittels NZV liessen sich Resistenzgene von wilden Verwandten direkt in moderne Sorten einfügen – das lange Rückkreuzen, um verlorene Eigenschaften wie marktgerechte Grösse und Farbe wiederzuerlangen, fiele weg. «Viele Züchter sind von dieser Möglichkeit fasziniert», so Ochsenbein.

Beispiele stabiler Resistenzen

Eine zweite Möglichkeit, wie NZV konkret von Nutzen sein könnten, sind Resistenzen durch ausgeschaltete Gene in Pflanzen mit komplexen Genomen. «Bei Weizen ist zum Beispiel jedes Gen in sechsfacher Ausführung vorhanden», sagt Christian Ochsenbein. Die Wahrscheinlichkeit, alle Kopien mit klassischer Mutagenese zu treffen, ist sehr klein. Gleich verhält es sich z. B. mit Kartoffeln. «Es kann sein, dass solche Resistenzen wie bei der klassischen Züchtung über die Jahre vom Pilz überwunden werden. Es gibt aber durchaus auch Beispiele aus der Grundlagenforschung, von denen man annimmt, dass sie lange stabil bleiben.»

Kategorien übernehmen

Das Beispiel der pilzresistenten Weizensorte aus Deutschland macht klar, wie wichtig der internationale Austausch für die Schweizer Züchterschaft ist. Was im Ausland als konventionell und nicht gentechnisch veränderte Sorte zählt, sollte es daher auch in der Schweiz tun, findet Swiss Seed. «Wir kreuzen bei Weizen pro Jahr etwa 100 ausländische Pflanzen neu ein», sagt Christian Ochsenbein, «der Aufwand wäre enorm, wenn wir zu allen detaillierte Nachforschungen zu möglichen Anwendungen von NZV anstellen müssten, notabene auch für diejenigen, die explizit auf NZV verzichten möchten.» Die Übernahme der Kategorien von Gentech-Produkten müsse aber nicht bedeuten, dass sie in der Schweiz und der EU gleich geregelt werden, fügt der Pflanzenzüchter an.

NZV und die klassische Mutagenese greifen beide ins Genom ein, mit Ersterem hat man aber jahrzehntelange Erfahrung. Diese «History of safe use» dient als Beweis für die Unbedenklichkeit von Methoden mit Chemikalien und Radioaktivität. Analog fände Swiss Seed ein «Ablaufdatum» für NZV sinnvoll, nach dem das jeweilige Verfahren nicht mehr als «neu» gelten und geregelt werden soll. Ebenso sei zu klären, wie lange – d. h. wie viele Generationen lang – eine zu Beginn gentechnisch editierte und dann weitergekreuzte Sorte noch als Gentech anzusehen sei.

«Als wir 2005 wegen des Moratoriums über Gentechnik diskutiert haben, ging es um ganz andere Anwendungen als heute», erinnert sich Christian Ochsenbein. Man habe über transgenen BT-Mais mit Bakteriengenen oder Erbgutschnipsel von Viren in Kulturpflanzen gesprochen, das Konzept der Natürlichkeit stand im Vordergrund. Für Ochsenbein ist es aber etwas ganz anderes, wenn Gene innerhalb einer Art (cisgen) und nicht zwischen Arten (transgen) ausgetauscht werden – noch dazu mit einer ganz neuen Präzision. «Diese Diskussion hat meiner Meinung nach in der breiten Bevölkerung noch gar nicht stattgefunden.»

Wahlfreiheit muss bleiben

In einem Punkt sind sich Swiss Seed, die Lebensmittelschutz-Initiative und die «Ohne-Gentechnik-Branche» einig: Die Wahlfreiheit muss bleiben. «Das ist heute nicht der Fall, weil NZV nicht zugelassen sind», bemerkt Christian Ochsenbein. Auch sollten Produzenten, Konsumenten und Pflanzenzüchter, die keine NZV-Produkte wollen, keinen neuen Risiken oder Erschwernissen ausgesetzt werden, ergänzt er. Sollten NZV-Produkte zu einer starken Zunahme der Patente auf Merkmalen führen, so sehen insbesondere kleinere Züchter einen beschränkten Nutzen der NZV für die Schweiz. Swiss Seed werde die Entwicklung diesbezüglich beobachten und sich, wenn nötig, für Korrekturen einsetzen.