Sonderregelung Der EU-Entscheid zu Gentech weckt Ängste in der Schweiz Monday, 12. February 2024 Die Versprechen der grossen Saatgut- und Agrochemie-Konzerne seien seit Jahrzehnten dieselben. «Funktioniert hat das bislang nicht», so das Fazit von Martin Graf. Der Geschäftsführer des Vereins Gen Au Rheinau zeigte sich überzeugt, dass sich auch die neusten Versprechungen hinsichtlich Gentechnik als leer herausstellen werden. Doch der Druck der Industrie auf die Politik sei hoch und diese reagiere mit Hektik statt nüchterner Kompetenz. Daher will die Lebensmittelschutz-Initiative die Pflöcke einschlagen für eine vorsichtige Regulierung der Gentechnik, wenn 2025 das aktuell geltende Moratorium ausläuft.

Deregulierung wahrscheinlich

Der Verein Gen Au Rheinau gehört zu den unterstützten Organisationen der Lebensmittelschutz-Initiative, genauso wie z. B. Bio Suisse, die Kleinbauern-Vereinigung, Uniterre, Swissaid und die Bergheimat. Nach den Erläuterungen von Martin Graf schilderte die Schaffhauser SP-Nationalrätin Martina Munz an der Lancierung in Bern den politischen Kontext. Auf EU-Ebene sei ein Seilziehen im Gange, «es deutet aber alles auf eine umfassende Deregulierung hin.» Bisher sei die Schweiz mit ihrem Gentech-Moratorium gut gefahren, findet Munz. Das Anbauverbot sei Teil der Qualitätsstrategie der hiesigen Landwirtschaft geworden und daher ein Wettbewerbsvorteil gegenüber billigen Importprodukten.

Nur übergangsweise ein Verbot

Abo Agrarpolitik Petition «Gentech-Moratorium verlängern» eingereicht Thursday, 27. June 2024 Die Lebensmittelschutz-Initiative (eigentlich «Eidgenössische Volksinitiative für gentechnikfreie Lebensmittel») verlangt allerdings nur bis zur Umsetzung ihrer übrigen Vorgaben eine Weiterführung des Moratoriums. «Sie gibt dem Bundesrat klare Leitplanken, in welche Richtung reguliert werden soll», so Martina Munz. Das sind konkret:

Wahlfreiheit für Konsument(innen) in puncto gentechnisch verändere Lebensmittel, denn eine Mehrheit lehne solche ab.

Umfassende Risikoprüfung vor der Zulassung gentechnisch veränderter Organismen (GVO).

Klare Kennzeichnung von GVO.

Koexistenz: Gentechnikfreie Landwirtschaft müsse strikt vor Verunreinigungen geschützt werden.

Förderung der Forschung für eine GVO-freie Landwirtschaft.

Kosten sollen Gentech-Anwender tragen

«Wir fordern, dass die Haftung für Schäden bei denjenigen liegt, die Gentechnik verwenden», erklärte Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli ein weiteres Anliegen der Initiative. Die Bio-Branche fürchte Risiken und höhere Kosten, etwa durch die Kontamination mit Gentech-Pollen und damit verbundenen Deklassierungen oder Direktzahlungsverlusten. «In einer liberalen Gesellschaft bezahlt der Verursacher», ergänzte Brändli. Das solle auch für teure Schutzmassnahmen, Tests auf Rückstände und die Trennung von Warenflüssen gelten.   

Keine Patente bei GVO-freien Züchtungen

Abo Pflanzenzüchtung und Klima Es braucht eine öffentliche Debatte um die Genschere Wednesday, 31. January 2024 Mögliche Kontaminationen bereiten auch Ruedi Vögele von der Bio-Züchtungsfirma Sativa Rheinau Sorgen. «Bio-Saatgut ist heute schon robust», versicherte er. In der Gentechnik – auch in neuen Verfahren – sieht er nicht die Zukunft der biologischen Pflanzenzüchtung. Vielmehr setze man dabei auf vielfältige Eigenschaften, «die unter den Bedingungen vor Ort und im Austausch mit der Umwelt funktionieren». Zum weiteren Schutz der gentechnikfreien Sortenentwicklung beinhaltet die Lebensmittelschutz-Initiative einen Passus zu Patenten: Deren Wirkung soll sich nicht auf Pflanzen und Tiere aus GVO-freier Züchtung erstrecken. Denn mit derlei Patenten werde das Züchterprivileg ausgehebelt und die Rechtsunsicherheit steige enorm, warnte Vögele.

Eigentlich wären Patente auf Tiere und Pflanzen bereits verboten, stellte Swissaid-Saatgutexperte Simon Degelo fest. «Trotzdem vergibt das Europäische Patentamt laufend solche Patente, mindestens 1300 Sorten sind bereits davon betroffen.»  In vielen Ländern sei bereits entschieden worden, neue gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas ohne Risikoprüfung im Einzelfall zuzulassen – teilweise ohne Beteiligung von Öffentlichkeit und Parlament. «In der Schweiz hat die Bevölkerung die Möglichkeit, über solche Fragen zu entscheiden», betonte Degelo. Die Initiative sei daher auch wichtig, um die öffentliche Debatte zu lancieren. 

Interessant für die Forschung

«Ich sehe in den neuen Techniken wie Genomeditierung ein grosses Potenzial für die Forschung und den Erkenntnisgewinn, wie Pflanzen sich entwickeln und aktiv auf ihre Umwelt reagieren», legte Monika Messmer ihren Standpunkt als Forscherin am FiBL dar. Sie sei aber «sehr skeptisch», ob sich dank Gentechnik die Probleme angesichts des Klimawandels würden lösen lassen. Wie ein Merkmal genetisch gesteuert werde und im Zusammenspiel mit der Umwelt zur Ausprägung kommt, sei allzu komplex. «Gezielte Änderungen einzelner Gene, die im Baukastensystem zusammengesetzt werden, können die klassische Züchtung nicht ersetzen», so Messmer.

Welches Risiko von GVO ausgehe, sei allerdings von Fall zu Fall unterschiedlich. Daher brauche es – wie in der Lebensmittelsicherheits-Initiative gefordert – eine fallbezogene Risikobewertung zu den Effekten auf Nicht-Zielmerkmale, Nicht-Zielorganismen sowie die Umwelt als Ganzes. Nicht zuletzt sieht Monika Messmer die Gefahr, dass eine kurzfristige Symptombekämpfung mittels GVO die Transformation in Richtung eines nachhaltigen Ernährungssystems verzögert. «Problematische Sorten wie Bintje oder Gala werden durch Gentechnik verewigt, statt dass neue Sorten gezüchtet werden.»

Jahrelang seien öffentliche Gelder in die Gentechnik bzw. Crispr/Cas geflossen, sagte Grünen-Nationalrat Fabien Fivaz. «Daraus ging keine einzige brauchbare Sorte hervor.»

 

Drei Initianten, 21 Allianzpartner

Mit der Lancierung startet die Unterschriftensammlung für die Lebensmittelschutz-Initiative. Dahinter steht der Verein für gentechnikfreie Landwirtschaft, der von Gen Au Rheinau, Bio Suisse und der Schweizerischen Allianz Gentechfrei initiiert worden ist. Laut Vereins-Co-Präsident Martin Graf tragen den Verein zurzeit über 21 Allianzpartner und rund 25'000 aktive Einzelpersonen.