Oberhalb von Scheid im Kanton Graubünden, auf knapp 2000 m ü. M.: Milchkühe grasen neben den Alpgebäuden, auf der anderen Hangseite Mutterkühe. Beim genaueren Hinsehen fällt auf, dass hier manches besonders ist. Einige der Kühe tragen GPS-Halsbänder, eine kleine Weideparzelle ist weiss eingezont: Die Alp dil Plaun ist nicht nur ein Sömmerungsbetrieb, sondern auch ein Forschungsstandort der Versuchsstation für die Alp- und Berglandwirtschaft. Seit 2021 findet hier eine Forschungszusammenarbeit zwischen Agroscope, Agridea und den Kantonen Graubünden, Bern, Tessin, Uri und Wallis statt. Externer Forschungspartner ist die Berner Fachhochschule HAFL. Ziel ist es, die Landwirtschaft in höheren Lagen, die immer anspruchsvollere Bedingungen zu bewältigen hat, mit neuem Wissen und praxisorientierten Lösungen zu unterstützen.

Die Praxis ist mitbeteiligt

Vor einer Woche fand nun auf der Alp dil Plaun eine Medienorientierung statt, bei der die laufenden Versuche und erste Ergebnisse vorgestellt wurden. «Die Alpwirtschaft erfüllt viele Aufgaben», stellte Thomas Roffler, Präsident des Bündner Bauernverbands, fest. Sie entlaste etwa die Bauern über den Sommer, sei wirtschaftlich von Bedeutung und habe zudem einen kulturellen Wert. Doch die Bewirtschaftung der Alpen befinde sich im Wandel, nicht zuletzt aufgrund klimatischer Veränderungen und der Wolfssituation. Er begrüsse die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis, so Roffler, sie lasse auf gute Resultate hoffen. Dabei ist nicht unerheblich, dass die Versuchsstation auf «Co-Creation» setzt, wie es im Beschrieb heisst: Damit ist gemeint, dass sich die Praxis an den Forschungsaktivitäten beteiligt. So sollen sich etwa Berater(innen) vom Plantahof, die an der Umsetzung beteiligt sind, mit ihren Erfahrungen einbringen können. Schwerpunkte der Versuchsstation sind unter anderem die Milchtechnologie, der Bergackerbau und die standortangepasste Bewirtschaftung der Alpen. Zu Letzterer folgende Beispiele:

Problempflanzen: Dieses Projekt ist bereits abgeschlossen. Es hatte zum Ziel, Wissen zur Regulierung von Unkraut und Verbuschung zusammenzutragen, um es offen zugänglich zu machen. Dabei wurde eine Umfrage unter Fachleuten aus Wissenschaft, Beratung, Naturschutz und Praxis durchgeführt. Das Ergebnis ist ein Handbuch zur Regulierung von 24 Unkräutern entstanden. Das Fazit: «Die Weiden sollten standortgerecht genutzt werden, also zum richtigen Zeitpunkt mit den passenden Tieren und angepasstem Weidedruck», sagte Caren Pauler. Entsprechend sei darauf zu achten, sowohl Unternutzung wie auch Übernutzung zu vermeiden. Unternutzung führt laut Pauler zu einer Verbuschung, Übernutzung fördert nährstoffliebende Pflanzen wie Blacken. Zudem: Der Einsatz von Breitbandherbiziden schafft nur Lücken, die wiederum mit Problempflanzen besiedelt würden.

Abo Standortangepasste Landwirtschaft Eine landwirtschaftliche Vision für das Glarnerland Wednesday, 26. April 2023 Wiesenmischungen: Im Zuge des Klimawandels ist zu erwarten, dass sich Futtermenge und -qualität ändern. «Etwa, weil die Trockenheit in Dauer und Häufigkeit zunimmt und die Erträge gefährdet», so Pauler. Die Prognose laute, dass bis 2060 um einen Viertel weniger Sommerniederschläge fallen könnten. Daran sind die traditionellen Futterpflanzen nicht angepasst. «Daher braucht es neue Mischungen, die aus trockenresistenten Arten bestehen», hielt die Agronomin fest. Sie nannte als Beispiele Hornklee, Rotschwingel, Spitzwegerich und Rotes Straussgras. Dazu wurden neun verschiedene Mischungen entwickelt. Erste Ergebnisse bei Untersuchungen auf fünf verschiedenen Bergbetrieben in der Schweiz mit unterschiedlichem Niederschlag deuten darauf hin, dass bei Flächen mit trockenresistenten Arten mit mehr Futter zu rechnen ist als bei Referenzmischungen.

Beim Ertrag gibt es grosse Unterschiede

Ein weiteres Projekt nimmt die Erträge der Alpweiden unter die Lupe. Ziel dabei ist es, zu überprüfen, ob die Referenzwerte für die Normalstösse noch den aktuellen klimatischen Bedingungen entsprechen:

Referenzwerte: Diese wurden in den 1980er Jahren festgelegt. Sie geben an, wie viele Tiere auf eine Alp zu kommen haben. «Eine grundsätzliche Herausforderung bei der Bestimmung der Werte ist die Vielfältigkeit des Alpgebiets», sagte Manuel Schneider, der ebenfalls für Agroscope an den Versuchen beteiligt ist. So liege das Alpgebiet in Höhen zwischen 400 und 3000 m ü. M. Sehr unterschiedlich seien auch Temperaturen, Niederschläge, Phosphor- und Humusgehalte. Um nun die Referenzwerte zu aktualisieren, haben die Beteiligten vierzehn Alpgebiete – eines davon ist die Alp dil Plaun – bezüglich Pflanzenvielfalt, Bewirtschaftung, Bodeneigenschaften und Wetter untersucht. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Futtermengen massgeblich abhängig sind von der Meereshöhe und vom Weidetyp (mager oder fett). Interessant ist, dass der Bruttoertrag in höheren Lagen über den Referenzwerten von 1980 lag. «Das könnte darauf hinweisen, dass auf höher gelegenen Alpen mehr Futter vorhanden ist als vor vierzig Jahren», so Schneider. Für aussagekräftigere Ergebnisse brauche es jedoch weitere Erhebungen, da die Ernten natürlicherweise jährlichen Schwankungen unterworfen seien. Darum läuft der Versuch noch während dreier weiterer Jahre. Falls es in höheren Lagen tatsächlich ein unausgeschöpftes Potenzial für gesundes Futter gibt, würde dies dem Trend der zurückgehenden Anzahl Vieh auf den Alpen zuwiderlaufen.

Das Handbuch «Massnahmen zur Regulierung von Problempflanzen im Alpgebiet» ist über www.agroscope.admin.ch erhältlich.