Jeder Landwirt ist froh, wenn seine Ernte eingefahren ist – von der Saat bis zum Dreschen kann viel passieren. Das Risiko wollten die Bauern in «Badisch Sibirien» in Süddeutschland nicht mehr eingehen und begründeten so die historische Grünkernkultur. Nach Angaben der Vereinigung fränkischer Grünkernerzeuger wurde dieses Produkt im Jahr 1660 erstmals urkundlich erwähnt.

Darren im Rauch

Beim Grünkern handelt sich um in der Teigreife geernteten Dinkel, der unmittelbar nach dem Drusch getrocknet bzw. «gedarrt» wird. Der Vorgang ist eher ein Rösten oder Räuchern, denn die trockene, heisse Luft stammt von einem Feuer aus Hartholz, traditionell Buche. Früher arbeitete man mit Lochblechen und wendete die Körner von Hand. Der Grünkern bekommt so seine olivgrüne Farbe und ein charakteristisches Raucharoma. Ausserdem ist das Getreide in dieser Form sehr lange haltbar.

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Der grosse Vorteil

Die Herstellung von Grünkern ist aufwendig, hatte aber für die Bauern einst einen grossen Vorteil: Sie mussten nicht warten, bis ihr Dinkel ganz reif war – in «Badisch Sibirien» keine Selbstverständlichkeit. Zwar wächst der anspruchslose Dinkel gut auf den mageren Böden, aber nicht immer konnte er im Verlauf des kurzen Sommers reif geerntet werden. Oder es kam ein Unwetter dazwischen, denn zur Zeit der Grünkernerfindung waren die Sommer eher kühl und nass.

«Das gehört hierher wie der Papst zum Petersdom»

In den Dörfern wurden Darrhäuser für die Trocknung und damit Haltbarmachung des unreifen Ernteguts gebaut. Während bis zu zwei Wochen wehte der Geruch von frisch Gedarrtem durch die Strassen, beschreibt der fränkische Landwirt Armin Mechler. Grünkern hat in Franken noch immer eine grosse Bedeutung, erklärt Mechler: «Das gehört hierher wie der Papst zum Petersdom.»

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Alte Lokalsorte im Einsatz

Zusammen mit seinen beiden Söhnen bewirtschaftet Armin Mechler in Walldürn-Altheim (D) einen 90-ha-Ackerbaubetrieb im Nebenerwerb. Neben Mais, Raps und Weizen gehört Dinkel zu ihren Kulturen, die über 60 Jahre alte Lokalsorte Bauländer Spelz wächst bei Mechlers auf 10 Hektaren. Pro Hektare werden ungefähr Mitte Juli 2 bis 2,5 Tonnen Körner bei beginnender Teigreife (45 bis 50 Prozent Feuchtigkeit) gedroschen. «Diese Sorte ist perfekt für den Grünkern, weil das Korn beim Darren schön glasig und olivgrün wird», erklärt Mechler. Allerdings sei bei der Stickstoff-Düngung Vorsicht geboten, da der Bauländer Spelz lageranfällig sei und schnell hoch wachse.

Die Vereinigung fränkischer Grünkernerzeuger sorgt dafür, dass die Qualität des Saatguts des Bauländer Spelzes aus der Erhaltungszucht gewährleistet ist. Es ist ein Zusammenschluss aus rund 40 Produzenten. Bio oder konventionell, das spiele keine Rolle. «Es geht uns um den Grünkern», hält Armin Mechler fest, der die Vereinigung präsidiert. Seit 2015 trägt der Fränkische Grünkern das rote Siegel der geschützten Ursprungsbezeichnung, was etwa dem AOP-Label entspricht.

«Konventionell oder Bio spielt keine Rolle.»

Armin Mechler, Präsident der Vereinigung fränkischer Grünkernerzeuger.

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Die Spezialität hat eine lange Tradition und man baut dafür noch immer eine alte Sorte an. Aber die historischen Darrhäuser sind zur Touristenattraktion geworden, in einem betreibt der Heimatverein Altheim ein Museum. Heute ist die Verarbeitung moderner: «Es gibt verschiedene Techniken, bei uns ist es im Grunde eine normale Getreidetrocknungsanlage», beschreibt Armin Mechler. Nur, dass zum Darren ein Gebläse 120 bis 150 Grad heisse Luft und den Rauch von einer Holzfeuerung vor der Halle ansaugt. Eine Ladung Bauländer Spelz zu 1800 kg zu fertigem Grünkern zu trocknen, dauert rund sechs Stunden. Das Feuer kann man allerdings nicht einfach vor sich hin brennen lassen: «Es braucht Fingerspitzengefühl, damit die Temperatur stimmt.» Daher müsse immer jemand vor Ort sein, Holz nachlegen und den Prozess überwachen.

Bulgur ist bekannter

Zwar sei Grünkern in der Region gut bekannt und werde auch gegessen, aber «gleich Richtung Stuttgart wird es schwierig», sagt Armin Mechler. Der Landwirt hat sich mit einigem Aufwand in der lokalen Gastronomie, kleineren Geschäften und Filialen des Detailhandels einen Markt aufgebaut. In der Vereinigung werde so viel wie möglich direktvermarktet. Er verstehe nicht ganz, warum die Leute zwar den türkischen Bulgur kennen, aber noch nie von Grünkern gehört haben oder sich nicht dafür interessieren, gibt Armin Mechler zu. Trotzdem: «Wir bleiben dran, gar keine Frage.»

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«Eine geschmackliche Alternative zu geräucherten Fleischwaren»
In der Schweiz gibt es keine Grünkern-Tradition und heute auch keine Produzenten. Bei der IG Dinkel sieht man aber durchaus Potenzial dafür: «Der Vorteil ist definitiv der rauchige Geschmack», meint Geschäftsführer Thomas Kurth, «gerade Vegetarier oder Veganer finden eine geschmackliche Alternative zu geräucherten Fleischwaren.» Die IG zeigt in einigen Rezepten, wie Grünkern in der modernen Küche Verwendung findet, etwa in einer Urdinkelrösti oder einem Eintopf.

Unterstützung durch die IG
Obwohl er Grünkern als Spezialität bzw. Variante von Dinkel interessant findet, weist Thomas Kurth auf den hohen Energiebedarf und den Aufwand fürs Darren hin. Dafür bräuchte es viel Handarbeit oder aber die richtigen Anlagen, wie es sie heute in Deutschland gibt (siehe Haupttext). Trotzdem: «Vielfalt ist immer gut», hält der Geschäftsführer der IG Dinkel fest. Sollte jemand in der Schweiz Grünkern produzieren wollen, werde man bei der Vermarktung gerne Unterstützung bieten, so Thomas Kurth.

In Arabien «Freekeh»
Grundsätzlich wäre ein ähnliches Verfahren wie bei Grünkern auch mit anderem Getreide denkbar. Im arabischen Raum kennt man unreif geernteten, gerösteten Weizen unter dem Namen Freekeh. 

Neues Interesse, neue Rezepte

Dafür, dass der Grünkern an Bedeutung verloren hat, sind auch ertragsstärkere Getreidesorten wie Weizen verantwortlich. Ursprünglich für die Selbstversorgung hergestellt und traditionell in Suppen oder als Bratlinge verwendet, wurde Grünkern bei sinkender Anbaufläche zum Exportprodukt: Knorr nutzte ihn als würzige Basis für Fertigsuppen. Die Naturkost- und Umweltbewegung der 80er-Jahre verlieh dem Grünkern laut Slow Food Deutschland wieder Aufschwung und auch heute, da pflanzliche Lebensmittel vermehrt gefragt sind, steigt das Interesse. Nicht zuletzt dank der Vereinigung fränkischer Grünkernerzeuger, die mit Rezepten zeigt, was sich aus Grünkern machen lässt: vom Aufstrich über Salat, Auflauf, Klösse oder Suppen bis zu Kuchen und Lebkuchen. Für Brote braucht es eine Mehlmischung, dem unreif geernteten Dinkel fehlt es an Stärke und Kleberproteinen. Grünkernsauerteig gibt laut dem Wissensforum Backwaren «charakterstarke Backwaren».

Weitere Informationen zum Grünkern: