Herr Strasser, 2019 hat Bio markant zugelegt, können Sie schon etwas sagen zum ersten Quartal oder Trimester 2020?
Der Biomarkt entwickelt sich in den letzten Wochen extrem dynamisch und in vielen Bereichen sehr positiv. Wir haben ein Wachstum von 20 bis 30 Prozent verzeichnen können, bei gewissen Milchprodukten ist der Absatz im April verglichen mit dem Vorjahr sogar um 70 Prozent gestiegen. Einzelne Produkte, hauptsächlich Gemüse, waren vorübergehend nicht mehr verfügbar. Obwohl unsere Produzenten mit Hochdruck daran arbeiten, die Nachfrage zu decken, muss der Detailhandel fallweise bis zur neuen Schweizer Ernte auf Bio-Importe umstellen.
Während die Direktvermarkter und Hofladenbetreiber im Lauf der Corona-Krise förmlich überrannt worden sind, hat die Situation jene Produzenten, die ihre Produkte normalerweise auf Wochenmärkten absetzen, vor grosse Herausforderungen gestellt. Hier mussten rasch Lösungen gefunden werden, um die Produkte anderweitig zu verkaufen.
Man hat oft gehört, dass die Konsumenten in der Krise zu Bio tendieren, wie erklären Sie das?
Die Landwirtschaft hat in den letzten Wochen allgemein viel Aufmerksamkeit erfahren, das Stichwort «Versorgungssicherheit» ist in den Vordergrund gerückt. Die Lebensgewohnheiten der Menschen haben sich schlagartig verändert: Viele bleiben zuhause, die Leute kochen wegen der wegfallenden Gastronomie plötzlich sehr oft selbst und kaufen folglich auch anders ein. Auch dass das Thema «Gesundheit» in aller Munde ist, kann einen Einfluss auf die für uns positive Entwicklung haben. Bestimmt haben viele durch den verkleinerten Bewegungsradius auch ihre Region neu entdeckt, sind mit Landwirten in Kontakt gekommen oder haben in Hofläden eingekauft. Zudem profitieren wir sicher davon, dass die Grenzen geschlossen sind und Grenzgänger ihre Bio-Produkte hierzulande beziehen.
Die Milchwartelisten wurden zumindest vorübergehend aufgehoben. Ist das ein nachhaltiger Entscheid, oder werden die Produzenten beim Abflauen der Nachfrage wieder in der Wartestatus zurückversetzt?
Wir haben uns auf dem Milchmarkt sehr stark an die Folgeentwicklungen der Corona-Pandemie anpassen müssen. Zum Beispiel waren Butter-Aktionen aufgrund der Knappheit nicht mehr möglich. Wenn jetzt mehr Milch verkauft wird, ist es für mich ein fairer und logischer Entscheid, dass Produzenten, die bereits nach Knospe-Standard produzieren, ihre Milch nun auch zu einem Knospe-Preis verkaufen können.
Wie sich die Situation präsentiert, wenn Anfang des nächsten Jahres erneut Umstellbetriebe den Vollknospe-Status erlangen werden, wird von den Biomilch-Organisationen laufend evaluiert. Genaueres wird man wohl gegen Ende des Sommers sagen können. Der Entscheid obliegt am Ende den Biomilch-Organisationen.
Wenn es ein Produzent einmal von der Warteliste weg «geschafft» hat, kann er dann nicht mehr auf diesen Status zurückversetzt werden?
Nein, davon gehe ich nicht aus. Aus diesem Grund haben einige Biomilchorganisationen hohe Abzüge für Deklassierungen vorgesehen. So sollen mögliche Übermengen im Herbst abgefedert werden.
Der Gemüsemarkt hat stark zugelegt, wie steht es um Bio-Fleisch?
Sowohl Bio-Gemüse als auch Bio-Fleisch sind im Detailhandel viel stärker vertreten als in der Gastronomie. Weil der Detailhandel der stärkste Absatzkanal von Bio-Fleisch ist, sind die Umsätze momentan relativ gut. Daneben läuft auch der direkte Absatz sehr zufriedenstellend, etwa in den vielen Hofläden. Diese beiden Kanäle federn den wegfallenden Umsatz in der Gastronomie recht gut ab, sodass die Lage insgesamt stabil ist.
Der Bio-Kälbermarkt hingegen wird durch Corona in Mitleidenschaft gezogen, da am meisten Kalbfleisch über die Gastronomie abgesetzt wird. Das hat zu stark sinkenden Preisen geführt. Die Lage ändert sich aber wöchentlich; zuletzt haben wir eine Stabilisierung feststellen können.
An der Pressekonferenz wurde erwähnt, dass Bio Suisse im Bereich Gastronomie, Kantinen und Tankstellenshops noch einiges Potenzial erkannt hat. Auf welche Strategien baut Bio Suisse, um im Bereich «HoReCa» stärker Fuss zu fassen?
Wir richten ein hohes Augenmerk auf diesen Bereich und sind gerade dabei, eine Strategie auszuarbeiten. Wir werden Kompetenzen auf- und ausbauen und eine «Gastronomieoffensive» lancieren. Um das Thema «Nachhaltigkeit» langfristig in der Gastronomie zu etablieren, sind wir aber auch auf eine noch engere Zusammenarbeit mit Gastronomen angewiesen. Das wird künftig einer unserer strategischen Eckpfeiler sein.
Grosses Potenzial sehen wir dabei in der städtischen Grossgastronomie, wo vielfach staatliche und private Unternehmen tätig sind. Musterstädte wie etwa Kopenhagen machen vor, wie man mit einem gemeinsam entwickelten Nachhaltigkeitskonzept erfolgreich vorankommen kann. Nach diesem Vorbild haben wir ein Konzept für Grossküchen in der Schweiz entwickelt, das wir in naher Zukunft dem BLW vorlegen möchten. Zuvor gibt es aber noch einige offene Fragen zu klären.
Welche Rolle spielen aus der Sicht von Bio Suisse Vorstösse wie die Berner Bio Offensive?
Wir begrüssen Vorstösse wie die Berner Bio Offensive. Trotzdem möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es neben «Produktionsoffensiven» auch «Konsumoffensiven» geben muss. Es kann nicht sein, dass man nur die Produktion unterstützt und dabei die Förderung des Bio-Konsums aus den Augen verliert. Ganz besonders dann, wenn es um die Öffentlichkeit geht und um öffentliche Gelder. Es ist mir aber stets ein Anliegen, dass wir im Rahmen dieser Offensiven fruchtbare Partnerschaften eingehen.
Wie sieht eine solche Zusammenarbeit aus und welche Rolle übernimmt Bio Suisse dabei?
Bei der Berner Bio Offensive sind wir an der strategischen Ausrichtung beteiligt und versuchen, nachhaltigen Konsum als Ziel zu positionieren. Einen wichtigen Beitrag können wir auch leisten, indem wir etwa zusätzliche Partner ins Spiel bringen, zum Beispiel aus der Gastronomie.
In Zukunft werden wir wohl mehr strategische Partnerschaften dieser Art eingehen, da solche externen Akteure oft «näher an der Sache dran» sind. Innerhalb solcher Projekte kann Bio Suisse natürlich eine gewisse Führungsrolle übernehmen und – das finde ich ganz wichtig – bei der Finanzierung helfen.
Im Rahmen von komplexen Projekten, wie etwa in der Gemeinschaftsgastronomie, sind wir ideal aufgestellt, um zu erkennen, wo sich Hindernisse ergeben und wie Anliegen wie etwa die nachhaltige Ernährung platziert werden müssen. Als Verband stehen wir immer eng mit den Produzentinnen und Produzenten in Kontakt, sind aber auch in die politischen Prozesse eingebunden.
Ein weiterer Trend, der zuletzt Aufwind erhalten hat, geht in Richtung regionaler Produktion. Weshalb ist es nötig, beispielsweise Bio-Weine zu importieren?
Es gibt immer wieder Stimmen aus den Weinregionen, die einen Importstopp von Bio-Weinen fordern. Die Richtlinien, die Bio Suisse bei den Importen von Knospen-Wein ansetzt, sind aber sehr streng. Im Übrigen setzen alle Winzerinnen und Winzer, die Wein für das Knospe-Label produzieren, ihre Weine in der Regel problemlos ab. Beim Wein ist auch weniger das Label das ausschlaggebende Verkaufsargument, als vielmehr die persönliche Geschichte, die hinter einem Winzer und seinem Wein steht.
Was kann Bio Suisse unternehmen, um einheimische Bio-Neulinge oder Produzenten von Nischenkulturen wie etwa der Braugerste zu fördern?
Über unsere Website, unsere Zeitschrift Bioaktuell oder die Website von bioaktuell.ch informieren wir Bioproduzenten laufend über die neuesten Marktentwicklungen, Potenziale oder über interessante Nischen, die es zu besetzen gäbe. Da gibt es ganz viele Beispiele, von Bio-Beeren bis hin zur Braugerste, die Sie erwähnen. Grundsätzlich müssen Bioproduzenten hinter dem Grundgedanken der biologischen Produktion stehen. Neueinsteigern gelingt es deshalb meist rasch, sich schlau zu machen und an Informationen zu gelangen.
Bioprodukte benötigen viel Verpackung, namentlich Plastik. Wie will Bio Suisse hier Gegensteuer geben?
Das Gesetz gibt eine klare Warentrennung vor. Das heisst, Bioprodukte und konventionelle Produkte dürfen nicht vermischt werden. Grundsätzlich ist aber die Produkteverpackung ein sehr komplexes Thema, das Bio Suisse nicht lösen kann, da sind ganz klar auch die Verarbeiter und der Detailhandel gefragt. Gemeinsam mit unseren Partnern suchen wir aber nach neuen, praktikablen Lösungen, genau wie auch die Detailhändler. Zudem wurden in den letzten Jahren enorme Fortschritte auf diesem Gebiet gemacht.
Wann wird Bio Suisse die Parolen zur Trinkwasser- und Pesitzidverbots-Initiative fassen?
Die Parolen werden wir voraussichtlich an der Delegiertenversammlung im Herbst fassen. Ursprünglich war das auf das Frühjahr anberaumt, doch Corona liess eine physische Versammlung nicht zu. Die Parolenfassung zu diesen beiden Initiativen wollen wir aber ganz klar in physischer Form angehen, weshalb wir diesen Schritt auf den Herbst verschoben haben. Da in der politischen Agenda ohnehin viele Geschäfte nach hinten verschoben wurden, lässt sich das gut einrichten.
Wie beurteilen Sie die Stimmungslage gegenüber den Initiativen an der Basis?
Wir haben Befürworter und Gegner in unserem Verband. Das Ergebnis der Parolenfassung ist deshalb offen. Es hängt stark davon ab, ob das Parlament bei der Agrarpolitik 2022+ und der Parlamentarischen Initiative «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» (= «Pa. Iv. Absenkpfad») den Mut hat, die wichtigen Themen der beiden Initiativen entschlossen anzugehen und welche Rolle dem Biolandbau dabei zugewiesen wird. Bis dahin wird es noch einige heftige, aber auch sehr spannende Diskussionen geben.
Welche finanziellen Mittel wird Bio Suisse mobilisieren?
Keine. Natürlich wollen wir die Konsumenten faktenbasiert über unsere Position informieren, einen Abstimmungskampf planen wir aber nicht.
Ist demnach bei diesen beiden Initiativen die Stimmfreigabe das erhoffte Ziel? Innerhalb der «Basis» wird es viele stark Betroffene geben, Bio Suisse als Bio-Organisation kann aber schlecht eine abschlägige Parole fassen. Wie will der Verband diesen komplizierten Spagat schaffen?
Wie gesagt, eine Prognose ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Wenn das Aufgleisen der AP 22+ und die beiden Initiativen parallel laufen, wäre das sicher positiv. Wichtig sind klare Lösungen für die realen und durchaus dringlichen Probleme, vor denen unsere Gesellschaft steht. Für uns liegt der Fokus auf dieser Lösungsfindung und auf der Sensibilisierung der Konsumentinnen und Konsumenten.
Inwiefern differenzieren Sie zwischen den beiden Initiativen?
Wir gehen die beiden Initiativen getrennt an. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Trinkwasser-Initiative, die ja die Landwirtschaft stark betrifft, Interpretationsspielräume aufweist, die noch zu diskutieren sind. Im Vergleich dazu scheint die Pestizidverbots-Initiative um einiges klarer ausformuliert zu sein. Da ist es wirklich wichtig, dass man die Initiativen differenziert betrachtet, was leider oft nicht der Fall ist.
Grundsätzlich ist die zunehmende Kampfstimmung hinderlich, auch wenn sie verständlich sein mag. Was es jetzt braucht sind Antworten auf drängende Fragen, die sich die Konsumentinnen und Konsumenten stellen und die sie in Form der beiden Initiativen politisch vorgebracht haben. Es hilft wenig, davor die Augen zu verschliessen und eine sture Haltung einzunehmen.
Wenn wir etwas in die Zukunft blicken, steht mit der Initiative zur Massentierhaltung ein weiteres Thema an, das die Kernanliegen von Bio Suisse tangiert. Was erwarten Sie diesbezüglich?
Das Tierwohl ist ein Bereich, in dem die Schweiz gegenüber dem europäischen Ausland klar vorne liegt. Die Schweiz und Bio Suisse haben ein Interesse daran, dieses Alleinstellungsmerkmal weiter zu entwickeln. Es wird eine Diskussion um dieses Thema geben, die wohl in ähnlichen Bahnen verlaufen wird, wie die aktuelle. Fest steht auch, dass wir ein Problem und einen Lösungsansatz in Form einer Initiative haben, deren Folgen noch politisch abgeschätzt werden müssen. Die Diskussionen darum werden sicher interessant und es lohnt sich bestimmt, an der Sache dran zu bleiben. Bio Suisse entscheidet aber in dieser Hinsicht nichts, das wird ein politischer Entscheid.
Was wir tun können, ist die Sensibilisierung der Konsumentinnen und Konsumenten. Da müssen wir sicher über die Preisunterschiede zwischen konventionell produziertem Fleisch und der Bio-Alternative diskutieren. Da sind die Preise aus der konventionellen Produktion schlicht zu tief. Die Kunden müssen sich bewusst sein, dass jeder Einkauf auch eine Form der Stimmabgabe ist.
Der Bundesrat hat die Botschaft zur AP 22+ präsentiert, unterstützen Sie deren Stossrichtung?
Ja, die unterstützen wir grundsätzlich. Es ist wichtig, dass sich das Parlament nach der fast dreijährigen Vorlaufphase endlich mit der Botschaft auseinandersetzt. Die Probleme sind benannt, die Lösungen diskutiert und alle Stimmen wurden gehört. Was wir jetzt haben, ist ein Kompromiss, der noch Lücken hat, wie der Bauernverband aufgezeigt hat. Wir sind der Meinung, dass sich vieles noch im regulären Ablauf klären wird und befürworten, dass man nun endlich einen Schritt nach vorne macht.