«Zu spät ist es noch nicht, aber die Nervosität steigt unter den Landwirten und Landwirtinnen allemal.» Der IP-Suisse-Präsident Andreas Stalder sitzt unter anderem im Swissgranum-Vorstand und beobachtet die angespannte Lage auf den Betrieben. Die Getreideproduzenten möchten säen – das optimale Datum verstreicht langsam. Stalder gibt aber Entwarnung und ruft zur Geduld auf. «Lieber eine späte Saat als eine Saat unter schlechten Bedingungen», betont er.
«Der Druck ist noch nicht zu gross»
Andreas Distel, Pflanzenbauberater an der Liebegg berichtet aus der Region Aargau: «Viele Weizensaaten sind noch offen, aber der Druck ist noch nicht zu gross. Weizensaaten können auch noch gut bis in den November erfolgen, vorausgesetzt natürlich, dass der Winter nicht zu früh einsetzt.»
Keinen Grund zur Hektik
Auch Adrian Krähenbühl, Geschäftsleiter der Semag im bernischen Lyssach, wägt ab: «Objektiv gesehen haben wir einen ganz normalen Herbst – es braucht Geduld bei der Kartoffel-, Mais- und Rübenernte.»
Bezüglich der Getreidesaat sieht Krähenbühl noch keinen Grund zur Hektik: «Die Saat von Winterweizen ist bis Ende Jahr bedenkenlos.» Auch er ist der Meinung, dass die Bedingungen, etwa abgetrocknete Böden, wichtiger sind, als sich zu fest auf den Kalender zu versteifen.
Wechsel- oder Sommerweizen als Ausweichmöglichkeit
Welche Alternativen haben die Produzenten und Produzentinnen, wenn eine Saat unter optimalen Bedingungen tatsächlich nicht umgesetzt werden kann? Natürlich könne man auf den Anbau von Sonnenblumen oder Roggen ausweichen, die Nachfrage sei nach diesem ackerbaulich schwachen Jahr für alle möglichen Kulturen hoch, bestätigt Andreas Stalder. «Aber Getreide brauchen wir», fügt er hinzu.
«Objektiv haben wir einen ganz normalen Herbst – es braucht Geduld.»
Adrian Krähenbühl, Geschäftsleiter Semag, über die aktuelle Situation.
«Wem die zu späte Winterweizensaat zu riskant erscheint, der kann auch auf Wechselweizen oder Sommerweizen ausweichen», ergänzt Stalder. Wechselweizen braucht keine Vernalisation, um eine Ähre auszubilden. Das geschieht an Tagen, an denen die mittlere Temperatur zwischen 0 und 10 Grad liegt.
Diavel: Bessere Qualität im bei Aussaat im Frühling
Hinsichtlich der Saatgutverfügbarkeit müssten die möglichen Optionen jedoch individuell abgeklärt werden, so Stalder. Das sei natürlich ein «Worst Case»-Szenario, aber die Kultur könne durchaus marktfähig und konkurrenzstark sein, erklärt Stalder. Die Wechselweizen-Sorte Diavel kann sowohl im Herbst als auch im Frühling ausgesät werden.
Laut der neusten Sortenauswertung von Agroscope verfügt sie über ein hohes Ertragspotential für die Qualitätsklasse TOP. Ausserdem hat sie eine sehr gute Toleranz gegenüber Braunrost. Diavel zeigt auch sonst keine Schwächen gegenüber Pilzkrankheiten. Bei Aussaat im Frühling ist die Qualität allerdings höher als bei der Aussaat im Herbst.
Mit erhöhter Saatdichte, die späte Saat kompensieren
Wie realistisch ist diese Alternative? Adrian Krähenbühl verwirft das Ausweichen auf Wechselweizen nicht, gibt aber den Hinweis, die Saatgutdichte des bereits bestellten Saatguts allenfalls zu erhöhen, um die späte Saat zu kompensieren. «Die meisten haben das Saatgut ja bereits auf dem Hof.»
Pflanzenbauberater Andreas Distel fügt hinzu: «Bei späten Saaten jedenfalls, also ab dem 20. Oktober, sollte die Saatmenge entsprechend dem Standort und der Anbautechnik erhöht werden, da spät gesäte Bestände deutlich weniger bestocken. Bei solchen späten Saaten werden Saatdichten von 350 bis 450 Körner/m2 empfohlen.»
«In steilen Lagen werden wir vermutlich nicht mehr fahren können.»
Lohnunternehmer Bernhard Kappeler über die stockende Maisernte.
Ein anderer Fachmann, der die Situation auf den Feldern ebenfalls kennt und die zunehmende Nervosität spürt, ist Bernhard Kappeler. Er führt im bernischen Niedermuhlern ein Lohnunternehmen. Kappeler ist spezialisiert auf Erntearbeiten und Aussaat und das in einem Gebiet, das einerseits steile Felder hat, aber auch Moosböden im nahen Gürbetal.
Kurze Zeitfenster ohne Regenschauer
Damit er in seinem Einzugsgebiet die Maisernte abschliessen könnte, müsste er mit seinem Fuhrpark noch mindestens eine Woche voll durchfahren können. Stattdessen bleiben ein paar Stunden zwischen zwei Regenschauern und dort, wo man sich entschliesst, trotz der Nässe zu fahren, muss entsprechend danach die Strasse gereinigt werden, was wiederum Zeit kostet.
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«Die meisten probieren einfach, dann irgendwann noch das Getreide zu säen, auch wenn es halt nass ist», erzählt Kappeler. «Aber es ist noch nicht zu spät und wir geben die Hoffnung auf ein paar schöne Tage sicher nicht auf», betont er. Wintergetreide könne man notfalls auch noch im Dezember säen, wenn es nicht anders gehe.
Sonnenblumen brauchen Sonne
Am prekärsten sei es bei den Sonnenblumen, die noch draussen stehen, die müssten mindestens zwei Tage richtig gut trocknen können, damit man sie dreschen kann. Aber auch beim Mais werden wohl heuer nicht alle Parzellen voll abgeerntet. «Dort, wo es steil ist, können wir voraussichtlich mit dem Maishäcksler nicht mehr fahren», vermutet Kappeler. Aber man wisse es nie. Das Wetter könne schnell ändern. Ein paar Tage ohne Regen und mit Bise könnten die Situation schon wieder verbessern.
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Zwischen Hoffen und Verzweiflungstaten
Die grössten Verluste drohen wohl bei den Kartoffeln. Dort bräuchte es in der Region um den Längenberg noch rund zehn trockene Tage, um diese zu ernten. So schwanken die Landwirte momentan zwischen Hoffen und Verzweiflungstaten, um die Ernte doch noch irgendwie aus dem nassen Boden zu bekommen. Und guter Rat ist teuer. Wer heuer sein Wintergetreide nicht früh gesät hat, dem bleibt jetzt wohl nur eins: «Nicht die Nerven verlieren».