Es ist halb vier Uhr nachmittags, die Melkzeit naht. Ein paar Kühe im Laufstall auf dem Biobetrieb Brüederhof im zürcherischen Dällikon sind bereits unruhig. Auch die Kälber nebenan erwartet ein Höhepunkt in ihrem Tagesablauf: Wenn das Gatter aufgeht, dürfen sie in den Laufstall, wo sie von ihren Müttern bereits erwartet werden. Peseta, eine 10-jährige Kuh der Rasse Swiss Fleckvieh, hat schon eine Weile auf ihr Kalb gewartet. Jetzt steht sie ruhig da und lässt es trinken.

Die Mütter sind in Sichtkontakt

Auf dem Brüederhof wird die muttergebundene Kälberaufzucht schon seit rund 15 Jahren praktiziert. «Für uns ist dies die natürlichste Art, um ein Kalb zu ernähren und aufzuziehen», sagt Martina Knoepfel, die den Betrieb zusammen mit ihrem Mann Simon führt. Sie halten um die 40 Milchkühe, die meistens jährlich abkalben. Am ersten Tag lassen sie Mutter und Kalb jeweils zusammen, ab dem zweiten Tag geht die Mutter zum Melken hinaus oder zu den anderen Kühen in den Laufstall.

Die Trennung vom Kalb wird schrittweise verlängert, bis es nach vier bis fünf Tagen in die Kälbergruppe zügelt. Diese befindet sich in einem abgetrennten Teil des Offenstalls, von wo aus Sichtkontakt zu den Kühen und umgekehrt besteht. Frühmorgens und am späteren Nachmittag während den Melkzeiten dürfen die Kälber zu ihren Müttern, wo sie in der Regel während etwa zehn bis 15 Minuten am Stück trinken, bis sie genug haben. «Insgesamt bleiben die Kälber morgens und nachmittags ein bis zwei Stunden bei den Kühen, bis diese in den Melkstand geführt werden», erzählt die Biobäuerin. «Dabei suchen einige Mütter den Kontakt zum Kalb stärker als andere.»

Das Füttern fällt weg

Nebst der natürlichen und gesunden Mutter-Kalb-Bindung nennt Martina Knoepfel einen weiteren Vorteil des muttergebundenen Aufzuchtsystems: «Es fällt viel Arbeit weg. Wir müssen die Kälber nicht extra füttern und auch keine Trink- und Sauggefässe waschen und sterilisieren.»

Da der Kälberbereich an den Laufstall angrenzt, gelte es einzig, zu gegebenen Zeiten das Gatter zu öffnen, so Knoepfel. Zudem wird kein Zusatzfutter benötigt. Die Tiere haben zwar Zugang zu Gras und Silage. Dies dient in den ersten Lebenswochen aber vor ­allem zum Kennenlernen von festem Futter. Indem Kälber unterschiedlichen Alters zusammenleben, findet ausserdem ein Lernen von den Älteren statt. Sie saugen kaum aneinander, weil ihr Saugtrieb genügend befriedigt ist.

Die Kühe kalben gestaffelt ab, damit die Milchmenge für die Molkerei in etwa ausgeglichen ist. Derzeit leben auf dem Hof sechs Kälber. Diejenigen, die für die Mast bestimmt sind, stammen von einem Limousin-Vater ab. Diese – und auch alle Munis generell – gehen im Alter von drei Wochen in einen Mastbetrieb. Angehende Milchkühe bleiben hingegen bis zum Alter von drei Monaten bei den Müttern, bevor sie in einen anderen Stall auf dem Betrieb wechseln oder im Sommer auf die Alp kommen.

Ohne Trennungsschmerz geht es nicht

Eine Herausforderung bei der muttergebundenen Aufzucht sei sicher die Trennung, meint Martina Knoepfel. Ein, zwei Tage lang würden die Mütter noch nach ihren Kälbern rufen. Da müsse man durch, nachher werde es wieder ruhig.

Als Kritik an der muttergebundenen Kälberaufzucht wird manchmal das Risiko einer allfälligen bakteriellen Verunreinigung der Milch durch die Kälber genannt. Dazu meint aber Martina Knoepfel, die Zellzahlen bei den Laboruntersuchungen seien kaum je ein Thema. Auch nicht ein tieferer Fettgehalt der Gesamtmilch, weil nur jeweils ein paar wenige Kühe vor dem Melken ein Kalb säugen.

Das Tierwohl ist entscheidend

Ein Nachteil dieser Art von Aufzucht liegt laut Martina Knoepfel darin, dass die Kälber, die mit drei Wochen in den Mastbetrieb wechseln, dort zuerst noch Mühe beim Trinken aus dem Nuckeleimer haben. Und was ist mit der Milch, die beim Melken fehlt? «Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es sicher gewisse Einbussen, wir haben es jedoch nie genau ausgerechnet. Es ist auch schwierig zu erheben, welche Milchmenge tatsächlich an die Kälber geht», stellt Knoepfel fest. «Aber das ist für uns auch nicht entscheidend, solange es den Kälbern gut geht und die Tierarztkosten wegfallen.»

 

Der Brüederhof in Dällikon ZH

 

Familie: Martina und Simon Knoepfel

Betriebsart: Bio

Nutzfläche: 32 ha

Tiere: 40 Milchkühe, acht Rinder und sechs Kälber, sechs Mastschweine, 100 Legehennen

Kulturen: Lagergemüse und Kartoffeln (5 ha), Futterbau (10 ha), 40 Hochstammbäume

Hofladen: Fleisch, Milchprodukte, Gemüse, Brot und Zopf

Weiteres: Biogasanlage

 www.bruederhof.ch