Abo . Brotgetreide Neue Mutterkorn-Höchstgehalte «an der Grenze des Machbaren» Thursday, 14. December 2023 Grosse, schwarze Körner in den Ähren stechen kurz vor der Getreideernte ins Auge: Mutterkorn ist offenbar heuer ein Thema – was überrascht.

Belastete Getreideposten

Die 1 bis 4 cm langen und giftigen Sklerotien, in denen der Mutterkornpilz überdauert, beschäftigen die Bauern – und auch die Mühlen, denn eine Dekontamination ist sehr teuer, aufwendig und nur mit einem spezifischen Farbausleser machbar, den die wenigsten Sammelstellen besitzen, weiss Hansjörg Knecht. Er ist Geschäftsführer der gleichnamigen Mühle in Leibstadt AG. Der Pilz befällt vor allem Roggen und Triticale sowie Kultur- und Wildgräser. Nun aber seien auch Gersten- sowie Weizenposten betroffen.

Knecht hat bei der Gerste zwar bisher kein Mutterkorn festgestellt, jedoch vereinzelt bei Weizen- und Triticaleposten. «Von den rund 500 Tonnen abgelieferten Ernteguts sind rund vier Posten positiv auf Mutterkorn getestet worden – lagen aber glücklicherweise unterhalb des Grenzwerts», so Knecht.

Der Fachmann vermutet, dass sich die Situation während der Roggenernte zuspitzen dürfte, weil beim Roggen die Blüten für die Bestäubung länger offen sind als bei anderen Getreidearten. Das ist so, weil der Roggen ein obligater Fremdbefruchter ist. Sprich, Pollen einer Roggenpflanze kann nicht dieselbe Pflanze befruchten. Darum wird Roggen in Populationen angebaut, die sich genetisch leicht unterscheiden und dadurch gegenseitig befruchten können. Beim Weizen, der ein Selbstbefruchter ist, läuft die Befruchtung der Blüte mehrheitlich bei geschlossenen Spelzen ab, wodurch die Pflanze weniger anfällig auf den Mutterkornpilz ist.

«Eine abschliessende Beurteilung der Gesamtsituation ist schwierig», sagt Knecht. Nach den Rückmeldungen seiner Produzenten ist er aber alarmiert und beobachtet die Situation weiterhin aufmerksam.

Mehr Luft beim Dreschen?

«Es ist schwer abzuschätzen, was da läuft», findet Hanspeter Lauper von der Sammelstelle Wirth Getreide AG in Suberg BE. Er hat noch nie erlebt, dass Mutterkorn in Weizen oder Gerste ein Thema war – bis heuer. «Wir hatten bis jetzt einen Gerstenposten mit Mutterkorn, und ich habe heute zwei betroffene Weizenfelder gesehen.» Die Höchstwerte für Mutterkorn im Getreide sind sehr tief, der Pilz produziert für den Menschen bereits in kleinen Mengen tödliche Giftstoffe. Lauper bestätigt, dass die Reinigung betroffener Posten in seiner Sammelstelle «nur sehr bedingt» möglich wäre. Die Empfehlung, beim Mähdreschen allfällige Mutterkorn-Sklerotien mit mehr Luft abzuführen, sieht er kritisch. «Die Sklerotien sind grösser und mindestens gleich schwer wie die Getreidekörner», so seine Beobachtung. «Wir werden sehen, ob das funktioniert», meint Lauper. Die Wahl möglichst wenig mutterkornanfälliger Sorten ist dadurch erschwert, dass dieses Merkmal bei Weizen und Gerste in den Sortenblättern nicht aufgeführt ist.

Die Eichmühle in Beinwil AG hat sich auf Spezialreinigungen und Sortierungen von Getreide und Spezialprodukten spezialisiert. Sie bietet die Behandlung von mutterkornbelasteten Posten als Dienstleistung für andere Mühlen und Sammelstellen an.

Befallene Partikel auslesen

«Die Sklerotien sind schwarz und lassen sich mit dem Farbleser via Kameras relativ leicht aussortieren. Wir verfügen in unserer Veredelungsanlage über weitere Maschinen, die ergänzend zum Farbausleser die befallenen Partikel auslesen», schildert Jonas Wettstein, Verantwortlicher Produktveredelung. «Wichtig im Umgang mit den befallenen Getreideposten ist, dass sie möglichst wenig mechanisch beansprucht werden.» Denn bei jeder Umlagerung entstehe Abrieb und Staub, was die Ausreinigung erschweren könne und das Getreide womöglich zusätzlich belaste.

Bei der Landi Seeland in Ins und Aarberg BE gab es bislang keine Meldungen von Mutterkorn in Gerste. «Weizen haben wir bisher noch keine grösseren Mengen angenommen. In den bereits eingegangenen Mengen wurde kein Mutterkornbefall festgestellt», erklärt Markus Bernet, Leiter der Getreidesammelstellen.

«In den bisherigen abgegebenen Getreideposten, aber auch in den Getreidebeständen, ist Mutterkorn kein Thema», sagt auch Alexander Süss, Leiter Verkauf Agrar bei der Landi Weinland.

Sorten-Versuche betroffen

Gleiches beobachtet Markus Raschle, Geschäftsführer von Getreide Mittelthurgau: «Bisher haben wir keinen starken Befall festgestellt. Auch Feldkontrollen haben nichts gezeigt.» Die Lage sei im vergangenen Jahr schlimmer gewesen – damals habe man in einigen Sommerweizenposten Mutterkorn gefunden.

Das bestätigt Johannes Röllin, Bioberater vom Strickhof: «Letztes Jahr fanden wir definitiv mehr Mutterkorn im Getreide.» Einzelne Mutterkornpilze habe er aber auch heuer im Roggen gesichtet, und zwar bei den Sorten-Versuchen.