Die Risiken, die durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM) für Gewässer, Grundwasser und Bienen entstehen, sollen gesenkt werden. Das ist das Ziel des Absenkpfades Pestizide und der AP 22+, die Einschränkungen von PSM-Wirkstoffen auch im ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) vorsieht. Welche Wirkstoffe müssten wegen ihres Umweltrisikos verboten werden, und welche Folgen hätte das auf die Produktion? Diese Fragen nimmt eine neue Studie von Agroscope in Angriff.
Ist ein Wirkstoff ersetzbar oder nicht?
Konkret befassten sich die Forschenden mit den Auswirkungen eines Verbots von zwölf Insektiziden, elf Herbiziden, fünf Fungiziden und einem Phytoregulator. Dabei lag der Fokus auf Hauptkulturen im Feld-, Obst-, Gemüse-, Beeren- und Weinbau sowie den wichtigsten Schaderregern. Man versuchte abzuschätzen, ob die Hochrisiko-Wirkstoffe ersetzbar wären. Basis dafür waren Wissen und Erfahrungen von Pflanzenschutzexperten.
Vor allem im Feld- und Gemüsebau schwierig
Für verschiedene PSM kam man zum Schluss, dass die Kulturen ohne nicht mehr vor Hauptschädlingen geschützt werden könnten. Besonders problematisch dürfte der Verzicht auf Insektizide mit hohen Risikopotenzialen bei gewissen Kulturen im Feld- und Gemüsebau sein. So gebe es ohne Pyrethroide keine Lösungen mehr für z. B. den Rapserdfloh oder Rapsstängelrüssler im Raps sowie Erdflöhe in Zuckerrüben. Hinzu käme bei einer Einschränkung der PSM-Auswahl ein steigendes Risiko für Resistenzen. Da die als hochriskant besprochenen Fungizide im Gemüsebau mehrheitlich sehr alt seien, hätten sie bereits an Bedeutung verloren und könnten andererseits durch Neuzulassungen ersetzt werden.
Im Gegensatz dazu stünden im Obst-, Beeren- und Weinbau in den meisten Fällen mehrere wirkungsvolle Alternativen zu den untersuchten Insektiziden zur Verfügung.
Verschiedene Unsicherheiten
Die Berechnungen zum potenziellen Risiko von PSM-Wirkstoffen sind laut Agroscope mit folgenden Unsicherheiten behaftet:
- Keine Berücksichtigung von risikomindernden Auflagen. Dadurch wird für Wirkstoffe mit Auflagen für die Anwendung der Anteil an der Summe aller gewichteten Risiko-Scores überschätzt.
- Unsicherheit bei den realen Aufwandmengen.
- Einsatz eines Teils der verkauften PSM auf nicht-landwirtschaftlichen Flächen
Bei der Abschätzung der Ersetzbarkeit von Wirkstoffen wurde Folgendes nicht berücksichtigt:
- Auswirkungen auf die Anbausysteme im Ganzen
- Interaktionen
- zukünftige Auswirkungen bei Veränderungen des Klimas
- oder in der PSM-Zulassung
- oder im Auftreten von Schaderregern
Spinosad für Bio und IP ist hochriskant
Ein grosses Problem sieht Agroscope, wenn das im Bioanbau zugelassene Spinosad verboten würde. Das Insektizid wurde als bienengefährlich eingestuft. Es sei das derzeit einzige wirksame PSM gegen Kohlfliegen oder Erdflöhe, das heute zugelassen ist und auch gegen Erdraupen wichtig. «Bei einem Verzicht auf Spinosad müsste mit grösseren Schwierigkeiten in der integrierten und biologischen Produktion in allen Kulturbereichen gerechnet werden», schreiben die Forschenden.
Viel Pflanzenschutz aus kosmetischen Gründen
Dass Spinosad – obwohl für den Bioanbau zugelassen – als Hochrisiko-PSM eingestuft wurde, überrascht Lucius Tamm nicht. Der Leiter Departement Nutzpflanzenwissenschaften und Direktor für Kooperationen des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) bestätigt die Wichtigkeit von Spinosad für die Kontrolle einiger Schlüsselschädlinge im Bio-Obst- und teilweise im -Gemüsebau. «Aus Anbausicht wäre ein Verbot daher ungünstig», meint Tamm. Dies hänge mit den Handelsansprüchen zusammen, mit denen auch beispielsweise IP-Betriebe zu kämpfen hätten. «Wohl bis zu einem Drittel des Pflanzenschutzes in Spezialkulturen wird gemacht, um den Ansprüchen an die äussere Qualität zu genügen», schätzt er.
Spinosad richtig ausbringen hilft
Bei Spinosad gibt Lucius Tamm zu bedenken, dass der Wirkstoff sehr kurzlebig sei. Bei der richtigen Anwendung sollten Bienen trotz der akuten Bienentoxizität nicht zu Schaden kommen, «Und Unfälle mit Spinosad passieren sehr selten. Biolandwirte wissen, worauf sie bei der Anwendung achten müssen.» Solche risikomindernden Massnahmen wurden in dieser Analyse von Agroscope allerdings nicht berücksichtigt.
«Bio ist mehr, als ÖLN ohne synthetische PSM»
Biolandwirtinnen und -landwirte kommen ohne viele der von Agroscope als kaum ersetzbar bezeichneten Pflanzenschutzmittel aus. «Bio ist mehr als eine ÖLN-Produktion ohne synthetische PSM», erklärt der FiBL-Direktor Lucius Tamm. Es handle sich um ein ganz anders Anbausystem, in dem Fruchtfolge und Pflanzenernährung anders funktionieren und alle Organismen miteinbezogen werden.
Zukünftig PSM-reduzierte Anbausysteme weiterentwickeln
Die Agroscope-Studie soll als Entscheidungsgrundlage dienen, um in Zukunft Einschränkungen der verfügbaren PSM-Wirkstoffe im ÖLN festlegen zu können. Die Autoren betonen aber, es brauche weitere Abklärungen zu den Folgen in anderen, bisher noch nicht evaluierten Kulturen. «Eine aktive Weiterentwicklung von Pflanzenschutzstrategien, die mit reduzierter PSM-Anwendung auskommen, ist notwendig. Dadurch können die Folgen von Einschränkungen der PSM-Wirkstoffe entschärft werden.», schliessen die Fachleute.
Berechnung der Risiken
Um die Wirkstoffe mit dem grössten Potenzial für Umweltschäden zu finden, berechneten die Forschenden von allen zugelassenen PSM-Produkten (Stand 2019) Risiko-Scores aus deren Konzentration in der Umwelt und ihrer Giftigkeit.
In einem zweiten Schritt wurden die Scores mit der theoretisch behandelten Fläche (Verkaufsmenge aus dem Jahr 2018/mittlere Aufwandmenge) gewichtet. Als Hoch-
risiko-Wirkstoffe identifiziert wurden jene mit den grössten Anteilen an der Summe aller gewichteten Risiko-Scores.
Der resultierende Prozent-Wert dient laut Agroscope als Anhaltspunkt dafür, wie wirksam eine Einschränkung im ÖLN in Bezug auf schweizweite Umweltrisiken sein könnte. Erfasst wurde also das relative potenzielle Risiko, nicht das absolute.