Laura und Roger Niederberger bewirtschaften in Merlischachen einen vielseitigen Betrieb mit 50 Milchkühen, 300 Mastschweinen und gesamthaft 400 Hochstammbäumen. Fast 300 davon sind Kirschbäume. Die Früchte ernten Roger Niederberger und sein Team mit einem hydraulischen Baumschüttler. Dazu schüttelte Roger Niederberger in den vergangenen Jahren noch die Früchte von über 200 Bäumen von Berufskollegen, Tendenz steigend. «Die Erntezeitfenster werden durch die Kirschessigfliege (KEF) immer kürzer. Dadurch wird die Arbeitseffizienz und somit die Mechanisierbarkeit immer wichtiger», so der Jungbauer aus Merlischachen. Bei geeigneten Bäumen, genügend Personal und optimaler Baumanordnung seien bis zu15 Bäume pro Stunde möglich.
Resignation und den Obstbauern ist spürbar
Bedeutend mehr Zeit beanspruche die mechanische Ernte bei massiven und älteren Kirschbäumen, wo ein einzelner Baum alleine eine Arbeitsstunde beanspruchen könne. Die Stimmung unter den Kirschenproduzenten in seiner Region beschreibt Roger Niederberger als sehr angespannt. Wegen der Kirschessigfliege sei der Aufwand stark gestiegen. Die hohen Ausfälle führten vielerorts zu Resignation.
Viele alte Bäume und problematische Sorten würden aktuell gefällt. «Reichten früher drei Pflanzenschutzbehandlungen pro Saison, benötigt heute alleine die Bekämpfung der KEF so viele Spritzdurchgänge. Die aktuellen Preise entschädigen den gestiegenen Aufwand nicht.» Er geht aber davon aus, dass durch die immer anspruchsvoller werdende Produktion das Angebot knapper werde, was sich dann auf die Marktpreise auswirken sollte.
Pflanzenschutz mit Drohnen hat Potential
Roger Niederberger wünscht sich auch neue Inputs aus der Forschung. Das Projekt der Einnetzung von Hochstammbäumen, das am Fachabend von Zuger Rigi Chriesi präsentiert wurde, sei zwar spannend. Es werde sich jedoch zeigen, ob dies in der Praxis wirtschaftlich umgesetzt werden könne. Mehr Potenzial sieht er im Einsatz von Drohnen beim Pflanzenschutz, wo im vergangenen Jahr auf einem Betrieb im Kanton Schwyz erste Versuche liefen. Deren Einsatz müsse sicher effizienter und automatisiert werden. Da aber auch wertschöpfungsstärkere Branchen wie der Weinbau mit dieser Technik arbeiten möchten, werde die Drohnentechnik in naher Zukunft einen grossen Entwicklungsschub durchmachen. Hoffnungen setzt Roger Niederberger auch auf den Einsatz der Schlupfwespe Ganaspis brasiliensis, welche bereits in Ländern wie Italien, USA und Frankreich ausgesetzt wurde. Er wünscht sich, dass sich die KEF-Bekämpfung mit natürlichen Feinden bewährt. [IMG 2]
Von den zuständigen Bundesämtern fordert er ein rasches Handeln. «Es muss jetzt auch in der Schweiz vorwärtsgehen. Versuche im Freiland müssen dieses Jahr möglich sein.» Dauere das Prozedere zu lange, bleibe wohl nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis die Schlupfwespe aus den Nachbarländern einfliege.
Auch positive Signale vom Markt
Familie Niederberger wird den Schwerpunkt mittelfristig vor allem auf die Saftkirschen setzen. «Die Ernte von Saftkirschen ist weniger personalintensiv als Konserven», so Roger Niederberger. Denn die gut zwei Wochen dauernde Kirschenernte sei trotz ihres guten Teams, das aus Familie, einem Angestellten und dem Lehrling bestehe, schon sehr intensiv. Entscheidend sei aber natürlich, dass die Marktsituation passe und starke Verarbeiter in der Region bestehen könnten. Optimistisch macht ihn, dass ein bäuerlicher Brenner in seiner Region dank guter Nachfrage nach Schnaps eine Konzession für den Betrieb einer gewerblichen Brennerei beantragt habe.
Angespannte Stimmung auch im Kanton Aargau
«Nicht, dass aktuell bei uns im Aargau überdurchschnittlich viele Kirschbäume gefällt werden, aber nach den letztjährigen Ausfällen infolge der KEF ist der Optimismus bei den Bauern schon nochmals zurückgegangen», fasst Daniel Schnegg, Obstbaufachmann vom LZ Liebegg die Stimmung unter den Hochstamm-Kirschenproduzenten in seinem Kanton zusammen. Die Schäden durch die KEF seien 2022 insbesondere in der Kirschen-Hochburg Fricktal enorm gewesen.
Vorwärts machen und Lösungen suchen
Durch die grossen Ausfälle und den immer anspruchsvoller werdenden Anbau seien Brennkirschen mittlerweile rar und erfreuten sich einer guten Nachfrage. Bedeutender seien im Kanton Aargau wertschöpfungsmässig allerdings die Industriekirschen. «Schlussendlich muss der Kirschenanbau mit Hochstammbäumen auf professionellen Betrieben wirtschaftlich sein, ansonsten wird dieser Betriebszweig aufgegeben», so Daniel Schnegg. Immer neue Schädlinge und im Gegenzug immer weniger Pflanzenschutzmittel, das gehe nicht auf. Es müsse nun vorwärtsgehen. Die zuständigen Bundesämter und die Politik seien gefordert. Versuche mit Schlupfwespen, einem natürlichen Gegenspieler der KEF, sollten zeitnah zugelassen werden.
Blühende Bäume aber keine Früchte
Gefällte imposante Bäume seien ein Verlust. «Ein blühender Hochstammkirschbaum wertet das Landschaftsbild enorm auf», so der Obstexperte. Es gebe zwar noch Idealisten, die diese wertvollen Bäume auch ohne nennenswerte Erträge noch pflegten. Mehrheitlich fehle es aber an Personal. Immer weniger Obstbauern hätten noch die Ressourcen, in die hohen Baumkronen zu steigen. Kirschbäume, die nicht gepflegt würden, könnten aber zu richtigen Brutstätten der KEF werden. Aktuell würden im Kanton Aargau Anpflanzungen von Hochstammkirschbäumen laufen, die zwar blühten, aber keine Früchte tragen. Diese könnten zukünftig ein wichtiges Element der Landschaftsqualität sein. reb
