Abo Ostschweiz Gemüsebau: Ernteerschwernisse bei allen Freiland-Frühkulturen Sunday, 21. May 2023 Samuel Müller in Steinmaur im Kanton Zürich präsentiert sein frisches Angebot in einem Hofladen neben den Gewächshäusern. Obwohl das Angebot breit ist, ist der Hofladen faktisch nur ein Aushängeschild des grossen Gemüsebaubetriebes mit 65 Hektaren im Freiland, 2 Hektaren Gewächshaus und 50 Aren Hochtunnel.

«Wir produzieren im Boden»

Der grösste Teil der über 40 verschiedenen Gemüse- und Kräutersorten geht an Grossverteiler und in den Online-Handel. Insgesamt beschäftigt der Betrieb etwa 100 Teil- oder Vollzeit-Mitarbeitende. Samuel Müller ist der Geschäftsführer des Familienbetriebes, in dem Grossvater, Vater und Bruder mitarbeiten.

[IMG 2] Der Betrieb Müller wirtschaftet seit 1995 nach den Richtlinien von Bio Suisse. Im ersten Gewächshaus wachsen Tomaten, so weit das Auge reicht. Jede Pflanze wächst an einer Schnur aus abbaubarem Material hoch. «Wir produzieren im Boden», betont der Gemüsebauer. Er dämpft den Boden nicht, denn er möchte die Mikroorganismen in der mit Kompost angereicherten Erde nicht abtöten. Diese sollen das organische Material abbauen und somit die Nahrung für die Pflanzen liefern. Schläuche unter der Abdeckfolie bringen das Wasser direkt zu den Wurzeln. Im Winter wächst Endivie in der Fruchtfolge.

Im nächsten Gewächshaus wachsen Gurken. Auch hier versucht der Landwirt so gut wie möglich, ohne die im Biolandbau zugelassenen Spritzmittel gegen Pilzkrankheiten auszukommen. Gegen Blattläuse setzt er Nützlinge wie Schlupfwespen oder Raubmilben ein. «Ein paar Blattläuse machen nichts», aber sie dürfen nicht überhandnehmen. Das Gleichgewicht sei entscheidend.

«Gesunde Böden ergeben gesunde Pflanzen.»

Samuel Müller, Gemüsebauer aus Steinmaur

Ein gesunder Boden bietet Lebensraum für Regenwürmer und Mikroorganismen, die den Pflanzen die Nahrung aufbereiten. Er brauche weniger Dünger und Pflanzenschutzmittel als ein toter Boden.

Reifeprozess beieinflusst auf das Aroma

Der Landwirt pflegt seine Kulturen nach den Grundsätzen der regenerativen Landwirtschaft. Ziele sind ein kontinuierlicher Humusaufbau und eine möglichst ganzjährige Bodenbedeckung im Freiland. «In der Natur ist der Boden immer bedeckt», erinnert Samuel Müller. So bleibt die Feuchtigkeit im Boden und die Bodenlebewesen können arbeiten. Tief pflügen ist ein No-Go, denn die Pflanzenwurzeln sollen die Nahrung erreichen.

Im organischen Biolandbau wachsen die Pflanzen langsam, so wie ihnen die Bodenlebewesen die Nährstoffe aufschliessen. Müller ist überzeugt, dass dieser Reifeprozess einen Einfluss auf das Aroma der Früchte hat. Der Landwirt lässt sich nicht nur von naturgemässen Anbauideen inspirieren, sondern ist auch aufgeschlossen gegenüber zeitgemässen Vermarktungswegen. So beliefert er den Online-Händler farmy.ch. Innerhalb von fünf Stunden komme das Gemüse vom Feld zum Kunden. «No Food Waste», denn der Online-Handel bestelle nur das bei ihm, was er verkauft hat.

Kräuteranbau auf sechs Etagen

Nur wenige Kilometer von Samuel Müller entfernt befindet sich im zürcherischen Niederhasli der Betrieb Yasai, der japanische Name für Gemüse. Hier wachsen Kräuter wie Basilikum, Pfefferminze, Dill und Koriander auf Pflanz-Tischen, die in einer hohen Halle in sechs Etagen übereinander stehen. Daher der Name vertikale Landwirtschaft oder Vertical Farming. Es sieht aus wie in einem Hochregallager. Dank des Anbaus auf verschiedenen Etagen lässt sich bei der Bodenfläche sparen.

Aufzüge fahren die Tische nach oben und unten, je nachdem, ob die Pflanzen gesät werden, wachsen oder ob sie erntereif sind. «Die Pflanzen kommen zu den Leuten», erklärt Philipp Bosshard. Sie wachsen in einem hydroponischen Gewächshaus, das heisst, in mit Nährstoffen angereichertem Wasser. Dazu werden sie in kleinen Schaumstofftöpfchen ohne Erde ausgesät und aufgezogen. Das geschlossene Gebäude soll die Pflanzen nicht nur vor schlechtem Wetter, sondern auch vor Schädlingen schützen. Besucher müssen deswegen Überkleider anziehen. Wärme, Licht und Wasser sind genau geregelt. LED-Lampen ersetzen das Tageslicht. Die Nährlösung wird rezykliert, so dass nur so viel Frischwasser gebraucht wird, wie die Pflanzen aufnehmen. [IMG 3]

Schon bald auch Gemüse?

Die Firma Yasay wurde 2020 gegründet. Das Kapital des Start-ups von 10 Millionen wurde mittels Crowdfunding gesammelt. Heute beschäftigt das Unternehmen 20 Mitarbeitende. «Wir stehen noch am Anfang», sagt Mark Zahran, CEO und Co-Founder. Er sieht die Zukunft von Vertical Farming vor allem für den Anbau von Gemüse in Städten hochindustrialisierter Länder. 

Zurzeit produziert Yasay nur Kräuter, da sich diese leicht in Wasser- oder Hydrokultur anbauen lassen. Ziel ist es aber, angepasste Anbauformen für verschiedene Gemüsearten zu entwickeln. Agroscope und die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) sowie die Fenaco begleiten das Projekt beratend.

Unabhängigkeit von Wetter und Klima ist ein Vorteil

Beim Konsumenten sei das Hauptkriterium der Geschmack, führt Christoph Carlen aus.

«Der Geschmack wird von der Pflanzensorte und dem Erntezeitpunkt beeinflusst, aber nicht davon, ob die Pflanzen im Boden oder in Hydroponie wachsen.»

Christoph Carlen, Leiter des strategischen Forschungsbereichs Produktionssysteme Pflanzen bei Agroscope

Üblich analytische Methoden zeigten keinen Unterschied zwischen den Inhaltsstoffen der Pflanzen.

Hydroponik ist eine Art Gartenbau und eine Unterart der Hydrokultur, bei der Pflanzen, normalerweise Nutzpflanzen oder Heilpflanzen, ohne Erde unter Verwendung von mineralischen Nährlösungen auf Wasserbasis angebaut werden.

Ranka Junge, Professorin an der ZHAW, sieht mit der Hydroponie eine Möglichkeit, Nahrungskreisläufe zu schliessen. So liessen sich die Exkremente von Fischen in Aquakultur zu Nährstoffen für das Gemüse rezyklieren. Für Daniel Schwab von der Fenaco bietet die Hydroponie den Landwirten die Chance, unabhängiger vom Wetter und Klimawandel zu werden. Unwetterbedingte Ernteausfälle lassen sich vermeiden. Allerdings dürfen diese Anlagen bis heute nicht in der Landwirtschaftszone gebaut werden.

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«Wir müssen die Lebensmittelproduktion neu überdenken», sagt Geschäftsführer Mark Zahran. Vertikal Farming sei ressourcen- und umweltschonend, wetterunabhängig und planbar. Nicht zuletzt verbessere sie die Arbeitsbedingungen der Gemüsebauern. Allerdings verlangt sie hohe Investitionen in moderne Technik. Die Anlagen müssen gross sein, um sich zu rentieren.

Zwei intensive Systeme

Elisabeth Bürgi Bonanomi rief dazu auf, verlässliche Handelsverträge als Teil der Ernährungssicherheit zu betrachten. Brennpunkt Nahrung Zielkonflikte sollte man lösen, nicht ausschlachten Saturday, 26. November 2022 Vergleicht man zusammenfassend den Anbau der beiden beschriebenen Betriebe miteinander, zeigt sich, dass beide intensiv wirtschaften. Während im biologisch wirtschaftenden Betrieb der Boden und das natürliche Gleichgewicht der Pflanze mit der Umgebung ausschlaggebend sind, setzt Vertical Farming auf eine weitgehend künstliche Umgebung, in der alles steuerbar ist. Anstelle der Natur tritt immer mehr die Technik in den Vordergrund. Für Mark Zahran haftet dem bodengebundenen Gemüsebau ein Hauch von Romantik an, für Samuel Müller bildet der Boden Teil der Agrikultur. Indem Müller das natürliche Zusammenspiel der Pflanze mit der Umgebung kennt und nützt, will er die Natur für sich arbeiten lassen.

Risiken gibt es in beiden Systemen: Während die biologische Landwirtschaft stark von der Natur abhängig ist, stellt beim Vertical Farming das Versagen der Technik und das Eindringen eines Schädlings Risikofaktoren dar.