Die Schweiz war einst blauer. Insbesondere ab Mitte Juni, wenn überall im Mittelland und auf den nahen Hügelzonen der Lein, damals auch Flachs genannt, in voller Blüte stand. Deshalb sagt man bis heute: Wir machen eine Fahrt ins Blaue.

Doch nach und nach sind die wunderschönen Felder, die aussehen als wäre ein Stück Himmel auf die Erde gefallen, aus unserem Landschaftsbild verschwunden. Immerhin ist der Lein in unserem Wortschatz erhalten geblieben, so sprechen wir bis heute von Leintüchern auch wenn sie aus einem anderen Material sind.

Auf dem Muriboden-Hof von Anna und Christian Böhlen im bernischen Riggisberg erlebt der Lein ein Comeback. Angefangen hat alles, als Anna im Rahmen ihres Nebenerwerbskurses auf der Bio-Schule Schwand ein herrlich blau blühendes Feld entdeckte. «Ich wusste auf den ersten Blick: Das möchte ich auch», sagt die junge Frau. Doch als sie vor zwei Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Christian den elterlichen Hof übernommen hat, wussten die beiden kaum etwas über Lein.

Einen ersten kleinen Streifen von 20 Aren hat Anna bereits vor fünf Jahren gemeinsam mit ihrem Vater angesät. «Der Lein wuchs gar nicht schlecht, doch war der Unkrautdruck enorm hoch. Das hat mich sehr gestört und ich habe sogar angefangen das Feld von Hand zu jäten.» Pestizide einzusetzen, kommt für
sie nicht in Frage. Sie und Christian wollen mit der Natur arbeiten, nicht gegen sie.

Den eigenen Weg finden

Anna ist auf dem Muriboden-Hof aufgewachsen, entschied sich aber nach der Schule für eine Lehre im kaufmännischen Bereich. Zehn Jahre lang arbeitete die heute 31-Jährige in diesem Sektor sowie als Erwachsenenbildnerin. Doch dann hängte sie ihr ganzes bisheriges Leben in der Schweiz an den Nagel und zog nach London. Dort verkaufte sie ein halbes Jahr lang für den Käsehersteller und -veredler Jumi Käse. «Damit war meine Begeisterung für gute, regionale und hochwertige Lebensmittel endgültig erwacht.»

Zurück in der Schweiz spielte sie erstmals mit dem Gedanken, den elterlichen Hof zu übernehmen. Die Eltern hörten 2013 mit der Bewirtschaftung des Hofes auf und verkauften die Milchkühe. Und Anna war froh, weg vom Lärm der Grossstadt zu sein und fühlte sich auf dem Muriboden-Hof sofort wieder
zu Hause. So wurde gemeinsam entschieden, dass Anna den Hof im Jahr 2017 übernimmt.

In den Jahren dazwischen hatten Anna ihren Partner Christian (33) geheiratet. Gemeinsam haben die beiden dabei entschieden, dass Christian Annas Familienname Böhlen annimmt. «Der Muriboden-Hof ist mit meinem Familiennamen gekoppelt. Deshalb haben wir uns nach langen Diskussionen dafür entschieden», sagt Anna Böhlen.

Sie weiss, dass dies auch heute noch alles andere als selbstverständlich ist. «Ich bin sehr stolz, einen Mann zu haben, der zu diesem Schritt bereit war.». Auch Christian hatte keine landwirtschaftliche Ausbildung, sondern eine Lehre als Automatiker. Anders als Anna ist er nicht auf einem Bauernbetrieb gross geworden. Trotzdem war er von der Idee, den Muriboden-Hof zu übernehmen sofort angetan und begann sogleich damit, die Ausbildung zum Landwirt nachzuholen.

Erfahrungen sammeln

Anna absolvierte ihrerseits den Nebenerwerbskurs für Landwirtschaft auf dem Schwand und sammelte auf verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben fleissig Praxiserfahrung.

Heute arbeiten die beiden vorwiegend auf dem Muriboden-Hof. So können sie sich beide um Söhnchen Nicola (17 Monate) kümmern. Noch wirft der Hof zu wenig ab, dass die beiden davon leben könnten. Daher ist Anna daneben mit einem 30-Prozent-Pensum bei der Kirchgemeinde im nahen Zimmerwald angestellt. Christian arbeitet im Winter immer wieder als Aufhilfe für das Gurnigel Skigebiet.

Da Annas Eltern den Hof bereits aufgegeben hatten, war es für Anna und Christian einfacher, ihren eigenen Weg zu finden. Klar war, dass sie nicht mit Milchwirtschaft weitermachen möchten. Inzwischen lebt eine kleine Mutterkuh-Herde Rhätisches Grauvieh sowie einige Freiland-Wollschweine auf dem Betrieb. Das Fleisch wird direkt ab Hof verkauft. Zudem setzt das Paar auf Leinsamen, Lupinen und Mohn.

Kaffee aus Süsslupine

Böhlens mähen ihr ein Hektar grosses Leinfeld wie Gras und lassen die Halme anschliessend an der Sonne trocknen. Dann kommt ein regionales Mähdresch-Unternehmen vorbei, um den Lein zu dreschen. Der Samen verfügt über einen sehr hohen Anteil an Omega-3-Fettsäuren, er soll positiv auf unsere Körperzellen wirken und damit vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen. Auch eine krebsvorbeugende Wirkung wird vermutet. Die ganzen Samen können gut im Wasser eingelegt und einem Brot- oder Knäckebrot-Teig zugegeben werden. Oder sie werden über ein Müesli gestreut.

Das Leinöl wird am besten für die kalte Küche verwendet, da seine hochwertigen Fettsäuren keine hohen Temperaturen vertragen. Das Öl ist im Kühlschrank etwa drei bis vier Monate haltbar. Es passt zu Salaten und ist eine der Hauptzutaten der «Budwig-Creme» aus Leinöl und Quark.

Gleich neben dem Leinfeld befindet sich ein Feld mit Süsslupine von einer Hektare Grösse sowie ein halb so grosses Mohnfeld. Wie Leinsamen gelten diese beiden Gewächse als «Superfood». Ein Begriff, der fast schon inflationär verwendet wird.

Geröstete Lupinensamen

Auch Anna verwendet ihn bei der Vermarktung ihrer Produkte, doch stets mit dem Anspruch an Regionalität. «Ich verstehe nicht, warum man Chias Samen importiert, wenn Leinsamen dasselbe können. Oder warum Tofu aus Soja gewonnen wird, für den in Brasilien Regenwald abgeholzt wird, wenn wir hier aus der Lupine ein gleich wertvolles Produkt herstellen können.»

So können aus der Hülsenfrucht Lupine Tofu oder Milchersatz gewonnen werden. Dies haben Anna und Christian bisher noch nicht ausprobiert, dafür aber das Rösten der Lupinensamen, um daraus einen bekömmlichen koffeinfreien Kaffee zu gewinnen. «Wir tüfteln gerade am idealen Mischverhältnis von Kaffeepulver und Wasser herum.»

Auch Mehl könne aus der Lupine hergestellt werden. Doch Mühlen zu finden, die solch kleine Mengen mahlen und in Kauf nehmen, dass die Lupinensamen die Mahlwerke verkleben, sei schwierig. «Sowieso ist das Finden der richtigen Partner nicht ganz einfach.» Dies gilt bei Böhlens für den Weiterverkauf, vor allem aber für die Weiterverarbeitung. «Ich bin aber sehr positiv überrascht, dass gleich mehrere Dorf-
läden unsere Produkte in ihr Sortiment aufgenommen haben.»

Zu diesen Produkten gehören auch Mohnsamen. Dieses Jahr ist die erste Aussaat erfroren. Deshalb musste der Mohn Ende Mai nochmals neu angesät werden. «Mohn ist eine sehr zarte und sensible Pflanze. Doch bei der Weiterverarbeitung zeigen sich die Mohnkapseln als äusserst zäh.» Jede Kapsel ergibt etwa einen Esslöffel Samen. Gerne würden Böhlens künftig auch aus den Mohnsamen Öl pressen, doch letztes Jahr fiel die Ernte dazu zu klein aus. Doch vielleicht klappt es ja dieses Jahr.


Weitere Informationen:
www.muribodenhof.ch

 

Schweizer Superfood


Lein
Lein oder Flachs ist seit Alters her eine bedeutende Nutzpflanze. Die geernteten Leinsamen werden in der Küche entweder direkt verwendet oder zu Öl verarbeitet. Auch in der Heilkunde spielt Lein eine wichtige Rolle. Zum einen innerlich im Zusammenhang mit Husten oder Magen- und Darmproblemen. Aber auch äusserlich als Basis für Wickel und Kompressen. Die Fasern dienen bis heute zur Herstellung von Naturtextilien und Verbundstoffen.

Süsslupine
Lupinen haben eine lange Anbautradition in Europa, waren jedoch lange Zeit fast ganz aus dem Landschaftsbild verschwunden. Botanisch gesehen gehört die Lupine zu den Schmetterlingsblütlern, einer Familie innerhalb der Hülsenfrüchte. Lupinen können zu Mehl vermahlen werden, dienen geröstet als gesunde Kaffee-Alternative, können zu Milchersatz oder Tofu weiterverarbeitet werden. Geröstet und gesalzen ist die Süsslupine ein toller Apéro-Snack.

Mohn
Mohn ist eine der ältesten Kulturpflanzen überhaupt. Erste Funde von essbaren Mohnsamen und -kapseln stammen aus der Jungsteinzeit. Mohnsamen können zum Backen von Broten verwendet werden. Gerne werden sie auch als kalt gepresstes Öl verwendet.

Weitere Beispiele für Schweizer Superfoods:
Spinat, Brokkoli, Kürbiskerne, Heidelbeeren, Randen, Rapsöl, Feder- oder Rosenkohl.