Abo Ackern wie zu Urgrossvaters Zeiten: Der richtige Umgang mit Gespann und Pflug will gelernt sein. Gespanne Pferde am Pflug – die Königsdisziplin Monday, 30. September 2024 «Sie trugen oder zogen Lasten und sie trieben Maschinen an», sagt Hans-Ulrich Schiedt. «Pferde, Esel, Maultiere, Rinder und Hunde haben nicht nur in der Landwirtschaft das Transportaufkommen bewältigt.» Schiedt und das Team des Archivs für Agrargeschichte haben die Rolle der Arbeitstiere in einem mehrjährigen Projekt in Zusammenarbeit mit der Stiftung für Verkehrsgeschichte Via Storia und dem Historischen Institut der Universität Bern erforscht. Dabei konzentrierten sie ihre Forschungen auf den Zeitraum von Mitte des 18. bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Die BauernZeitung hat Schiedt, der jüngst auch ein Buch zum Thema publiziert hat, dazu befragt.

Welche Bedeutung hatten Arbeitstiere in der Landwirtschaft der vergangenen Jahrhunderte?

Die Haltung der Arbeitstiere war zunächst und vor allem landwirtschaftliche Praxis, mit der Ausnahme eines kleineren Teils der Zughunde. Über die Zucht, Haltung, Fütterung und Nutzung der Arbeitstiere reichte die Landwirtschaft bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhundert weit in Industrie, Gewerbe und Distribution hinein. So waren Stadt und Landschaft in vielfältiger Weise miteinander verbunden. Aus energie- und verkehrshistorischer Perspektive ist es zudem wesentlich – allerdings heute aber kaum noch im Bewusstsein der Menschen – dass die Landwirtschaft nicht nur Nahrung und weitere Rohstoffe wie Häute oder Wolle produzierte, sondern mit den Arbeitstieren auch vielseitig nutzbare Bewegungsenergie. Die Landwirtschaft stellte dabei selbst eines der grossen gesellschaftlichen Transportaufkommen dar. Das bezog sich auf die Viehhaltung, den Ackerbau, die Forstarbeiten oder die Versorgung der Märkte. Aber auch ausserhalb der Landwirtschaft wurden die meisten Transporte im bäuerlichen Nebengewerbe erledigt. Daraus erklären sich dessen charakteristische saisonale Rhythmen, die aus der Naturgebundenheit und der Verflechtung von Produktion und Reproduktion in der Landwirtschaft folgten.

Was waren die wichtigsten historischen Entwicklungen?

Die Arbeit der Tiere war Teil grundlegender Veränderungsprozesse. Arbeitstiere spielten eine wichtige Rolle in der sogenannten ersten und in der zweiten Agrarrevolution. Der Begriff der ersten Agrarrevolution, die von der zweiten Hälfte des 18. bis weit ins 19. Jahrhundert andauerte, bezieht sich einerseits auf Prozesse der Befreiung aus alten Zwängen der feudalen Wirtschaftsordnung und anderseits auf qualitative Veränderungen sowie auf Intensivierung und Vermehrung der agrarischen Arbeit. Das Vieh rückte dabei näher zu Haus und Hof. Damit erhöhten sich sowohl die Möglichkeiten der Abrichtung der Rinder als auch die Notwendigkeit, diese zur Arbeit heranzuziehen. Eine Folge der Stallhaltung war schliesslich auch die Verbesserung des Futterbaus und damit der Ernährung des Viehs als eine weitere Voraussetzung der Tierarbeit.

Was änderte sich mit der zweiten Agrarrevolution?

Die zweite Agrarrevolution brachte im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert eine weitere Intensivierung der Viehwirtschaft und des Ackerbaus. Sie war unter anderem geprägt durch eine fortschreitende Mechanisierung der landwirtschaftlichen Arbeiten. In diesen Zusammenhängen wurden nun nicht nur zahlreichere, sondern auch grössere und stärkere Arbeitstiere gezüchtet respektive gehalten.

Und dann kamen nach und nach die motorisierten Geräte und Fahrzeuge auf.

Arbeitstiere waren bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts keine vormodernen Relikte, wie es manche Historikerinnen und Historiker, gebannt von Eisenbahn, Automobil und Luftfahrt, oft darstellen. Sie trugen in den Prozessen des agrarischen Wandels, aber auch bezüglich der Entwicklung der allgemeinen Austauschbeziehungen, der Industrialisierung und Urbanisierung selbst zur Modernisierung bei. Die Eisenbahnen und die Automobile und Traktoren haben die Arbeitstiere nicht ersetzt, sondern sich in einem vielfältigen Neben- und Miteinander mit den Arbeitstieren durchgesetzt. Nie waren die Arbeitstiere zahlreicher als gegen die Mitte des 20. Jahrhunderts – fast hundert Jahre nach dem Eisenbahnbau und mehr als fünfzig Jahre nachdem die ersten Automobile und erste motorisierte Landwirtschaftsmaschinen aufgekommen waren.

Wie hat sich die Beziehung zwischen Mensch und Arbeitstier verändert?

Die gemeinsame Arbeit war eine wichtige Ebene der Beziehung zwischen Menschen und Tieren. In der Zusammenarbeit kam alles zusammen: die tierischen und menschlichen Arbeitskräfte und deren Leistungs- und Leidensfähigkeit, das Verständnis füreinander, die benutzten Geräte und Gefährte, die in den topografischen und betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen möglichen Tagwerke und die gesellschaftliche Geltung der Zusammenarbeit von Menschen und Tieren. Es ist eine verbreitete, in einem unterstellten platten Natur-Kultur-Gegensatz gründende Annahme, dass die Modernisierung die von ihr erfassten Verhältnisse tendenziell von der Natur entfernte. Das war bezüglich der Intensivierung der Viehhaltung im betrachteten Zeitraum und bezogen auf die Arbeitstiere nicht der Fall, im Gegenteil. Mit dem Zusammenrücken von Mensch und Tier wurde der Zugriff auf die Tiere direkter und näher. Die Stallhaltung erhöhte die soziale Intimität zwischen den Menschen und ihren Tieren, was allerdings nicht als Idyll gedeutet und romantisch verklärt werden sollte.

Welche Entwicklungen führten dazu, dass bei uns die Arbeitstiere verschwanden?

In der Landwirtschaft war das Ende der Arbeitstiere – sowohl als Ursache als auch als Folge – vielschichtig mit dem Rückgang der kleineren Betriebe und mit dem Rückgang der reinen Familienwirtschaften verbunden. Das Ende kam dabei nicht in gleicher Weise für die verschiedenen Arbeitstiere, die Hunde, die Rinder, die Esel, die Maultiere und die Pferde. Was zwischen ungefähr der Mitte des 19. und dem dritten Viertel des 20. Jahrhunderts in je unterschiedlichen Zusammenhängen unterschiedlich schnell endete, war die Alternativlosigkeit der Arbeitstiere als Ressource für Bewegungsenergie.

Wo setzte man denn länger auf diese tierische Bewegungsenergie?

Das Ende der Arbeitstiere kam in den Städten früher als in der Landwirtschaft, etwa ab der Wende zum 20. Jahrhundert. Auch für die Strassentransporte kam es ab den 1920er-Jahren früher als in der Landwirtschaft und im Militär. In letzteren beiden Zusammenhängen erreichten die Anzahl der Arbeitstiere und die Intensität der Arbeitstiernutzung in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkriegs ihren Höhepunkt. Erst in der Zeit der Massenmotorisierung kam es zum entscheidenden Rückgang der Arbeitstierbestände. Diese setzte sich in der Schweiz sowohl im Strassenverkehr als auch in der Landwirtschaft ungefähr gleichzeitig in den 1950er-und 1960er-Jahren durch.

Also aus historischer Sicht das Ende einer langen Ära?

Zweifellos endete mit den Arbeitstieren ein Zeitalter. Das bezieht sich nicht nur auf die schwindende Präsenz arbeitender Tiere auf Strassen und auf Wiesen, Feldern und in Wäldern. Die wohl einschneidendste Konsequenz hatte dies für die mit den Tieren arbeitenden Menschen und für die Tiere selbst, die mit der Arbeit eine wichtige Ebene der Beziehung zu ihren Halterinnen und Haltern verloren und fortan vermehrt auf die anderen Haltungszwecke hin optimiert und reduziert gehalten werden konnten.

Hans-Ulrich Schiedt: «Auf den Spuren der Arbeitstiere. Eine gemeinsame Geschichte vom ausgehenden 18. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts.» Chronos Verlag, Zürich, 2024.