Der Start der Alpsaison 2022 ist in den letzten Tagen vielerorts erfolgt oder steht unmittelbar bevor. Damit steigt die ohnehin schon grosse Sorge vor Wolfsangriffen auf Nutztiere. In Nesslau im Kanton St. Gallen fand am 31. Mai 2022 eine Informationsveranstaltung zum Wolf im Toggenburg statt. Das Interesse war gross, rund 200 Personen folgten der Einladung des Bauernvereins Toggenburg.
Zwei Wölfe im Toggenburg
Urs Büchler, Wildhüter im Toggenburg, gab einen Überblick über die aktuelle Wolfsituation, die er als sehr dynamisch beschrieb. Im Verlaufe seines Referates kam er auf das Rissverhalten zu sprechen. Dass es zu vielen Rissen in einer Herde kommen könne, sei zwar tragisch, jedoch ein normaler Reflex des Wolfes. «Das können wir ja auch bei den Menschen beobachten. Wenn es irgendwo etwas gratis gibt, stürzen sich die Leute darauf.» Im Normalfall kommt ein Wolf mit einem Fleischbedarf von 3 bis 6 kg pro Tag aus.
Derzeit sind in der Schweiz 153 Wölfe genetisch nachgewiesen. Büchler geht davon aus, dass es weit mehr sind. Mittlerweile leben elf Rudel in der Schweiz plus fünf weitere Rudel im Grenzgebiet zu Italien. Im Toggenburg wurden bisher zwei Wölfe nachgewiesen. In der Region hatte man im Alpsommer 2021 zahlreiche tote Nutztiere zu beklagen. Es gab Alpen, die sogar frühzeitig entladen wurden. Spätestens seit letztem Jahr ist klar, dass es auch hier nicht mehr ohne Herdenschutz geht.
Hoher Stellenwert des Zäunens
Auf den Herdenschutz im Kanton St. Gallen und wie man Schäden vermeiden kann, ging Markus Hobi, Leiter Landwirtschaftliches Zentrum St. Gallen (LZSG), ein. Die kantonale Herdenschutzberatung besteht aus einem dreiköpfigen Team, welches die Bauern berät und nach einem Vorfall Hilfe leistet.
«Unser Anspruch ist, dass wir am gleichen Tag wie der Übergriff geschah, vor Ort sind.»
Markus Hobi, Leiter LZSG Salez, zur Herdenschutzberatung
Das Team hilft, Zäune und Vergrämungsmassnahmen einzurichten. «Wir sind heute leider so weit, dass eine Schafalpung ohne Herdenschutz sehr schwierig ist», sagte Hobi. Das erfordert in erster Linie sicheres Zäunen. Empfohlen werden über einen Meter hohe Zäune und allenfalls das zusätzliche Anbringen eines Stoppdrahtes. Zäune müssen genügend elektrische Spannung haben, geerdet sein und regelmässig kontrolliert werden.
Zäunen ist jedoch nicht überall möglich. Herausforderungen sind unwegsames Gelände, die Witterung oder Wanderwege. «Zäunen ist aufwendig und braucht Zeit.» Er sei froh, dass es auf den Alpsommer 2022 für Sofortmassnahmen des Herdenschutzes zusätzliche finanzielle Mittel gibt. Gesuche müssen bei den kantonalen Fachstellen eingereicht werden. Gelder gibt es zum Beispiel für die Entschädigung von Freiwilligen, welche die Älpler(innen) unterstützen.
Egger für Wolfsregulierung
Unter den weiteren Referenten waren Mathias Rüesch, der Geschäftsführer des St. Galler Bauernverbands, und Mike Egger, St. Galler SVP-Nationalrat. Ihm ist es zu verdanken, dass das Parlament dem Nachtragskredit von 5,7 Millionen Franken für Herdenschutz-Notmassnahmen doch noch zustimmen konnte. Er hatte im Nationalrat einen Minderheitsantrag eingereicht. Egger bekräftigte die Forderung nach einer Wolfsregulierung.
«Wir regulieren alle Wildtiere. Warum sollen wir nicht auch den Wolf regulieren dürfen?»
Mike Egger, SVP-Nationalrat St. Gallen
Unbefriedigende Situation für Tierhalter(innen)
Für Mathias Rüesch ist eine Eindämmung der unkontrollierten Vermehrung und eine Reduktion des Wolfsbestandes auf ein «halbwegs akzeptables Mass» dringend erforderlich. Ausserdem müsse der Wolf wieder lernen, dass er in Siedlungen nichts zu suchen habe und Nutztiere tabu seien.
«Der Wolf muss merken: Wenn ich mich in der Nähe von Menschen und Nutztieren aufhalte, bin ich tot.»
Mathias Rüesch, Geschäftsführer St. Galler Bauernverband
Für den SGBV sind folgende Ziele zentral:
- Fortbestand der Sömmerung und Weidehaltung
- Transparente Kommunikation über die Wolfspräsenz
- Entschädigung für sämtliche Tiere, auch für abgestürzte, verschollene etc.
- Revision des Jagdgesetzes und eine präventive Regulierung des Wolfes
Die aktuelle Situation zum Start der Alpsaison 2022 ist für Rüesch unbefriedigend. «Die Jagdgesetzrevision ist noch in der Schwebe, bei gleichzeitig explodierenden Wolfszahlen.» Auch er hat schon ein Schaf verloren, das von einem Bären gerissen wurde. «Ich schicke meine Schafe mit einem mulmigen Gefühl auf die Alp. Eine gewisse Unsicherheit bleibt, trotz Herdenschutz.»
Hoher Leidensdruck in Graubünden
Diese Unsicherheit war auch in der anschliessenden Diskussion mit dem Publikum herauszuhören. Ein Bauer meldete sich mit den Worten, er sehe das Engagement der Politik und des SGBV. Von der St. Galler Regierung höre man gar nichts, während die Regierungen in den Nachbarkantonen Glarus und Graubünden die Betroffenen aktiv unterstützten. «Will die Regierung abwarten, bis die Situation so schlimm wie in Graubünden ist?»
Markus Hobi entgegnete, er könne nicht für die Regierung sprechen. «Ich kann aber sagen, dass wir einen guten Herdenschutz aufgebaut haben.» Er sei froh, dass man im Kanton St. Gallen noch nicht einen so hohen Wolfsdruck habe wie in Graubünden. Urs Büchler wies darauf hin, dass sich der Kanton an die Weisungen des Bundes halten müsse. Die Situation in St. Gallen sei nicht vergleichbar mit Graubünden, hob er hervor. Büchler sprach von 70 bis 80 Wölfen und einem «Leidensdruck ohne Ende».
Auch wenn an diesem Abend verschiedene Betrachtungsweisen zur Wolfsproblematik zum Ausdruck kamen, einen gemeinsamen Nenner gab es doch: Alle wünschen sich, dass Regulierungen schneller möglich sind und dass die Älplerinnen und Älpler nicht noch einmal so einen Alpsommer wie 2021 erleben müssen.


