Wie geht es mit dem über 200 Jahre alten Ambeiler-Hof weiter? Das fragte sich Matthias Widmer aus Heimiswil BE vor sieben Jahren, als die Pensionierung seines Vaters bevorstand. Der hatte in den letzten 40 Jahren von der Milchviehhaltung gelebt. Doch für Matthias Widmer war klar: «Ich will nicht melken.» Der klassische Futterbaubetrieb mit 20 Hektaren und bis dato 20 Milchkühen erfand sich noch einmal ganz neu.

F(r)isch ab Hof

«Fisch ist die neue Milch bei uns», erklärt Matthias Widmer. Im ehemaligen Kuhstall leben heute Zander in einer Kreislaufanlage. Die Rinder sind allerdings nicht ganz vom Hof verschwunden, der gelernte Landwirt hält in seinem Laufstall noch 17 Mutterkühe. Vermarktet wird sowohl der Fisch als auch das Fleisch direkt ab Hof. Unterstützung bei der Arbeit erhält Matthias Widmer von seinem Vater, trotz Pensionierung.

Der Stall ähnelt mittlerweile eher eine Industriehalle. Die dortige Kreislaufanlage für den Zander umfasst insgesamt zwölf Becken und bietet Platz für etwa zehntausend Fische unterschiedlicher Grösse. Die 110 m³ Wasser der Anlage werden in einem Kreislauf gereinigt und wiederverwendet. Im Bio-Filter findet mithilfe von Mikroorganismen der biologische Abbau von Ammonium zu Nitrat und dann zu Nitrit statt. Das führe zu einem Frischwasserbedarf von nur 5 Prozent pro Tag. Die Exkremente der Fische sowie das Wasser aus dem Überlauf sammelt der Landwirt in einem Schüttloch und bringt sie als Dünger auf seinen Feldern aus.

So funktioniert die Kreislaufanlage

In der Kreislaufanlage von Matthias Widmer fliesst das dreckige Wasser von den Fischbecken zur mechanischen Reinigung in den Vorfluter und den Trommelfilter. Diese entfernen alle Schwebstoffe. Anschliessend sorgen Mikroorganismen im Biofilter für den Abbau der im Wasser gelösten Stoffe. Die darauffolgende UV-Bestrahlung dient der Desinfizierung. Danach fliesst das gereinigte Wasser zurück in die Becken, wobei ein Teil mit Sauerstoff angereichert wird, um die optimale Sauerstoffsättigung zu erhalten. Das zugeleitete Frischwasser wird angewärmt, damit die Temperatur in den Becken nicht absinkt. Das sei für den temperaturempfindlichen Zander sehr wichtig, so Matthias Widmer. 
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Hochwertiger Fisch

Matthias Widmer entschied sich für den Zander, weil er als Dämmerungsjäger überwiegend am Boden sitzt und wenig künstliches Licht benötigt. Deshalb fühle er sich in den Kreislaufanlagen besonders wohl. Weiter überzeugt der Warmwasserfisch, der sich bei Wassertemperaturen von 20 bis 22 Grad wohlfühlt, mit seiner Qualität. «Der Zander ist ein edler Fisch, für den man einen guten Preis bekommt.» Für einen Fisch mit Kopf und Flosse zahlen Matthias Widmers Kunden 35 Franken.

Kollegen helfen beim Schlachten

Die Jungfische bezieht er drei- bis viermal pro Jahr von einem Fischzüchter aus dem nahe gelegenen Lyss. Gerade einmal 50 g wiegen sie bei ihrer Ankunft in Heimiswil. Nach etwa zehn Monaten bringen sie ein Kilo auf die Waage und sind schlachtreif. Ziel sei, dass jede Woche geschlachtet werde. Momentan nutzt Matthias Widmer die Schlachträume eines befreundeten Forellenzüchters, bis die eigenen Räume fertiggestellt sind. «Für das Schlachten brauchen wir Hilfe, da sind wir immer sieben Leute, sonst haben wir keine Chance», berichtet Widmer. Unterstützen würden ihn Kollegen aus dem Fischverein des Dorfes namens «Emmental Fisch», in dem er seit letztem Jahr Mitglied ist. «Ich finde das eine tolle Möglichkeit für uns Bauern, zusammenzuarbeiten.»

Ein Name mit Geschichte

Der Name Ambeiler geht auf das Amt eines Vorfahrens der Familie Widmer zurück. Der Ambeiler prüfte die korrekte Höhe des Flüssigkeitsspiegels in den Weinfässern. Dafür nutzte er einen Stab, damals Beile genannt, in den vorher eine Kerbe gehauen wurde. Bis heute ist der «alte Ambeiler» nicht nur Namensgeber des über 200 Jahre alten Hofes.  [IMG 3]

«Zander mögen es ruhig»

Ein klassischer Arbeitstag bei Matthias Widmer beginnt mit einem Besuch bei den Fischen. Diesen versuche er so kurz wie möglich zu halten. «Zander mögen es ruhig, die sollte man nicht zu lange stören.» Er kontrolliert täglich die Fischbecken und Futterautomaten. Dafür leuchtet er mit einer Taschenlampe in jedes Becken und sucht nach toten Tieren sowie Verhaltensauffälligkeiten. Anschliessend prüft er die Wasserwerte.

Viel administrativer Aufwand durch Direktvermarktung 

Doch danach hört die Arbeit nicht auf. Bestellungen wollen angenommen, vorbereitet und verpackt werden. «Wir haben viele Kunden, die auch nur zwei Filets bestellen», erzählt Widmer. Das bereite viel administrativen Aufwand. Klar könne er auch auf die Direktvermarktung verzichten und an einen Grossverteiler vermarkten. Damit es sich dann lohne, seien aber deutlich mehr Fische und eine grössere Anlage nötig. Die anfallenden Investitionskosten seien für einen normalen Familienbetrieb wie seinen kaum zu stemmen. Ausserdem schätzt er die Unabhängigkeit durch die Direktvermarktung. Dass einmal Fische in seinem Stall schwimmen, hätte der 35-Jährige nie erwartet. Eher zufällig sei er durch einen Zeitungsartikel auf die Fischproduktion aufmerksam geworden. Dann wurde schnell klar: «Unser Betrieb bringt vieles mit, was diesen Betriebszweig erfolgreich machen könnte.»

«Ich bin nicht der klassische Fischer.»

Matthias Widmer, Landwirt und Zanderproduzent aus Heimiswil 

Eigene Ressourcen nutzen

Damit meint Matthias Widmer zum einen, dass er über eine eigene Quelle sowie Gebäude, die umgenutzt werden können, verfügt, beides Voraussetzungen für den Bau einer Anlage im Kanton Bern. Zum anderen kann der Betrieb mit der Photovoltaikanlage auf dem Mutterkuhstall seinen eigenen Strom und mit der Holzhackschnitzelheizung und dem Holz aus dem Wald seine eigene Wärme produzieren. Das senke deutlich die Kosten.

Futter macht Schwierigkeiten

«Etwas Nachhaltigeres im Fischbereich gibt es in der Schweiz meiner Meinung nach nicht.» Einziger Knackpunkt sei das Futter, gibt Matthias Widmer zu. Da Zander Fischfresser sind, ist der Fischproduzent auf zugekauftes Futter angewiesen. Das schaffe eine grosse Abhängigkeit. «Im Moment ist die Hölle los, die Preise sind enorm gestiegen und die Lieferzeiten extrem lang.» Sein Futter bezieht er aus Qualitätsgründen aus Frankreich. Eine Zertifizierung stellt sicher, dass es keinen Beifang aus der Hochseefischerei enthält.

Eine mögliche Lösung für das Futterproblem wäre, wenn die Futtermittelhersteller aus den Schlachtabfällen wieder Futter herstellen könnten, so Widmer. Bisher werden seine Abfälleverbrannt. «Gerade beim Fisch, wo ungefähr 50 Prozent Schlachtabfälle sind, ist das eine grosse Ressourcenverschwendung», erklärt er.

Ein langer Weg

Von der Idee bis zum ersten verkauften Fisch dauerte es gut sechs Jahre. «Diese Zeit brauchte das Projekt, um zu reifen, sonst wären wir auf die Nase gefallen», meint Matthias Widmer. Auch das Einholen von Bewilligungen brauchte gut ein Jahr. Die Zeit nutzte der Landwirt vor allem, um sich über die Fische, die verschiedenen Anlagen sowie die Vermarktungsmöglichkeiten zu informieren. Dafür besuchte er den Fachkurs Aquakultur an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) von Thomas Janssens.

«Dass wir Thomas Janssens kennengelernt haben, war für uns ein grosses Glück», erzählt Matthias Widmer. Zunächst plante er, eine alte Anlage abzubauen und bei sich wieder aufzubauen. Davon riet Thomas Janssens stark ab. «Es ist schwer, irgendwo eine Anlage zu besichtigen und sie dann eins zu eins bei sich auf dem Betrieb nachzubauen, allein schon, weil die Gebäude immer anders aussehen», weiss Matthias Widmer heute.

Unabhängige Infos gesucht

Abo Forschung für Aquakultur Am Aquaforum sind die ersten Fische eingezogen Monday, 21. February 2022 Insbesondere die Unabhängigkeit der Experten(innen) der HAFL schätzt der Landwirt sehr. «Viele Anlagenbauer oder Futterproduzenten wollten mir nur ihre Produkte verkaufen, auch wenn sie gar nicht zu unserem Betrieb passten», erzählt er. Deswegen entschied sich Matthias Widmer letztlich, die Kreislaufanlage in Eigenregie zu bauen. Dafür bestellte er die Einzelteile und stützte sich auf Berechnungen von Janssens. «Das rate ich jedem, der in die Fischproduktion quereinsteigt – so wie ich.» Sonst sei es schwer zu verstehen, wie die Anlage funktioniere, und Probleme selbstständig zu lösen.

Investition mit Risiko

Trotz der Unterstützung der Experten(innen) bleibe es dennoch eine riskante Investition von etwa einer halben Million Franken. Da die Aquakultur bisher kaum in der Schweiz verbreitet ist, stützen sich viele Berechnungen nur auf Annahmen. «Es war am Anfang schwierig, Banken von dem Projekt zu überzeugen», berichtet Matthias Widmer. Deshalb arbeitete er zusätzlich zu seinen Kalkulationen ein Vermarktungskonzept in der Betriebsleiterschule aus.

Bei der Kundschaft kämen die Zanderprodukte gut an, auch wenn es am Anfang für einige etwas gewöhnungsbedürftig gewesen sei, erinnert sich Widmer. In Zukunft sollen der geräucherter Zander, die selbst gemachten Knusperli und ganze Fische auch per Post an Kunden schweizweit verschickt werden. Ein Knusperli-Mobil für Märkte in der Umgebung ist ebenfalls in Planung.

Betriebsspiegel

Name Matthias Widmer
Ort Heimiswil BE
Fläche 20 ha Ackerfläche, 11 ha Wald
Tierbestand 17 Mutterkühe, zirka 10 000 Zander