Hat der Wolf Nutztiere gerissen, bleibt den Tierhaltern nur das Hoffen auf eine angemessene Entschädigung. Dafür muss nachgewiesen werden, dass das Tier tatsächlich dem Wolf zum Opfer fiel. Sind zugleich Gänsegeier im Gebiet, wird es heikel: Innert kurzer Zeit lassen sie vom Kadaver nur noch blanke Knochen übrig. «Der Gänsegeier macht es für uns schwierig», sagt der Luzerner Wildhüter Daniel Schmid. Er betreut das Jagdbanngebiet Tannhorn an der Grenze zum Berner Oberland. Letztes Jahr seien dort manchmal zwanzig bis dreissig Vögel vor Ort gewesen. «Da sind schon nach wenigen Stunden nur noch blanke Knochen übrig, da ist jede Sehne weg», sagt er.

Kadaver sofort bedecken

Abo In den letzten Jahren sind Gruppen von 50 Gänsegeiern und mehr in der Schweiz keine Seltenheit mehr. Das sagt die Vogelwarte Ist der Gänsegeier Aasfresser oder Angreifer? Monday, 31. July 2023 Er empfiehlt deshalb, die Herden täglich zu kontrollieren, am besten am Morgen. Aufgefundene Kadaver sollten wenn möglich sofort zum Beispiel mit einem Papiersack abgedeckt werden, um sie vor Nutzung zu schützen, bis die Wildhut vor Ort ist. «Wenn die Nutzung zu weit fortgeschritten ist, lässt sich kein Befund mehr stellen, der vertretbar wäre». sagt Schmid. Sei der Gänsegeier am Aas gewesen, sehe man keine Spur mehr, die Aufschluss darüber geben könne, wie das Tier getötet worden sei.

«Grundsätzlich ist es wichtig, dass Älpler sofort die Wildhut kontaktieren, wenn sie einen Kadaver sehen», sagt Schmid. «Wir müssen möglichst schnell vor Ort sein.» Anhand von Spuren am Kadaver kann der Wildhüter dann bestimmen, ob ein Raubtier am Werk war. Der DNA-Analyse kommt dabei eine untergeordnete Rolle zu, wie Schmid erklärt: «Als Wildhüter will ich nicht unbedingt wissen, wer an dem toten Tier gefressen hat. Ich will wissen, ob es überhaupt getötet wurde oder einen natürlichen Tod starb, und wenn Ersteres der Fall ist, wer es getötet hat.»Für die Ausrichtung einer Entschädigung zähle der Entscheid vor Ort. «Wenn für uns klar ist, dass es sich um einen Wolfsriss handelt, spielt es keine Rolle mehr, ob man andere DNA findet», sagt Schmid. »Wenn wir sehen, dass es ein Wolfsriss war, die gefundene DNA aber von einem Fuchs ist, wird das Tier dennoch entschädigt.»

Ausnahme bei Mehrfachrissen

Ist der Kadaver vollständig genutzt, wird es schwierig, die Todesursache mit Sicherheit zu bestimmen. Im Kanton Luzern gibt es bei der Beurteilung aber eine gewisse Kulanz, wie Daniel Schmid erklärt. Dafür müssten aber unmittelbare Zusammenhänge zwischen Wolfspräsenz und Tierkadaver vorliegen. «Es muss nachgewiesen sein, dass der Wolf zur ‹Tatzeit› im Gebiet war, zum Beispiel mittels einer Fotofalle». so Schmid. «Sonst müsste jedes Tierli bezahlt werden», gibt er zu bedenken: «Ich habe schon viele Kadaver gesehen, die angeblich der Wolf gerissen haben soll, darunter auch Totgeburten auf Weiden, die eindeutig vom Fuchs angefressen worden waren.» Eine Ausnahme gilt auch, wennein Riss nur bei einem von mehreren gleichzeitig getöteten Tieren nachgewiesen wird. Dann werden alle entschädigt. Die ebenfalls stark vom Gänsegeier betroffenen Kantone Bern und St. Gallen folgen derselben Praxis.

In allen anderen Fällen fordern sie den Nachweis eines Wolfsrisses ein, auch wenn der Gänsegeier die Kadaver genutzt hat. «Ist dies nicht möglich, wird keine Entschädigung entrichtet», heisst es beim Berner Jagdinspektorat ebenso wie beim kantonale Amt für Natur, Jagd und Fischerei in St. Gallen. Als Nachweis gelten zumindest im Kanton Bern aber auch Trittsiegel, Kot oder Haare in der Nähe des Kadavers.