«Ein Messer braucht einen guten Griff und eine scharfe Klinge», sagte Plantahof-Direktor Peter Küchler am 20. November 2023 in Cazis an der Regionaltagung von Mutterkuh Graubünden. Mit dem Vergleich meinte er, dass es zur Verbesserung der Wolfssitua­tion sowohl einen wirksamen Herdenschutz braucht, wie auch die Möglichkeiten zur Regulation. 

Präventive Regulierung wird möglich

Die Herdenschutzmassnahmen – also der Griff – seien in den letzten Jahren mit allen Beteiligten gut ausgearbeitet worden. Ohne Möglichkeiten der Regulierung – der Klinge – seien diese jedoch wirkungslos, da sich der Wolf ungehindert ausbreiten kann. Umgekehrt wäre es verantwortungslos, das Grossraubtier ohne wirkungsvollen Herdenschutz zu regulieren. Bei der Regulierung ist man nun einen Schritt weitergekommen: Anfang Monat hat der Bund eine Anpassung der Jagdverordnung gutgeheissen. Damit dürfen ab 1. Dezember Wolfsrudel präventiv reguliert werden, um künftige Schäden zu verhüten.

Was den Herdenschutz angeht, gibt es keine anerkannten Massnahmen, welche für sich ­alleine überzeugen. Als solche gelten auf Kleinviehalpen der Einsatz von Zäunen und Herdenschutzhunden. Beides gestaltet sich aufwendig, wobei die Wirkung je nach Situation unterschiedlich gut ist. Bei den Herdenschutzhunden kommt ein Konfliktpotenzial im Kontakt mit der Bevölkerung, etwa mit Bikern und Wandern, dazu. «Die Behirtung mit Nachtpferchen wäre oft die einzig sinnvolle und zumutbare Möglichkeit, allerdings mit einem grossen finanziellen Aufwand», sagte Küchler. Sie werde jedoch derzeit vom Bund nicht als Herdenschutzmassnahme akzeptiert. Für Kleinviehalpen bietet der Plantahof die Ausarbeitung von einzelbetrieblichen Herdenschutzkonzepten an. Für Grossviehbetriebe dagegen liegen in der Jagdverordnung des Bundes keine anerkannten Massnahmen vor. 

Herdenschutz auch für Kälberalpen 

In der neuen Direktzahlungsverordnung sieht der Bund einen Zusatzbeitrag von 250 Franken pro Normalstoss und Jahr für den Herdenschutz während der Sömmerung vor. Sie betrifft nebst (Milch-)Schafen und Ziegen auch Rinder bis zu einem Alter von 365 Tagen. Interessierte könnten sich bis zum 31. Januar 2024 dafür anmelden. Küchler erwartet jedoch nicht viele Kälberalpen, welche die Beiträge einfordern werden. Dies, weil jeweils die gesamte Tierkategorie zu schützen ist und der Aufwand entsprechend gross ist.

Arno Puorger vom Kantonalen Amt für Jagd und Fischerei (AJF) gab einen Überblick zur aktuellen Wolfssituation in Graubünden: Innert der Kantonsgrenzen leben rund 130 Wölfe, das ist etwa ein Drittel des schweizweiten Bestandes. Derzeit werden auf Bündner Boden rund zwölf Rudel gezählt, dazu kommt ein Grenzrudel, das sich auch auf italienischem Gebiet aufhält. 2023 wurden in Graubünden 47 Welpen bestätigt.

Gründe für Reduktion der Risse

Im vergangenen Jahr kam es zu 517 bestätigten Nutztierrissen, im laufenden Jahr sind es bis jetzt 268. Dieser Unterschied verleite zur Interpretation einer Verbesserung der Wolfssituation, so Puorger. Dies werde jedoch relativiert, wenn man die Zahlen detailliert betrachtet: Zum einen gab es im Vorjahr 100 bestätigte Risse auf einer Alp, welche dieses Jahr nicht mehr bestossen wurde. 

Zudem gingen letztes Jahr 50 Risse auf Kosten des Wannaspitzrudels, dessen Leitrüde M103 im letzten Winter erlegt werden musste, was zur Auflösung des Rudels führte. Weiter wies Puorger auf eine Alp hin, die letztes Jahr mit 40 Rissen konfrontiert war und daraufhin ihre Herdenschutzmassnahmen ausbauen konnte. Bei den gerissenen Tieren kantonsweit handelt es sich zu 97,4 Prozent um Schafe, in vier Fällen waren insgesamt fünf Ziegen betroffen und in zwei Fällen Kälber. Auf Rinder­alpen kam es zudem zu Todesfällen, die nicht abschlies­send beurteilt werden konnten. 

Zahlen wenig aussagekräftig

Abo Grossraubtiere regulieren 12 bewilligte Abschüsse, 2 erlegte Wölfe – was macht die Wolfsjagd so schwierig? Wednesday, 1. November 2023 Was die Regulierung betrifft, wurden im aktuellen Jahr bereits 16 Abschüsse verfügt, 28 weitere wurden neu beantragt. «Eingegriffen wird im ersten Schritt vor allem in Rudeln, die bereits für viele Risse gesorgt haben», sagte Arno Puorger. Mit der erwähnten Anpassung des Jagdgesetzes durch den Bund werde der Handlungsspielraum erweitert.

Entscheidend seien nun die nächsten zwei Monate, während denen eine Regulation erlaubt ist. Der Effekt jedoch werde erst im nächsten Sommer sichtbar. «Dabei ist zu beachten, dass die Abschusszahlen allein wenig aussagekräftig sind», hielt Puorger fest. So kann ein einziger Schuss das Aus für ein ganzes Rudel bedeuten, wie es im letzten Winter beim Wannaspitzrudel der Fall war. Andererseits ist es auch möglich, dass sich ein Rudel vermehren kann, obwohl mehrere Jungtiere erlegt wurden.

Die Wolfswehr im Einsatz
Vor einem Jahr initiierte der Bündner Bauernverband (BBV) die Bildung von Wolfswehren. Diese bieten betroffenen Betrieben im Fall von grösseren Rissereignissen ihre Unterstützung an. Ein Engagement besteht beispielsweise im Wiederinstandsetzen von Zäunen, Vergrämen von Wölfen und im Schutz der ­Herde. Dazu kommen beispielsweise auch Wärmebildkameras zum Einsatz, die vom Amt für Jagd und Fischerei zur Verfügung gestellt werden. Eine Wolfswehr bietet aber auch psychologische Unterstützung an, etwa in Form von Gesprächen nach dem Ereignis. Im Laufe dieses Jahres haben sich insgesamt 15 regionale Gruppen gebildet. Laut dem BBV-Geschäftsführer Sandro ­Michael haben sie während dem Sommer 13 Einsätze absolviert. Dabei wurden insgesamt 43 Einsatztage geleistet. Die Helfer erhalten eine Tagespauschale von rund 240 Franken, die von Bund und Kanton ausgerichtet wird. Michael hofft, dass die Wolfswehr auch künftig mit Geldern rechnen kann.