«Eigentlich müsste man den Namen Eisvogel präzsieren – schliesslich gibt es weltweit 117 verschiedene Eisvogelarten», erklärt Livio Rey von der Vogelwarte. Hierzulande ist aber wohl allen klar, wer mit «dem Eisvogel» gemeint ist: ein eher kleiner, dafür leuchtend blau gefärbter Vogel mit langem, kräftigem Schnabel.

Bestand nimmt zu

Trotz seines hohen Bekanntheitsgrads und seiner Beliebtheit haben wohl nur wenige Nicht-Ornithologen schon einmal einen Eisvogel gesehen. Das dürfte auch daran liegen, dass die blauen Vögel in der Schweiz eher selten sind – sie stehen als verletzlich auf den Roten Liste. «Der Bestand nimmt seit einigen Jahren aber zu», sagt Livio Rey. Die Renaturierung von Gewässern kommt dem Eisvogel zugute, denn der Fischjäger ist auf naturnahe Seen, Feuchtgebiete und Flüsse angewiesen.

14 bis 25 kleine Fische braucht ein Eisvogel pro Tag. Was die Fischart betrifft, ist er nicht wählerisch ist. Auf einer Sitzwarte nah am Wasser wartet der Jäger auf seine Beute, die er mit einem Stosstaucher fängt. «Eisvögel sind kleine Physiker», bemerkt Livio Rey und gibt zu bedenken, dass die Tiere die Brechung des Lichts im Wasser berücksichtigen müssen. Sonst tauchen sie daneben und verfehlen ihren Fisch.

«Weibchen tragen Lippenstift.»

Livio Rey, Vogelwarte, beschreibt die Färbung weiblicher Eisvögel.

Abo Heute würde man das Brustgefieder eher als orange statt als rot beschreiben. Die Farbbezeichnung im Namen des Rotkehlchens hat aber historische Gründe.  Wildtier im Porträt Das Rotkehlchen ist ein zickiger Weihnachtsbote Tuesday, 12. December 2023 Dass Fische ganzjährig verfügbar sind, ermöglicht es dem Eisvogel einerseits, auf einen Flug gen Süden zu verzichten. Andererseits kann so die erste von zwei bis drei Bruten pro Jahr bereits Anfang März begonnen werden. Die Jungvögel wachsen in einer Erdhöhle auf, die ihre Eltern mit den Füssen bis fast einen Meter tief in Steilwände am Gewässerrand graben.

Die Voraussetzung dafür ist das Vorhandensein geeigneter Steilwände aus weicher Erde. «Sie entstehen, wenn Flüsse wieder mäandrieren können», erläutert Livio Rey. Wie andere Vögel Nistkästen beziehen, so nehmen Eisvögel aber auch künstliche Wände als Brutplatz an. Die Nähe zum Gewässer bringt allerdings die Gefahr von Hochwasser mit sich, das in sehr nassen Jahren den Bruterfolg drastisch senken und den Eisvogelbestand stark dezimieren kann.

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Tropische Verwandtschaft

Dasselbe passiert in einem strengen Winter, denn – anders als es sein Name erwarten lässt – der Eisvogel ist nicht besonders winterfest. Was die Frage aufwirft, warum die Art die kalte Jahreszeit nicht im sicheren Süden verbringt. «Wirklich harte Winter sind hierzulande selten», erklärt der Ornithologe. Mit mehreren Bruten pro Jahr gelinge es dem Eisvogel ausserdem in der Regel, Bestandsrückgänge rasch wieder auszugleichen.

Dass Eisvögel unter allzu tiefen Temperaturen leiden, passt zwar nicht zu ihrem Namen, wohl aber zu ihrer nächsten Verwandtschaft. Diese ist in den Tropen zu finden. «Keine Papageien, sondern die ebenfalls sehr bunt gefärbte Gruppe der Rackenvögel», beschreibt Rey die Eisvogel-Verwandten. Da passt der blaue Vertreter an Schweizer Gewässern sehr gut ins Bild. Wobei blaue Federn im Vergleich zu etwa Rot- oder Gelbtönen eine Besonderheit haben. «Würde man eine blaue Eisvogelfeder zermahlen, wäre die Farbe weg», sagt Livio Rey. Denn Blau ist eine sogenannte Strukturfarbe, die nicht durch ein Pigment, sondern die Reflexion des Lichts auf der Feder zustande komme.

Fisch für die Braut

Sowohl männliche als auch weibliche Eisvögel tragen das blaue Federkleid, sie lassen sich aber an einem Detail unterscheiden. «Weibchen tragen Lippenstift», nennt Livio Rey die Eselsbrücke. Tatsächlich haben Männchen einen vollständig dunklen Schnabel, während jener des Weibchens eine rötliche Unterseite aufweist. Mit der Partnerin ist das aber so eine Sache. «Eisvögel sind sehr territorial und verteidigen ihre Reviere vehement», erklärt Rey. Zur Paarungszeit finden sich beide Geschlechter zusammen, aber anders als bei Singvögeln machen die Männchen nicht mit Gesang auf sich aufmerksam. Stattdessen verfolgen sie ihre Auserwählte oder bieten ihr einen Fisch als Brautgeschenk an. In der Jungenaufzucht ist zwar Teamwork angesagt, danach gehen aber die Elternteile wieder getrennte Wege. «Auch der Nachwuchs wird bald und bei Bedarf ziemlich rabiat aus dem Revier geworfen», so der Ornithologe.

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Wie ein blauer Pfeil

Der Eisvogel buddelt also Erdlöcher, friert im Winter und zeigt sich wenig romantisch. Ebenfalls nicht zum Bild einer noblen Vogelart trägt sein Fressverhalten bei. Geschickt gefangene Fische werden als Ganzes verschluckt, unverdauliche Gräten ausgewürgt.

Und doch, die blauen Fischjäger bleiben faszinierend. Wer sie beobachten möchte, hat mit etwas Fachwissen laut Livio Rey an naturnahen Gewässern gute Chancen: «Man hört zuerst ihren kurzen, scharfen Pfiff», schildert er. «Dann flitzen sie von ihrer Sitzwarte am Ufer dicht über das Wasser, um gleich wieder in einer Deckung zu verschwinden.» Zu sehen sei zwar kaum mehr als ein blauer Pfeil, der in gerader Linie vorwärts schiesst. Aber es wirkt eben doch ein wenig so, als hätte sich ein seltener Exot in unsere Gefilde verirrt.