Die Zwischenkalbezeit der Kühe ist auf vielen Betrieben immer wieder ein Thema. Viele streben hier jedes Jahr ein Kalb an, anderen reicht es, wenn ihre Kuh nur alle 450 Tage ein Kalb wirft. Welche Zwischenkalbezeit ist aus Ihrer Sicht ideal?
Eveline Studer: Die ideale Zwischenkalbezeit, ausgedrückt durch eine Zahl, gibt es nicht, so wie es den standardisierten Landwirtschaftsbetrieb und die einheitliche Kuh nicht gibt. Korrekt ist, dass traditionell das Ziel von einem Kalb pro Jahr angestrebt wird, richtig ist aber auch, dass vor allem Züchter und Züchterinnen von Tieren der hochleistenden Rassen diese Regel dehnen, dies in meinen Augen mit guten Gründen. Wichtig ist es, dass alle Betriebsleitenden die Strategie finden und definieren, die zu ihrer Philosophie und zum Betrieb passt. Zudem müssen Kühe erkannt werden können, die sich für eine verlängerte Zwischenkalbezeit eignen. Problematisch wird es dann, wenn man sich hinter den Zahlen versteckt. Wenn Kühe beispielsweise eine suboptimale Startphase haben, oder die Brunstbeobachtung verbessert werden könnte, dann reicht es nicht zu sagen: «Eine verlängerte Zwischenkalbezeit ist ja modern». Denn weltweit beweisen vorbildlich geführte Betriebe, dass auch mit Leistungen über 10 000 Litern eine kaum verlängerte Zwischenkalbezeit aufrechterhalten werden kann.
Was sind die Vor- und Nachteile einer kurzen bzw. langen Zwischenkalbezeit?
Ich möchte hier vielleicht lieber die Effekte aufzählen, ohne sie zu werten. Einige sind eindeutig Vorteile oder Nachteile, aber viele können betriebsspezifisch gewichtet werden. Weist eine Kuh eine lange Zwischenkalbezeit auf, gibt es weniger Geburten, es gibt weniger Kälber, weniger Remonten. Der Zuchtfortschritt kann sich verlangsamen, die Vermarktung von Kälbern verändert sich. Viele Themen bleiben dieselben, treten aber auf der Zeitachse weniger schnell wieder auf: Fütterungswechsel rund um das Trockenstellen und die Geburt, das erhöhte Risiko von Euterentzündungen rund um die Trockenstehphase, Geburtshilfe, typische Krankheiten der Startphase, die negative Energiebilanz, Brunstbeobachtung. Es bedeutet auch eine Verschiebung der Abkalbezeit auf saisonalen Betrieben, und zwar jährlich wiederkehrend.
Wie sieht es bei der Fütterung aus?
Die Fütterung gerät vermehrt in den Fokus, und dies längst nicht nur wegen der Abkalbesaison: Kühe dürfen auf keinen Fall verfetten während der verlängerten Zwischenkalbezeit. Über die Wirtschaftlichkeit des Systems wird noch viel geforscht. Der Grundtenor geht in die Richtung, dass geeignete Kühe unter optimalen Bedingungen eine vergleichbare Lebensleistung haben wie Kühe im traditionellen System. Besonders gekalbte Rinder profitieren und geben mehr Milch in der ersten Laktation, bei den weiteren Laktationen weichen Forschungsresultate teilweise voneinander ab. Dort werden dafür die gesundheitlichen Aspekte wichtiger. Beispielsweise ist es viel einfacher, eine Kuh mit wenig Milchleistung trockenzustellen. Ein interessanter Punkt ist auch die Nachhaltigkeit: Erste Ergebnisse zeigen, dass grosse Farmen, die das System der verlängerten Zwischenkalbezeit betreiben, weniger Emissionen haben. Über Umwelt- und Tierfreundlichkeit dieses Systems wird also zu Recht viel diskutiert.
Immer mehr Betriebe in Deutschland setzen auf eine längere Zwischenkalbezeit. Sie sind der Meinung, die Besamungskosten seien tiefer und die Kühe hätten eine längere Lebensdauer. Stimmt es, dass Kühe, denen man nach dem Abkalben länger Zeit gibt, besser trächtig werden?
Das Mobilisieren von Körperreserven und der Stoffwechsel in der negativen Energiebilanz schädigen die heranreifenden Eizellen auf den Eierstöcken der Kuh, und sogar noch den kleinen Embryo. Auch scheinen gewisse Formen von Gebärmutterentzündung in ausreichend Zeit eine Selbstheilung zu erfahren. Wird die Kuh erst dann besamt, wenn ihre Energiebilanz stimmt und das Gebärmuttermilieu optimal ist, so ist die Trächtigkeitsrate besser und somit braucht es tatsächlich weniger Besamungen pro Trächtigkeit. Es fängt übrigens schon damit an, dass Kühe mit genug Energie die Brunst besser zeigen. Ist die Phase der negativen Energiebilanz vorbei, wird die Fruchtbarkeit aber nicht zunehmend besser, je länger man wartet. Wählt man eine längere Zwischenkalbezeit, sind die Kühe nicht an sich fruchtbarer, aber es kann ein optimaleres Zeitfenster gewählt werden. Und ja, sie leben im Optimalfall länger und produzieren ähnlich viel oder mehr Milch als im traditionellen System. Natürlich stimmen alle diese Aussagen vor allem für Hochleistungskühe, und viele weitere Faktoren müssen in die Überlegungen einbezogen werden.
Kühe mit einer Milchleistung von 11 000 kg und mehr, geben oft, wenn man sie galt lassen will, immer noch sehr viel Milch. Wie lässt man solche Kühe am besten galt ohne dass sie dabei einen allzu grossen Stress haben?
Das ist eine sehr wichtige Frage und wohl einer der Hauptgründe, weshalb bei hochleistenden Tieren mit dem Besamen zugewartet wird. Eine viel zitierte Studie aus Ohio (USA) besagt, dass beim Trockenstellen pro fünf Kilo Milch, welche eine Kuh über dem Limit von 12,5 kg gibt, die Chance auf eine spätere Euterentzündung um 77 % steigt. Dazu kommen, wie Sie richtig fragen, das Unwohlsein durch sich im Euter stauende Milch, und die Schmerzen bei einer möglichen Euterentzündung. Eine wichtige zu bedenkende Tatsache ist auch, dass sich der Strichkanal eventuell nicht verschliessen kann. Bei hoher Milchleistung zum Zeitpunkt des Trockenstellens sind 23 % aller Strichkanäle auch sechs Wochen später noch nicht ganz verschlossen, etwa 5 % schliessen sich gar nie! Das ist ein grosser Risikofaktor für eine Euterinfektion.
Bringt das Überspringen von Melkzeiten dabei etwas?
Das Überspringen von Melkzeiten (Übermalen) und das inkomplette Ausmelken empfehlen wir nicht: Jede Melkung trägt wieder zur Anregung der Milchproduktion bei, und das Risiko von Euterentzündungen ist bei diesem Vorgehen erhöht. Somit muss eine restriktive Fütterung zur Verminderung der Milchleistung führen, in Robotersystemen kann auch die Anzahl der Melkungen pro 24 Stunden etwas gesenkt werden. Konkret sind die Ratschläge für erfolgreiches Trockenstellen die Folgenden: eine Milchleistung unter 20 Liter, erreicht durch allfällige Verlängerung der Zwischenkalbezeit und phasengerechte Fütterung. Dann abruptes Trockenstellen ohne Übermalen, korrekte und saubere Applikation eines Zitzenversieglers, um den Verschluss der Zitzen zu gewährleisten, und Senkung des Infektionsdrucks bei der frisch trockengestellten Kuh durch sauberes Aufstallen und ein- bis mehrmaliges Zitzentauchen.
Eignen sich alle Kühe für eine längere Zwischenkalbezeit und was muss dabei beachtet werden?
Nein, es eignen sich eindeutig nicht alle Kühe für eine längere Zwischenkalbezeit. Die optimale Kuh dafür hat eine gute Leistung und Persistenz. Die Persistenz wird zwar auch durch späteres Trächtigwerden positiv beeinflusst. Jedoch neigen Kühe, die weniger leisten, oder eine grundsätzlich mässige Persistenz haben bei einer verlängerten Zwischenkalbezeit zur Verfettung. Kalbt eine Kuh mit zu vielen Fettreserven ab, so sind alle zuvor erwähnten positiven Effekte hinfällig. Das Risiko steigt für Geburtsprobleme, Festliegen, Infekte, Ketose, Leberverfettung, und als Konsequenz leidet die Energiebilanz und die Fruchtbarkeit enorm. In jeder Laktation, sei sie verlängert oder traditionell, muss also bereits wieder an die nächste gedacht werden.