«Solche Entwicklungen bereiten uns nicht sonderlich Freude», sagt Stephan Hagenbuch,Direktor der Schweizer Milchproduzenten (SMP), mit Blick nach Neuseeland. Dort sollen die Landwirte für die Emissionen ihrer Kühe künftig zur Kasse gebeten werden. Mit einer entsprechenden Steuer will das Land eine Methanreduktion erwirken. Wie Premierministerin Jacinda Ardern an einer Medienkonferenz Anfang Oktober formulierte, gehörten die von den 6,3 Millionen neuseeländischen Kühen verursachten Emissionen zu den grössten Umweltproblemen des Landes. Es sei aber sachlich falsch, das fossile CO2 mit dem nicht fossilen gleichzusetzen, kritisiert Hagenbuch.

«Die Kuh gilt weiterhin als Klimakiller»

«Die Kuh gilt weiterhin als Klimakiller», so Ruedi Bigler. Der Präsident der Aaremilch AG begrüsste in seiner Funktion als Vorstandsmitglied der Branchenorganisation Milch am Dienstag zur Regionaltagung der SMP in Zollikofen BE. Der Anlass, der dieser Tage an vier verschiedenen Standorten durchgeführt wurde, vermochte die Reihen am Inforama Rütti zu füllen.

«Die Milchviehhaltungen sollen reduziert werden - eine weltweite Problematik»

«Die Politik und die Verwaltung wollen die Milchviehhaltung weiterhin reduzieren», ist Ruedi Bigler sicher. Dieses Vorhaben sei nicht nur hierzulande, sondern weltweit zu beobachten. In der EU würde die Tierhaltung im Bereich der Emissionsauflagen zuweilen mit der Ölindustrie gleichgestellt. Die Ziele in der Schweiz seien klar: «Die Milchviehhaltungen im Tal- und Hügelgebiet wie auch der Maisanbau sollen reduziert werden. Und das alles unter dem Deckmantel des Klimaschutzes.»

Dass die Kuh wiederholt als Klimakillerin bezeichnet wird, stört die SMP gewaltig, insbesondere dann, wenn die Argumente nicht wissenschaftlich belegt sind. «Neuseeland arbeitet mit Verboten. In der Schweiz sind wir gewohnt, mit Anreizen zu arbeiten, was sicherlich der effizientere Weg ist als jener über Verbote», sagt Reto Burkhardt, Leiter Kommunikation bei der SMP. Nachhaltigkeit sei auch für die Schweizer Milchproduzenten ein ganz entscheidender Faktor.

«In diesem Bereich herrscht viel Halb- oder Unwissen»

Dafür müsse die Kuh aber in ihrem biologischen Kreislauf dargestellt werden. «Wird das nicht gemacht, wird nur ein Teil des Systems betrachtet, was nicht der gesamten Wahrheit entspricht. Wir erwarten, dass es hier eine ganzheitliche Betrachtung gibt», so Burkhardt. In diesem Bereich herrsche noch sehr viel Halb- oder Unwissen, und die Argumente würden stets so ausgelegt, wie es am einfachsten möglich sei. «Es ist wichtig, sich der Thematik Nachhaltigkeit anzunehmen, aber dafür sind entsprechend Studien und Resultate nötig. Wir unterstützen in vielen Bereichen die Agrarforschung, damit wir fundiertes Wissen erlangen», sagt er.

Suche nach Proteineffizienz

Eine dieser Studien, die aktuell beschäftigen, ist die Suche nach der proteineffizienten Milchkuh. Protein ist ein Haupttäter, wenn es um die «überdüngten Böden» geht. Denn Protein, das im Körper nicht verwendet werden kann, wird ausgeschieden, und zwar als Stickstoffverbindung im Kot und Urin – also im Hofdünger. Das Ziel ist einfach: Der grösstmögliche Anteil des verfütterten Proteins soll in die Milch oder ins Fleisch gelangen und so wenig wie möglich ausgeschieden werden. Bekannt ist, dass sich die Kühe in diesem Merkmal unterscheiden; das heisst, dass es bereits jetzt, ganz ohne Zucht, mehr oder weniger proteineffiziente Kühe gibt.

Effizienz ist vererbbar

«Man weiss, dass das vererbbar ist», erklärt Claudia Kasper von Agroscope auf Anfrage. Das heisst, dass man auch auf dieses Merkmal züchten kann. Nur ganz so einfach ist es nicht. Damit man die Tiere mit der gewünschten Eigenschaft für die Zucht auswählen kann, muss das Merkmal auch mit hoher Genauigkeit messbar sein. Und will man die Messmethode schliesslich in ein praxistaugliches Format bringen und irgendwann den proteineffizientesten Zuchtstier jeder Rasse präsentieren können, müssen vorgängig Tausende von Kühen untersucht werden.

Auch die Relevanz sei ein wichtiger Aspekt, sagt Claudia Kasper: «Der Nutzen für die Umwelt liegt klar auf der Hand, aber auch die Landwirtin und der Landwirt können direkt profitieren». Im Fall der Suche nach einer proteineffizienten Kuh tun sie das auch, dann nämlich, wenn das Protein im Futter zu einem möglichst hohen Anteil in die Milch gelangt und mit der Gehaltszahlung honoriert wird. Oder wenn der Einsatz von Kraftfutter reduziert werden kann, ohne dass Leistungseinbussen in Kauf genommen werden müssen.

Ein langer Weg

Doch der Weg zur Liste mit den proteineffizienten Zuchtstieren ist noch lang. «Vonseiten der Praxis wird oft unterschätzt, wie aufwendig eine solche Studie ist», sagt die Wissenschaftlerin. 

«Die Milchkuh ist ein komplexes Lebewesen. Wir müssen auch Rückschläge einstecken.»

Claudia Kasper-Völkl, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Agroscope

Der Vorwurf, dass die Schweiz massiv überdüngt sei, ist in der Politik angekommen. Die Antwort darauf ist die parlamentarische Initiative 19.475. Darin ist vorgesehen, dass die Nährstoffverluste bis 2030 um 20 Prozent reduziert werden. Um die Ziele zu den Absenkpfaden Pflanzenschutzmittel und Nährstoffverluste zu erreichen, sieht der Bundesrat zwingende und freiwillige Massnahmen vor. Die Landwirtschaftsbetriebe können bei den Produktionssystembeiträgen die jeweiligen Programme wählen.

SMP-Präsident Hanspeter Kern nennt den Absenkpfad eine Herausforderung, «deren Umsetzung wehtut». Man habe den Abstimmungskampf der «Pestizid-Initiativen» 2021 zwar für sich entschieden, «aber im Parlament hiess es dann, man müsse doch etwas tun». Das Resultat: der Absenkpfad, bei dem insbesondere im Bereich der Nährstoffe auch die Milchkuh im Fokus steht.

Klimaschutz und Absenkpfad Stickstoff sind indes auch Schwerpunkte in der Weiterentwicklung des grünen Teppichs. Die Umsetzung der zweiten Phase dieses Branchenstandards steht bereits für Januar 2024 an. 

Entwicklung der Milchleistung nach Rassen

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Harte Reduktionsziele weltweit
Die Reduktion der Emissionen aus der tierischen Produktion sind auch ausserhalb der Schweiz ein grosses Thema. Wir werfen ein Schlaglicht auf die Auseinandersetzungen in drei europäischen Ländern und in Neuseeland. Die Beispiele zeigen, dass die Landwirtschaft hier global zunehmend unter Druck kommt. Dabei sind die Reduktionsziele häufig deutlich ambitiöser als in der Schweiz.

Niederlande: Die holländische Land- und Ernährungswirtschaft ist legendär leistungsfähig. Das Land hat mit 41 543 km2 etwa die gleiche Fläche wie die Schweiz, ist aber der zweitgrösste Agrar- und Lebensmittelexporteur der Welt. Die Kehrseite sind hohe Emissionen, die nun zu einer veritablen politischen Explosion geführt haben. Nicht zuletzt aufgrund von Druck aus der EU hat die Regierung im Juni ein Reduktionsziel von Stickoxid und Ammoniak um 50 Prozent bis 2030 präsentiert. Dies hätte in gewissen stark belasteten Gebieten eine Reduktion der Tierzahl um 30 Prozent zur Folge; Bauernvertreter gehen davon aus, dass rund ein Drittel der Betriebe aufgeben müssten. Dies führte bekanntlich zu empörten Protesten der niederländischen Produzenten. Derzeit laufen Verhandlungen unter Vermittlung eines früheren Innenministers. Ein Kompromiss, geschweige denn eine Lösung des Konflikts ist aber noch nicht in Sicht.

Irland: Auch auf der grünen Insel sind Milch- und Fleischproduktion wichtige Wirtschaftsfaktoren. Hier lebt ein Rindviehbestand von imposanten 7,3 Mio Stück, deutlich mehr als die Zahl der Bewohner, die bei gut 5 Mio liegt. Die stark exportbasierte Milch- und Fleischproduktion wurde in den letzten Jahrzehnten markant ausgebaut, dies unter aktiver Förderung des Staates. Nun hat die Regierung in Dublin Ende Juli allerdings ein ambitiöses Reduktionsziel von 25 Prozent der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen bis 2030 beschlossen. Der Unmut der Landwirte über dieses Ansinnen ist gross, Proteste im holländischen Ausmass blieben bis anhin aber aus.

Dänemark: Die ebenfalls stark exportorientierte dänische Landwirtschaft kämpft mit ähnlichen Vorgaben. Hier hat die sozialdemokratische Regierung kurz vor den für sie erfolgreichen Wahlen Anfang November beschlossen, den CO2-Ausstoss bis 2025 um 50 Prozent und bis 2030 gar um 70 Prozent zu senken. In Diskussion ist zur Beschleunigung eine CO2-Steuer von umgerechnet rund Fr. 108 pro t. Eine Kuh verursacht konservativ geschätzt jährlich umgerechnet einen Ausstoss von rund 4 Tonnen CO2. Somit müsste ein Milchviehbetrieb mit 100 Kühen mit jährlichen Ausgaben von zusätzlich gut Fr. 40 000 rechnen. Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass sich die Produzenten gegen dieses Ansinnen wehren.

Neuseeland: Die Reduktionspläne sind kein rein europäisches Phänomen. In Neuseeland, dem grössten Milchexporteur der Welt, will man allerdings etwas behutsamer vorgehen als in den erwähnten europäischen Staaten. Die Regierung will hier bis 2030 eine Reduktion des Methanausstosses um 10 Prozent (Referenzjahr 2017). Bis 2050 strebt man eine Reduktion um 24 bis 47 Prozent an. Auch in Neuseeland will man mit einer Emissionssteuer vorgehen, derzeit ist eine Vernehmlassung über die Höhe dieser Abgabe im Gang.