Über 100 Risse wurden diesen Sommer alleine im Urserental gezählt. Wie sieht die Situation im ganzen Kanton Uri aus?
Damian Gisler: Glücklicherweise war die Anzahl Wolfrisse im übrigen Kantonsteil tiefer. Im oberen Reusstal wurden noch gut ein Dutzend Schafe gerissen. Im übrigen Kantonsgebiet ereigneten sich keine Risse.
Wie viele Einsätze hatte die Wolfswehr im Jahr 2024? Reichten die Ressourcen aus?
Die Wolfswehr leistete insgesamt acht Einsätze mit rund 80 Einsatzstunden. Trotz vieler freiwilliger Helfer ist es schwierig, kurzfristig immer genügend Personal zu rekrutieren. Die Einsätze können oft nur einen halben Tag im Voraus geplant werden. Auch bezüglich Zaunmaterial sind wir zeitweise an unsere Grenzen gestossen, obwohl dieses deutlich einfacher ausgebaut werden kann als das Personal.
Wie sieht die aktuelle Situation bei den Herdenschutzhunden aus? Sind genügend verfügbar?
Im Kanton Uri können momentan alle Alpen, die Herdenschutzhunde (HSH) wollen, bedient werden. Einige Alpen organisieren sich zudem mit HSH-Haltern aus dem Flachland, die gleichzeitig auch Schafe auf die Sömmerungsbetriebe auftreiben. Für kurzfristige Einsätze stehen allerdings sehr wenige HSH zur Verfügung. Gesamtschweizerisch ist die Situation angespannt.
Ende Juni dieses Jahres wurde in der Gemeinde Realp nach erfolgter Abschussverfügung ein schadenstiftender Wolf erlegt. Zur gleichen Zeit wurde ein zweites Tier gesichtet. Warum wurde dieses nicht auch entnommen?
Im Juni dieses Jahres hat ein Wolf auf der Alp Schweig in Realp mindestens 16 Ziegen gerissen, was zu einer entsprechenden Wolfabschussverfügung am 24.6.2024 führte. Zu diesem Zeitpunkt waren keinerlei Anhaltspunkte zu einem zweiten Wolf gegeben. Am 27. Juni 2024 wurde der Wolf erlegt. Wie die DNA-Resultate später zeigten, war der erlegte Wolf identisch mit DNA-Individualproben, die von den gerissenen Ziegen stammten (M 451). Erst unmittelbar nach dem Abschuss wurde ein zweiter Wolf im selben Gebiet gesichtet. Die bundesrechtlich festgelegten Voraussetzungen für einen weiteren Wolfabschuss waren jedoch nicht gegeben, da die meisten nachfolgenden Schäden sich auf mit zumutbaren Massnahmen schützbaren Alpweiden ereigneten. Erst im Oktober 2024 waren wiederum im Urserental die Voraussetzungen für einen Abschuss eines schadenstiftenden Wolfes gegeben, da dieser neun Schafe auf einer geschützten Weide gerissen hatte. Dieser Wolf wurde dann in der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 2024 erlegt. [IMG 2]
Schafzüchter klagen über den Verlust ihrer wertvollen, selbst aufgezogenen Zuchttiere, die grossen Alpschaf-Lieferanten aus dem Unterland sind infolge der ausbleibenden Tageszunahmen und der Tierverluste unzufrieden. Gefährdet der Wolf nicht die Bewirtschaftung ganzer Talschaften und damit die Alp- und Bergbauernkultur?
Das ist eine schwierige Frage, welche sich nicht in ein paar Sätzen beantworten lässt. Sicher werden und wurden schon Schafalpen aufgrund Wolfspräsenz aufgegeben. Ob dies zugleich zur Aufgabe von Heimbetrieben auf der LN führt, ist unklar. Wir stellen fest, dass viele Nebenerwerbsbetriebe mit Kleinvieh Mühe bekunden, Hofnachfolger zu finden. Die steigende Wolfpräsenz wird diese Situation sicher noch verschärfen.
Ein Teil der im Urserental betroffenen Alpen wurden von Fachpersonen als zumutbar schützbar eingestuft. Die Bewirtschafter verweisen aber auf die Problematik von Herdenschutzhunden mit dem in der Region wichtigen Tourismus. Auch sei die Zaunarbeit infolge Grünerlen und des steinigen Geländes kaum zu bewältigen. Werden Einstufungen betreffs des Schutzstatus von Alpen auf die aktuelle Situation überprüft?
Die Festlegung des Schutzstatus einer Alp ist und bleibt schwierig. Das Hauptproblem liegt bei der Beurteilung, welche Herdenschutzmassnahmen als zumutbar erachtet werden. Bei der Beurteilung des Schutzstatus einer Alp kann im Moment einzig auf die gültige Kriterienliste des Bafu zur Bezeichnung von «nicht zumutbar schützbaren» Alpen und auf die Verhältnisse vor Ort abgestützt werden. Fakt ist, dass der neue Zusatzbeitrag für die Umsetzung einzelbetrieblicher Herdenschutzmassnahmen zu einer deutlich besseren Abgeltung von Herdenschutzmassnahmen führt. Im Kanton Uri haben 2024 bereits 17 Kleinviehalpen mit rund 40 Prozent der Normalstösse einzelbetriebliche Herdenschutzkonzepte umgesetzt. Interessenskonflikte mit HSH im touristisch stark genutzten Urserental werden sicher Thema bleiben. Hier gilt es, im Gespräch mit den verschiedenen Stakeholdern nachhaltige Lösungen zu finden.
Werden auf zumutbar schützbaren Schafalpen die Massnahmen umgesetzt, weichen Problemwölfe wohl auf Alpen aus, wo kein Herdenschutz möglich ist, was zu Rissen wie kürzlich im Pazola-Gebiet führen kann. Was für Möglichkeiten haben diese Alpbewirtschafter?
Dieses Problem konnten wir dieses Jahr im Urserental feststellen. Für kleinstrukturierte Alpen wird es allerdings sehr schwierig, auf dieses Problem zu reagieren. In der Herdenschutzberatung suchen wir wohl zusammen mit den Bewirtschaftern nach Lösungen, ohne strukturelle Anpassungen ist es aber fast unmöglich, mit verhältnismässigen Massnahmen, diese Alpen zu schützen. Genau aus diesem Grund sind sie auch als «nicht zumutbar schützbar» eingestuft. Ich verstehe die Ohnmacht der Bewirtschafter dieser Alpen, kann ihnen aber im Moment kein Patentrezept anbieten.
Schwarzer Sommer für Urschner Schäfer
Über 100 Tiere wurden 2024 im Urserental gerissen. Die Schäfer und Hirten hatten eine schwierige Alpsaison. Anfang Sommer riss ein Wolf rund 15 Ziegen auf der Alp Schweig in Realp. Während des Sommers gab es dann auf verschiedenen Schafalpen im Urserental, welche als zumutbar schützbar eingestuft sind, Ereignisse mit Grossraubtieren. Mehrere Dutzend Kleinvieh wurden dabei gerissen, zusätzlich werden noch Tiere vermisst. Mitte September entdeckten dann Schafzüchter auf einer Alp im Pazola-Gebiet beim Oberalppass sechs gerissene Schafe. Rund zwei Wochen nach diesen Rissen fielen auf einer landwirtschaftlichen Nutzfläche zwischen Hospental und Realp neun Tiere dem Wolf zum Opfer.

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