Eigentlich sieht es gut aus auf dem Milchmarkt. Eigentlich. Die Nachfrage ist hoch – das Angebot eher knapp. «Wir haben es lieber etwas knapp, das ist für die Preisbildung von Vorteil», sagt Stefan Hagenbuch von den Schweizer Milchproduzenten (SMP). Trotz dieser erfreulichen Marktsituation sind die Aussichten für die Milchbauern nicht ganz so rosig, wie eine Zeit lang prognostiziert. Der Schuldige ist sofort ausgemacht – es ist der Ukrainekrieg, der die Produktionskosten in die Höhe schnellen lässt.
An der Agridea-Tagung zu Chancen und Herausforderungen der Schweizer-Milchwertschöpfungskette vergangene Woche hinterliess eine Analyse der Produktionskosten der Milch kein wirklich gutes Gefühl für diesen Sektor. Matthieu Cassez von Agridea stellt eine unerfreuliche Verdienstprognose von −3 bis −7 % in den Raum. Fütterungs- und Energiekosten schnellen in die Höhe. In keinem der von Agridea analysierten Milch-Systeme (Talzone-Mais, Bergzone-Gras und Bergzone-Bio) können die Vollkosten im Durchschnitt aktuell gedeckt werden – schon jetzt nicht. Das gelinge lediglich «den Besten», sagt Cassez. Die steigenden Kosten verschärfen diese Ausgangslage nun noch.
«Neben dem Richt- gibt es einen Marktpreis.»
Stefan Kohler, Geschäftsführer BOM
Die niedrigsten Vollkosten haben, wie Matthieu Cassez sie nennt, «kapitalistische» Systeme in Weidegebieten. Mit den höchsten Vollkosten sind hingegen Familiensysteme konfrontiert, die in Gebieten sind, die für Weide ungünstig sind. Hier fallen Gebäudekosten für die Tierhaltung und Kosten für die Futterlagerung stark ins Gewicht. Auch der Arbeitskomfort trage zu höheren Kosten bei.
Ein wenig aufatmen lässt die Tatsache, dass es sich bei den Berechnungen der Agridea um eine Stichprobe von 232 Betrieben handelt. Es sei schwierig, diese Grundlage auf die ganze Schweiz zu extrapolieren, warnt Cassez. Stefan Hagenbuch sagt: «Die Kostenwahrheit kommt erst in den Buchhaltungen 2023 an die Oberfläche.» Denn dann werde es teuer, weil aktuell noch mit Vorräten (Dünger, Treibstoff etc.) gearbeitet wird, die zu grossen Teilen noch vor dem Krieg beschafft wurden.
Mehrwerte standardisiert
Die Agridea-Tagung in Zollikofen gab trotz dieser mehrfach genannten Herausforderung des sich verändernden Kostenumfelds den anwesenden Referenten die Möglichkeit, zu loben. Insbesondere der Grüne Teppich, dessen Ausbau 2024 bevorsteht, holte viel Rahm von der Milch. Stefan Hagenbuch spricht von einem entscheidenden Mehrwert für die Milchbauern.
Dieser Ansicht ist natürlich auch Stefan Kohler, Geschäftsführer der Branchenorganisation Milch (BOM), der im bernischen Zollikofen ebenfalls referierte. «Mit dem Grünen Teppich haben wir die vorwiegend bereits bestehenden Mehrwerte der Schweizer Milch standardisiert. Im Interesse der ganzen Milchbranche werden diese Mehrwerte einheitlich und klar kommuniziert. Für die Produzenten hat es zu einer seit dem 1. September 2019 bestehenden Milchpreiserhöhung von 3 Rappen auf die Molkereimilch im A-Segment gebracht», konkretisiert Kohler diesen Mehrwert.
Gefragt nach den wichtigen Neuerungen, was auf dem Grünen Teppich ab 2024 wachsen soll, sagt Kohler: «Es gibt einen ganzen Strauss von guten Vorschlägen, die in den laufenden Wochen von den Milchproduzenten-Organisationen, was die Milchproduktion, und von den Verarbeitern, was die Verarbeitung betrifft, diskutiert werden.» Sie seien daran, sinnvolle, machbare und kommunizierbare Neuerungen herauszuschälen. Ab Herbst werden die Vorschläge bei der BOM aufgenommen und in den Gremien weiterdiskutiert. Es seien Massnahmen im Bereich Klimaschutz, Energie, Tiergesundheit, Fütterung und Soziales in Diskussion. Mehr wird derzeit noch nicht verraten.
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Über den Erwartungen
Ein gefragtes Produkt, eine gute Kommunikation und deutlich ansteigende Produktionskosten – ist das kein eindeutiges Indiz für eine weitere Milchpreiserhöhung? «Die Preiserhöhungen auf den 16. April lagen mit 5 Rp./kg A-Milch über den allgemeinen Erwartungen», sagt Stefan Kohler, allerdings ohne genau zu erläutern, wer in «allgemein» mit eingeschlossen wird.
«Ich nahm diesen Frühling eine allgemeine Genugtuung vonseiten der Produzenten über diesen mutigen Schritt des Vorstands wahr», präzisiert er. «Über allfällige weitere Erhöhungen des Richtpreises wird der Vorstand in den kommenden Sitzungen sicher zu sprechen kommen», stellt er weiter in Aussicht und erinnert: «Neben dem Richtpreis gibt es auch den Marktpreis. Die real ausbezahlten Milchpreise sind mindestens ebenso stark gestiegen wie der theoretische Milchpreis.»
Intensive mehr betroffen
Was die Kostensteigerungen bei den Produzenten betreffe, sei es zudem so, dass nicht alle gleichsam von höheren Kosten betroffen seien. «Weidebetriebe spüren die höheren Futterkosten weniger als Intensivbetriebe. Nur von höheren Kosten zu sprechen, ist deshalb nicht unbedingt empfehlenswert. Bei anhaltendem hohem Kostenumfeld für Energie, Futter und Dünger gehe ich persönlich davon aus, dass es langfristig in einigen Fällen zur Überprüfung von Betriebsstrategien kommen wird», so Kohler.
«Wir haben es lieber etwas knapp.»
Stefan Hagenbuch, SMP-Direktor
Nicht nur die Kosten steigen, sondern auch der Konsum pro Kopf und die weltweite Milchproduktion. Die ganz grossen Wachstumszahlen verzeichnet Asien. Dort steigt nicht nur der Milchkonsum deutlich an, sondern auch die Produktion. Der Pro-Kopf-Konsum steigt jährlich um mehr als 1 %. Die Schweiz könne vom internationalen Markt profitieren, sagt Daniel Weilenmann von Emmi.
Konkret heisst das, dass 3 von 4 kg Milch im internationalen Wettbewerb stehen. Einzig die Konsummilch im Detailhandel ist nicht diesem Umfeld unterworfen. Weilenmann spricht von 16 Rappen Milchpreiserhöhung bei der konventionellen Molkereimilch innerhalb von sechs Jahren. Er prognostiziert eine weitere Erhöhung. SMP-Direktor Stefan Hagenbuch teilt diese Ansicht; er rechnet damit, dass der Richtpreis im August auf 82 Rappen steigt.
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Guten Aussichten also. Die Zahlen zeigen, in der Schweiz sieht es in Sachen Nachfrage und Produktion, verglichen mit dem Weltmarkt, aber etwas anders aus. Der Milchverbrauch in kg pro Kopf und Jahr ist ziemlich stabil auf 360 kg, in der Tendenz in den letzten 20 Jahren aber leicht rückläufig. Deutlicher rückläufig ist die Produktion (siehe Grafik unten).
Und obschon die Produzentenpreise so hoch sind wie schon lange nicht mehr, nimmt die Milchanlieferung im Vergleich zu den letzten Jahren weiter ab. «Das Kostenniveau lässt die Bäuerinnen und Bauern trotz hohem Milchpreis zurückhaltend bleiben. Das heisst, man holt nicht jedes Kilogramm raus», sagt Stefan Hagenbuch, der eine leichte Tendenz zur Extensivierung beobachtet.
Kühe werden gebraucht
Ein Blick auf die Anzahl Milchkühe zeigt, dass der Bestand kaum abnimmt. Im April 2022 war der Milchkuhbestand lediglich ein halbes Prozent tiefer als im Vorjahresmonat. 5 % höher war die Anzahl Jungtiere zwischen 1- und 2-jährig. Diese Tiere kommen bald in Laktation. Sollte sich durch die hohen Preise im Milchviehstall tatsächlich eine Extensivierung abzeichnen, «braucht es diese Kühe, damit wir die Volumen-Milch halten können», sagt Hagenbuch.

