«Es fehlt an Tierarzneimitteln», titelte die BauernZeitung Anfang Dezember des letzten Jahres. Dass die Schweiz immer wieder mit Engpässen bei unterschiedlichen Tierarzneimitteln (TAM) zu kämpfen hat, ist mittlerweile keine Neuigkeit mehr. Bereits im Sommer 2023 informierte die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) über einen Engpass an Kalzium-Infusionen.
Weiterhin Engpässe
Auch einige Wochen und Monate später entschärfte sich die Lage auf dem TAM-Markt nicht. «Seit dem Sommer hält sich die Schweizer Tierärzteschaft mit Importen über Wasser», berichtete Patrizia Andina-Pfister vom Fachbereich Tierarzneimittel und Tierärztliche Tätigkeiten bei der GST damals.
Neben Kalzium-Infusionen mangelte es laut Andina-Pfister zudem an diversen weiteren Präparaten wie dem Spurenelement Selen und dem Sedationsmittel Xylazin, das zum Enthornen und Kastrieren der Nutztiere verwendet wird. Weiter fehlte es laut der Tierärztin auch an Euter-Injektoren.
Nur wenige Alternativen im Ausland vorhanden
Ein halbes Jahr später herrschen gemäss Andina-Pfister weitgehend bei den gleichen Tierarzneimitteln Engpässe. Bei den Nutztieren handle es sich dabei vorwiegend um grundlegende Mittel wie Kalzium-Infusionen, Vitamine und Euter-Injektoren.
Momentan sei eine Sorte Kalzium-Infusionen lieferbar. «Ansonsten sind hier Importe schon fast Routine, ebenso wie bei den Vitaminen», erklärt die Tierärztin. Ein grosses Problem sind jedoch die Euter-Injektoren, für die es nur wenige Alternativen im Ausland gibt.
Mangel an Impfstoffen
Weiter fehlt es laut Patrizia Andina-Pfister an Impfstoffen wie beispielsweise gegen Gämsblindheit, Rauschbrand oder Blauzungenkrankheit. Diese müssten eigentlich vor der Alpsaison verabreicht werden. «Auf gewissen Alpen sind diese Impfungen obligatorisch, was auch sinnvoll ist», so die Tierärztin der GST.
Der Engpass könne somit dazu führen, dass es Landwirten teilweise nicht möglich sei, ihre Tiere auf die Alp zu bringen. «Müssen Tierarztpraxen den Impfstoff zuerst umständlich im Ausland beschaffen, kann dies zu Verzögerungen führen», so die Fachfrau weiter. Wegen der langen Kühltransporte geht sie zudem davon aus, dass die Medikamente teurer werden.
«Importe sind hier schon fast Routine, ebenso wie bei den Vitaminen»
Patrizia Andina-Pfister, Tierärztin bei der GST.
Erkrankt ein Rind an der Infektionskrankheit Rauschbrand, kann es nicht mehr gerettet werden und stirbt sehr schnell. An Gämsblindheit erkrankte Rinder leiden an einer Augenentzündung. Erfolgt keine Behandlung mit Antibiotika, erblinden die Tiere oder verlieren sogar ihr Auge. «Auf der Alp ist eine Behandlung sehr umständlich. Zudem können blinde Tiere eher abstürzen», erklärt Andina-Pfister. Auch an Schmerz- und Durchfallmitteln fehle es.
GST fordert Meldeplattform
Aufgrund der Mangellage im Bereich der TAM forderte die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte unter anderem eine zuverlässige Meldeplattform für Lieferengpässe bei lebensnotwendigen TAM und weitere Anpassungen beim Import. Auf die Frage, ob von den zuständigen Behörden bereits erste Schritte vorgenommen wurden, um der Forderung nachzukommen, antwortet Patrizia Andina-Pfister: «Ja, es gab Sitzungen mit dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL.»
Die beteiligten Parteien mussten sich dabei erstmals einigen, welche Wirkstoffe in eine Meldeplattform aufgenommen werden sollen. Als Nächstes brauche es nun aber eine Änderung in der Verordnung, welche leider immer sehr viel Zeit benötige, erklärt Andina-Pfister.
Firmen stellen Produktion ein
Die GST sei jedoch froh, dass die Massnahme nun angegangen werde. «Die Meldeplattform wäre ein Schritt in die richtige Richtung und wir hoffen, dass damit eine erste Abhilfe im Umgang mit den Engpässen geschaffen werden kann», so die Tierärztin.
Die aktuelle Problematik verdeutlicht sie mit einem Beispiel: Anfang Mai sei ein Impfstoff für Schweine gegen Lawsonien für zwei bis drei Wochen nicht verfügbar gewesen. «Viele Tierärztinnen und Tierärzte haben vergangene Woche versucht, herauszufinden, wo das Problem liegt, wie lange der Lieferunterbruch dauern wird und ob sie sich um einen Import kümmern müssen», erklärt sie weiter. Mit einer Meldeplattform könne dieser immense Aufwand vereinfacht werden, so Patrizia Andina-Pfister.
Produktionseinstellung wegen nicht rentablen Investitionen
Daneben wäre es laut der Tierärztin sehr hilfreich, wenn das BWL auch Alternativen für fehlende Produkte nennen könnte. Zudem seien weitere Massnahmen wie die Vereinfachung beim Import notwendig. Fraglich sei auch, ob bei den Tierarzneimitteln tatsächlich überall der gleiche Qualitätsstandard gelten müsse wie bei den Humanarznei-mitteln. Dieser Punkt müsse europaweit überdacht werden.
So kennt Andina-Pfister keinen einzigen Fall, bei dem Kühe in den letzten 20 Jahren wegen zu wenig steriler Kalzium-Infusionslösungen krank geworden wären. «In der Schweiz und in Europa stellen aktuell immer wieder Firmen die Produktion von Tierarzneimitteln ein, weil die Investitionen in bessere Hygienestandards nicht mehr rentabel sind», bilanziert die Tierärztin.

