Wird eine Kuh nicht tragend oder ist nicht widerstandsfähig gegenüber Eutererkrankungen, kommt diese meistens in die Metzgerei. Tatsächlich erreichen die meisten Schweizer Milchkühe die vierte Laktation nicht, obwohl die Milchleistung bis zur fünften Laktation ansteigt und dann auf hohem Niveau bleibt. Ab 2024 wird die längere Nutzung des Schweizer Milchviehs durch das Verordnungspaket Parlamentarische Initiative 19.475 gefördert. Sie ist aber schon heute gesamtökonomisch für den Betrieb ein Gewinn. [IMG 2]

 «Die langlebigen sind eher unauffällige Kühe, die einfach mitlaufen.»

 Anna Bieber, wissenschaftliche Mitarbeiterin am FiBL. 

Nutzungsdauer Schweizer Milchviehrassen 2019:
- Swiss Fleckvieh: 3,8 Jahre 
- Braunvieh: 3,7 Jahre
- Original Braunvieh: 3,6 Jahre
- Simmentaler: 3,3 Jahre
- Holstein SHB: 3,1 Jahre
- Holstein HOL: 3,0 Jahre 

«Langlebige Kühe sind eher die Unscheinbaren»

Die Agridea, das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) und die Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) präsentierten neuste Ergebnisse ihres fünfjährigen Forschungsprojektes «Nutzungsdauer Schweizer Milchkühe». Anna Bieber, wissenschaftliche Mitarbeiterin am FiBL, untersuchte anhand von Daten der Tierverkehrsdatenbank sowie der Zuchtverbände der letzten 20 Jahre, welche Charakteristika langlebige Kühe auszeichnen. Es stellte sich heraus, dass langlebige Kühe im Durchschnitt in der ersten Laktation mit einer niedrigeren Milchleistung einsteigen und langsamer ihr Milchleistungsmaximum erreichen. Auch steigen diese Kühe mit niedrigen Zellzahlen ein und haben eine gute Fruchtbarkeit. «Es sind eher Kühe, die gar nicht gross auffallen, unkomplizierte Kühe», stellt Anna Bieber fest.

Abgänge durch Fruchtbarkeitsprobleme

Anna Bieber untersuchte ebenfalls, welche Faktoren das Abgangsrisiko von Milchkühen erhöhen. Von allen untersuchten Parametern hatte die Anzahl Besamungen den höchsten Erklärungswert bezüglich der Nutzungsdauer, gefolgt von der relativen Fett-Proteinleistung der Kühe. Eine Ausnahme bildet dort nur die Rasse Simmental, bei der die durchschnittliche Laktationszellzahl als erklärender Faktor an zweiter Stelle stand.

Dies bedeutet, dass eine steigende Anzahl Besamungen mit einem erhöhten Abgangsrisiko einherging. Ebenso hatten Kühe, die im Vergleich zu ihren Herdenmitgliedern eine höhere Leistung hatten, ein niedrigeres Abgangsrisiko als der Durchschnitt der Herde. Gering leistende Kühe hatten im Gegenzug ein höheres Abgangsrisiko.

Kuhkomfort ist entscheidend

Um herauszufinden, wie die Nutzungsdauer von Milchkühen erhöht werden kann, untersuchte Rennie Eppenstein, ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin am FiBL, 142 Milchviehbetriebe, die sich durch eine besonders lange Nutzungsdauer – im Durchschnitt 5,3 Laktationen bei Abgang – und eine besonders kurze Nutzungsdauer – im Durchschnitt 3,1 Laktationen bei Abgang – auszeichnen. Bei allen Betrieben waren Fruchtbarkeits- und Euterprobleme die Hauptabgangsgründe.

Die Betriebe mit einer längeren Nutzungsdauer hatten in der Auswertung den grösseren Kuhkomfort. So hatten diese öfter Laufstallsysteme anstatt Anbindehaltung, Strohmistmatratzen statt Gummimatten sowie grosszügigere Liegeplätze. Die Umsetzung dieser Punkte sei jedoch mit baulichen Veränderungen und hohen Investitionen verbunden. Es gebe jedoch auch Massnahmen mit weniger grösseren Investitionen.

Betriebe mit längerer Nutzungsdauer haben die Fütterung besser im Griff: «Es gibt dort seltener Proteinausgleichsfutter, aber mehr energiereiches Futter in der Ration», meint Michael Walkenhorst, Tierarzt und Leiter der Gruppe Tiergesundheit am FiBL. Er erkläre sich dies so: «Bei weniger Proteinüberhang im Pansen belastet weniger Ammoniak die Leber.» Eine gezieltere Fütterung ist im Hinblick auf das Protein zudem ressourcenschonender.

Erstbesamung hinauszögern

Relativ einfach im Betriebsmanagement umzusetzen ist die Hinausschiebung der Erstbesamung. In der Untersuchung wurde festgestellt, dass Betriebe mit langer Nutzungsdauer eine spätere Erstbesamung (erst mit 18 Monaten) ihrer Rinder anstrebten. Betriebe mit einer kurzen Nutzungsdauer wiesen eine durchschnittliche Erstbesamung von 16 Monaten auf.

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Bei der Rastzeit hingegen strebten Betriebe mit längerer Nutzungsdauer (ND) eine um elf Tage kürzere Rastzeit (mit 62 anstatt 73 Tagen) an. Dies ging wiederum mit einer kürzeren Zwischenkalbezeit einher.

Zwischenkalbezeit:

  • lange ND – 399 Tage
  • kurze ND – 406 Tage

Mastrassen für Besamung nutzen

Bei der Erstbesamung sowie auch bei den Kühen setzten Betriebe mit langer Nutzungsdauer deutlich häufiger auf Mastrassen. «Das Rind hat einen guten Einstieg in die erste Laktation, wenn es mit einer leichtkalbigen Mastrasse belegt wird», sagt Michael Walkenhorst. Er rät zu Angus oder, je nach Rasse, auch zu Limousin. In der ersten und zweiten Laktation solle nicht zu scharf auf Milchleistung selektiert werden. «Solang die Rinder gesund und fruchtbar sind, einfach mal mitlaufen lassen und beobachten», empfiehlt Walkenhorst. Ab der dritten Laktation könne dann schärfer aussortiert werden.[IMG 3]

«Die Lebtagesleistung von Betrieben mit langer Nutzungsdauer ist 2 kg höher.»

Rennie Eppenstein, wissenschaftliche Mitarbeiterin am FiBL.

Aus ökonomischer Sicht sei dies auch langfristig von Nutzen, denn bei Betrieben mit langer Nutzungsdauer ist die Lebtagesleistung im Vergleich zu den Betrieben mit kurzer Nutzungsdauer im Durchschnitt um zwei Kilogramm höher, erklärt Rennie Eppenstein.

Zusammenfassung
Untersuchte Betriebe mit längerer Nutzungsdauer haben: 
- häufiger Laufstall
- geringeres Risiko eines Proteinüberhangs in der Fütterung im Sommer/Winter 
- spätere Erstbesamung, aber kürzere angestrebte Rastzeit
- Erstbesamung deutlich häufiger mit Mastrasse
- bessere Fruchtbarkeit (weniger Besamungen, kürzere Zwischenkalbezeit, weniger Abgänge)