In der vor-österlichen Zeit erstaunt mich normalerweise nicht mehr viel. Schokoladehasen im Februar, Strohhühner-Dekotipps im März und dann die Eier-Flut im April. Kürzlich staunte ich trotzdem nicht schlecht, als mir auf meinem Nachhauseweg vom Ausgang aus dem berühmten Loeb-Schaufenster in Bern ein Dutzend echte Kaninchen entgegenblinzelte. Den Strahlen der städtischen Strassenlampen ausweichend, schienen sie in dieser Mitternacht auf den fast klinisch sauberen Holzschnitzeln in ihrem Gehege nach Futterähnlichem zu suchen. Jetzt, im Mai, sind die Loeb-Osterhasen zwar wieder zuhause beim Züchter, aber der kürzlich vom Schweizer Tierschutz (STS) veröffentlichte Bericht über Tierausstellungen wärmt das Thema und damit die Diskussion über die gesetzeskonforme Kleintierhaltung wieder auf.
Ich verstehe nicht viel von Kaninchen, aber ich bin überzeugt: Überdimensionale rosa Plastik-Eiscrèmecornets und lila Streuseltorten entsprechen nicht unbedingt dem bevorzugten Habitat dieser Nager – auch wenn die Module gemäss dem Schaufensterverantwortlichen vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen geprüft worden sind.
Kritik geht einfach über die Lippen
Erstaunt darüber, was sich ein Schweizer Warenhaus erlaubt, um ein paar Passanten und Passantinnen zu belustigen, slalomierte ich zwischen den Nachtvögeln hindurch und sprang auf den Bus, der mich und meine Gedanken nach Hause chauffierte. Ich finde es interessant, wie einfach Kritik bezüglich Tierwohl an Landwirtinnen und Landwirten über die Lippen geht und wie gross demgegenüber die Toleranz ist, wenn es darum geht, von lebenden Tieren unterhalten zu werden und dabei deren Stress in Kauf zu nehmen.
Vor dem Loeb-Schaufenster in Bern, einer der höchst-frequentierten Adressen unserer Bundesstadt, scheint die fehlende Ethik, die man den professionellen Tierhalter(innen) regelmässig vorwirft, plötzlich keine Rolle zu spielen. Im Gegenteil – wir reissen das Kind an der Hand zum Schaufenster hin und präsentieren ihm die «härzigen Chüngeli» – «Lueg mau!»
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Die Handvoll lebender Tiere, die zu Werbezwecken während zwei Wochen im Loeb-Schaufenster gehalten wird, kontrolliert das kantonale Amt für Veterinärwesen (Avet). Das Avet hat auch die entsprechende Bewilligung ausgestellt, wie es auf Anfrage bestätigt. Und: Man arbeite eng mit dem zuständigen Bundesamt zusammen, heisst es vonseiten Loeb. Alle Materialien seien Labor-geprüft, alle Mindestmasse eingehalten, das regelmässige Füttern, Misten und Tränken sichergestellt. Die Temperatur werde mittels Thermostat kontrolliert, das Licht zum richtigen Zeitpunkt gedämmt.
Es gebe schlimmere Orte für Kaninchen
Das ist ja gut und recht. Und wahrscheinlich stimmt es sogar, wenn man mir sagt, es gebe schlimmere Orte für Kaninchen, als das Schaufenster von Loeb. Nichtsdestotrotz bin ich nicht die Einzige, die der Anblick der Kaninchen irritiert. Offenbar gab es nicht nur positive Reaktionen auf die lebende Schaufensterdekoration. Es sei gut möglich, dass es das Projekt nächstes Jahr nicht mehr geben werde: «Wir nehmen die Reaktionen unserer Kund(innen) natürlich sehr ernst», wird mir gesagt.
Tierschutzwidrige Haltungsbedingungen
Aber um ehrlich und fair zu sein, müssen wir auch vor unseren eigenen Türen kehren beziehungsweise unseren eigenen Stall ausmisten. Letzte Woche erst hat der oben erwähnte STS seinen Rapport über Tierausstellungen 2022 veröffentlicht: Es bestehe bei Tierart-spezifischen Ausstellungen für Hunde, Katzen oder Pferde sowie auf den Bauern- und Tiermärkten dringender Handlungsbedarf. Beispielsweise stellte der STS an den Tiermärkten in Münsingen und Reconvilier wiederholt tierschutzwidrige Haltungsbedingungen fest. «An beiden Orten sind grosse Anstrengungen nötig, um das verlangte Niveau des Tierschutzes und des Tierwohls zu erreichen», schreibt die Organisation in ihrem Bericht. Der STS bemängelt unter anderem, dass sich oft zu viele Tiere in den Begegnungs- und Bewertungszonen aufhalten und es zu wenige Ausweichmöglichkeiten gibt. «Dies führt zu Belastungen und Überforderung bei den Tieren (...)». Das Ziel an zeitgemässen Tierausstellungen müsste laut dem STS «weniger ist mehr» sein.
STS findet, Kleintiere an Jugendliche zu verkaufen, problematisch
Auch das Amt für Veterinärwesen des Kantons Bern kommt auf diese Plätze zu sprechen: «Eine Problematik ist es, dass sich Leute Tiere unbedacht und ohne Kenntnisse über deren Bedürfnisse anschaffen. Dies gerade auch an Märkten.» Bevor wir also mit dem Finger auf andere zeigen oder an Bauernmärkten Tiere an Jugendliche verkaufen, müssen wir die Verantwortung, die wir als private und gewerbsmässige (Klein-)Tierhalter(innen) tragen, selber wahrnehmen.

