Langsam kehrt der Herbst ein – für Matthias Wagner ein Grund zur Freude: «Zum Glück kommen die Kühe bald heim. Wir sind wehmütig, wenn sie auf die Alp gehen», sagt der Landwirt. «Es stimmt. Sie fehlen uns – wir gehen sie immer besuchen», ergänzt seine Frau Nicole: «Wir haben zurzeit noch drei Tiere zu Hause, die wir bald weiterverkaufen. Das ist gut, denn wir hatten auch schon australische und amerikanische Touristen bei uns, die spontan auf den Hof gefahren sind.»

Kein Wunder, die schottischen Hochlandrinder sind ein Hingucker mit dem roten Fell und den beeindruckenden Hörnern, vor denen man sich nicht fürchten muss. Familie Wagner ist es wichtig, dass ihre Tiere handzahm sind: «Wir wollen nur liebe Kühe. Wenn wir in den Stall kommen, kommen sie sofort an und lassen sich streicheln. Unsere Kinder können problemlos zu ihnen. Wir halftern deshalb die Kälber schon bald nach der Geburt», sagt Matthias Wagner. «Mätthu hat einen extremen Draht zu den Tieren. Ich staune immer wieder», sagt seine Frau.

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Den Traum vom eigenen Hof erfüllt

«Für mich käme keine andere Rasse infrage», sagt Matthias Wagner. «Ich habe immer gesagt, wenn ich eines Tages Mutterkühe halte, dann Schotten oder Eringer.» Seit April 2023 bewirtschaften sie den Hof «Lochland» in Nicoles Heimatdorf Ruswil LU. Sie konnten den Hof von einem Paar ohne Nachfolger kaufen. Damit ging ein Traum in Erfüllung: Nicole Wagner ist Bauerntochter, lernte ursprünglich Fachfrau Hauswirtschaft und hat die Bäuerinnenschule absolviert, aber der elterliche Hof wird mittlerweile von ihrem Bruder geführt. Matthias Wagners Vater war zwar angestellter Betriebsleiter auf einem Landwirtschaftsbetrieb, aber einen eigenen Betrieb gab es nicht. Trotzdem lernte Matthias erst Landwirt und wechselte dann für manches Jahr in die Baubranche.

Der Bio-Hof, den sie «Red Valley Highland Cattle Ranch» (nach dem Luzerner Rottal) nennen, wird im Nebenerwerb geführt. Parallel dazu betreiben die beiden seit 2016 eine gemeinsame Firma, in der Matthias als Bauschaden- und Schimmelexperte schweizweit für Versicherungen und Privatkunden unterwegs ist – eigentlich ein 100-Prozent-Pensum. Nicole führt die Administration, betreut die drei Söhne Alex (9), Renato (8) und Sven (4) und organisiert die Direktvermarktung der Hofprodukte. Sie übernimmt das Zepter, wenn Matthias den ganzen Tag auswärts arbeitet.

Red Valley Highland Cattle Ranch

Matthias und Nicole Wagner

Ort: Ruswil LU
LN: 7 ha
Tiere: 30 Schottische Hochlandrinder, Walliser Schwarznasenschafe, Hühner für den Direktverkauf von Eiern, Hofhündin Caya
Kulturen: Weide, 0,5 bis 1 ha Speisehafer und Urdinkel, Gemüsebau, 70 Hochstammbäume (Äpfel, Birnen, Zwetschgen)
Betriebszweige: Mutterkuhhaltung, Direktvermarktung, Hofbeizli, daneben eine Firma für die Sanierung von Bauschäden

Bald wird auch eigener Whisky produziert

Der Betrieb umfasst sieben Hektaren LN. Hauptzweig ist die Mutterkuhhaltung. Dazu kommt der Anbau von Urdinkel und Speisehafer auf rund einer Hektare, Gemüsebau mit u. a. Kürbissen, Melonen sowie rund 70 Hochstammbäume mit Birnen, Zwetschgen und Äpfeln. Daraus werden Tafelobst, Most und Schnaps produziert. Neu bauen sie Mariendistel an, angeregt durch einen Hinweis im «Bioaktuell». Ihr ältester Sohn lebt seit Geburt mit einer Leberzirrhose. Mariendistel wird als unterstützendes Naturheilmittel eingesetzt. «Es ist arbeitsintensiv, aber wir probieren es», sagt Matthias. Im Winter will er ausserdem mit einer eigenen Whiskyproduktion starten: «Zurzeit können wir uns den Traum einer Reise nach Schottland nicht erfüllen, aber dann habe ich auf jeden Fall meinen eigenen Whisky, passend zu den Kühen.»

Ursprünglich überlegten Wagners, zusätzlich den bestehenden Betriebszweig mit Mastpoulet-Elterntieren weiterzuführen. Die Umbaukosten des Stalls erwiesen sich jedoch als zu hoch: «Zum Glück sind wir gesessen, als wir die Offerte bekamen», erinnert sich Matthias Wagner lachend. «Wir haben uns für die Schotten wegen ihres Charakters, ihrer Robustheit und auch wegen des Aussehens entschieden.» Finanziell war es eine Herausforderung, gleichzeitig mit dem Hof 13 Kühe zuzukaufen. Eine gute, tragende Kuh kostet zwischen 2500 und 3500 Franken. Heute halten sie rund 30 Tiere inkl. Jungvieh.

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Das ganze Tier wird verwertet

Die Abkalbungen sind saisonal, meist innerhalb eines Monats. Um Inzucht zu vermeiden, mieten die Wagners Stiere. Inzwischen haben sie einen eigenen Stier, den sie ankören lassen und in die Zucht nehmen möchten. Seit einem halben Jahr sind sie Mitglied in der Highland Cattle Society Switzerland.

Pro Jahr werden drei bis vier Tiere geschlachtet – der übrige Nachwuchs, der nicht für die Weiterzucht gebraucht wird, wird weiterverkauft. Die Hoftötung erfolgt im Fressgitter durch Mischa Hofer, danach geht das Tier in den Schlachthof Ruswil und von dort in die Biometzg bei Agrovision Burgrain. Dort wird das Fleisch nach den Rezepten der Familie verarbeitet. Nichts bleibt ungenutzt: Felle und Schädel werden verkauft, Innereien zu Hundefutter für die eigene Hündin. Die Produktpalette reicht von Hamburgern und Hackfleisch über nitritfreie Trockenwürste und Mostbröckli bis zu Siedfleisch oder T-Bone-Steaks. Die Kundschaft besteht überwiegend aus Familien aus Ruswil und Umgebung, aber auch von weiter weg. «Unsere Kund(innen) sagen, auf den Preis kommt es nicht an, wir wollen wissen, woher das Fleisch kommt», sagt Nicole Wagner.

Sie kämpften bei der Hofübernahme gegen Vorurteile

Die Hoftötung fällt dem Paar nicht leicht: «Wir weinen meist beide. Aber wir wissen, dass es der Weg ist, der für unsere Tiere am besten ist, und hinter dem wir voll stehen können», sagt Matthias Wagner. «Nicht immer stossen wir damit auf Verständnis», so Nicole Wagner, «es gibt Leute, die sagen, warum tut ihr euch das an, wenn es euch wehtut, es gäbe doch auch andere Wege …» Sie mussten bei der Hofübernahme gegen einige Vorurteile kämpfen, «weil wir halt vieles ganz anders machen, keine Vollgas-Landwirtschaft betreiben.» Sie bekamen Sprüche zu hören, dieses Fleisch würde niemand kaufen. Umso schöner finden es die beiden jetzt, dass sie einen Kundenstamm aufbauen konnten.

Wagners setzten von Anfang an auf ein Logo, hochwertige Fotos, Kleider mit dem Betriebslogo und einen sauberen Auftritt. Bestellungen laufen über WhatsApp und Mail, es gibt einen kleinen Hofladen im Container mit Selbstbedienung, Bezahlung per Twint oder bar. Zweimal führten sie Verkaufstage durch, an denen spontan eingekauft werden konnte. Vor kurzem veranstalteten sie einen Burger-Event. Für Firmen- und Geburtstagsanlässe öffnen sie den Hof ebenfalls, bis zu 50 Personen haben sie schon bewirtet – dann mit Unterstützung im Service. «Unsere Kunden sollen von Anfang an den Eindruck haben, dass es professionell gemacht wird», sagt Matthias Wagner.

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Haarlinge sind die grösste Herausforderung in der Rindviehhaltung

Auch in der Tierhaltung haben sie ein klares Konzept. Die Kühe sind so viel wie möglich auf der Weide, gefüttert wird mit eigenem Heu und ohne Silo. Klauenschneiden ist im Kompoststall nur in Ausnahmefällen nötig, Tierarztbesuche selten. Ziel ist es, den Antibiotika-Einsatz ganz zu vermeiden. Stattdessen arbeiten sie mit Weidemanagement, pflanzlichen Präparaten und Homöopathie. Die einzige grössere Herausforderung sind Haarlinge, die aufgrund des langen Fells auftreten. Hier setzen Wagners auf ein pflanzliches Pulver in der Fütterung und Striegeln.

In diesem Moment kommt ein verschmuster Hund angerannt, der einen Hinweis auf weitere Zukunftspläne liefert. «Hallo Müsli», sagt Nicole Wagner. Zur Familie gehört auch Berner Sennenhündin Caya (2,5). Sie ist inzwischen zur Zucht zugelassen, die Zuchtstätte «von der Red Valley Ranch» registriert, der erste Wurf ist im Herbst geplant. «Berner Sennenhunde sind meine Seelentiere», sagt die Bäuerin.